Dienstag, 2. Juli 2013

Ein Plädoyer für die Urlaubskarte

Kurz war der Urlaub, aber er war richtig schön. Diese eine Woche auf den Kanalinseln hat ausgereicht, um die Batterien mal wieder richtig aufzuladen. Dabei hätte die Landung auf Jersey beinahe nicht geklappt: Der Pilot konnte wegen des dichten Nebels die Landebahn nicht sehen, und die Maschine wurde im Landeanflug vom Sturm heftig durchgerüttelt - also Abbruch und nochmal durchstarten. Kein Grund zur Panik, meinte der Kapitän sinngemäß, und fügte hinzu: "Wenn der zweite Anflug auch nicht klappt, dann kehren wir um und landen in Paris."










Wie bitte???
Ich hatte mich auf Meer und Küstenwanderungen eingestellt, nicht auf Eiffelturm und Seine-Ufer! Die Erleichterung war riesengroß, als die Maschine schließlich aufsetzte. Diesmal hatte der Pilot den Applaus der Landungsklatscher wirklich verdient - oder hatte er einfach nur den Autopiloten aktiviert? Wir waren alle viel zu aufgewühlt, um nachzufragen. Der Sturm vertrieb noch am gleichen Nachmittag die tief hängenden Wolken und danach folgte eine Woche Sonnenschein. Viel Zeit zum Fotografieren, endlich auch mal wieder Sonnenmotive, und zur Krönung gab es am 23.6. auch noch einen Supervollmond am wolkenlosen Himmel zu bestaunen.

Einladung zum Entschleunigen
Es wäre ein Leichtes gewesen, von unterwegs ein paar Bilder ins Blog oder auf Facebook zu stellen, oder fotografische E-Mail-Grüße zu versenden: WLAN gab es im Hotel, ein Laptop ist auch meistens dabei, um die Fotodateien zu sichern. Trotzdem habe ich in diesem Jahr beschlossen, eine gute alte Tradition wiederzubeleben. Ich habe einige echte Urlaubspostkarten gekauft und mit einem handgeschriebenen individuellen Text an die Daheimgebliebenen verschickt. Das kostet Zeit, das kostet Geld, man muss sich einen netten Text ausdenken und man muss das steife Handgelenk dazu bringen, mal wieder Schönschrift zu produzieren. Alles in allem ist es eine wunderbare Übung zum Entschleunigen!


Schau mal, wo ich war?
Ein Urlaubsgruß ist oft eine Art Duftmarke, die der Schreiber setzt. Ein kleiner boshafter Stachel, der dem Empfänger signalisieren soll: Schau mal, ich habe Urlaub - du nicht. Schau mal, was ich mir für eine Reise leiste, während du doof zur Arbeit rennst oder in Balkonien herum hockst... Früher gab es nur die klassischen Urlaubspostkarten, mit denen man Neid erwecken konnte. Heute erledigt man das mit einer MMS (Foto mit dem Handy knipsen und ans gesamte Adressbuch verschicken) - Update: Whatsapp & Co -  oder eben über Facebook. Oh, du bist in xyz? Da wäre ich jetzt auch gern...

Was Besonderes
Dank digitaler Medien ist so eine richtige Urlaubskarte inzwischen eine echte Seltenheit geworden. Briefpost verschicken wir nur noch, wenn es amtlich sein muss, oder zu besonderen Festtagen: Zur Hochzeit oder zu Weihnachten - obwohl auch da die elektronischen Grüße inzwischen auf dem Vormarsch sind. (Update: Sie haben die Herrschaft längst übernommen.) Die einzige, die immer noch Postkarten aus aller Welt bekommt, ist meine Mutter (75): Sie hat kein Internet und das wird auch so bleiben. Update 2022: Die Mutter ist mittlerweile 84, sie hat immer noch kein Internet, und es kommen kaum noch Karten - unter anderem, weil ich sie zuhause nach ihrem Schlaganfall betreue, und selber bis auf weiteres nicht mehr in den Urlaub fahre. 😢

Wenn man nicht nur "Schöne Grüße aus xyz" auf die Karten schreibt, sondern auch noch versucht, das Wesentliche eines Urlaubs in wenigen Sätzen zusammenzufassen, wird die Urlaubskarte zu einer echten Reflektions- und Schreib-Übung. Was ist das Besondere der Reise? Und wenn die Karte ein Zeichen dafür sein soll, dass man an jemanden denkt, dann versuche ich die Dinge zu erwähnen, von denen ich weiß, dass der Empfänger sich dafür interessiert. Natürlich bekommt auch jeder ein anderes Fotomotiv...

Wieso Karten kaufen...
...wenn man selber fotografiert!? Ja, ich verstehe das Argument sehr gut. Viele Postkarten sind potthässlich und so mancher Fotograf macht bessere Bilder als die Motive, die man als Karte kaufen kann. Dazu kann ich nur sagen:
  1. macht es Spaß sich anzuschauen, was die Postkartenanbieter an Motiven im Sortiment haben*,
  2. gibt es (fast) immer schöne Karten von Kollegen - die wollen ja auch von was leben,
  3. weiß ich, dass ich fotografieren kann, und meine Familie weiß das auch. Es geht also nicht primär ums Bild, sondern um die Geste des Schreibens und um den Text, den ich mir ausdenke.
* besonders hässlich oder besonders kitschig kann ja auch eine Kunst für sich sein. Mich haben in diesem Sommer die englischen Teddybärenmotive sehr angesprochen, gleich gefolgt von den rehäugigen Jersey-Kühen...










Mehrwert für Sammler
Jersey war für mich eine Initialzündung, denn die Insulaner geben sich auch mit ihren Briefmarkenmotiven besonders viel Mühe: Zu jeder Postkarte, die man kauft, bekommt man ein kleines Tütchen mit unterschiedlichen Marken - kleine Kunstwerke, die wohl auch Sammlerherzen höher schlagen lassen. Die Superman-Marke fanden wir so toll, dass wir uns selbst auch gleich noch eine Karte nach Hause geschickt haben.

Ein neues Spiel
Ich freue mich unglaublich auf die nächste Reise: zum einen, weil ich gemerkt habe, dass ich im Formulieren von Postkartentexten noch mehr Übung brauche. Zum anderen will ich das Spiel fortsetzen, das ich vor vielen Jahren begonnen hatte: Was schreibt man sich selbst aus dem Urlaub - noch dazu wenn man weiß, dass der Briefträger mitliest? 😁
 
Falls Sie mir eine richtige Postkarte schicken wollen: meine Anschrift finden Sie im Impressum.

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