Man kann schon interessante Szenen erleben, wenn man im morgendlich regennassen Gras mit dem Handy niederkniet, um die Fotoserie "Frühblüher 2020" zu vervollständigen.
Hunde und deren HalterInnen gehören zu meinem täglichen Alltag, denn ich bin viel zu Fuß unterwegs. Da erlebt man schon einiges. Ich möchte nicht behaupten, dass ich die Hunde aus meinem Stadtviertel alle vom Sehen kenne, aber viele schon. Neulich habe ich "Henry" kennengelernt (Name geändert). Henry, Henry, Henry, kommst Du! Nein, Henry kommt nicht. Merke: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hund seinem Herrchen oder Frauchen gehorcht, sinkt proportional mit der Lautstärke und der Häufigkeit des Nach-Ihm-Rufens. Merke auch: Das Stresslevel beim ungehörten Menschen steigt währenddessen in gleichem Maße proportional an. Ich ahnte, wie sich das weiterentwickeln würde.
Henry rannte zielstrebig auf mich zu - Vollgas.
Henry!
Henry!!
Henry!
Henry!!
HENRY!!! (Signalton Alarmstufe rot)
Henry rannte weiter, die Hundehalterin rannte nun hinter ihm her. Henry vollführte einen gekonnten Schlenker, einmal antäuschen, dann wieder umkehren. Beim "Fang-den-Hund" hat der Mensch mit der Leine meistens keine Chance, aber es sieht lustig aus.
Ich beachtete weder Henry noch die Dame mit der Leine. Als er sie von mir weggelockt und mit einer neuerlichen 180°-Wendung abgehängt hatte, rannte Henry wieder zu mir. Er stoppte aus vollem Lauf, zwei Zentimeter vor den Blümchen, und fing an, mein Motiv hektisch zu beschnuppern. Als ich ihn immer noch nicht beachtete, wollte Henry mein Handy beschnuppern. Ich zog es weg, ein Foto wurde unscharf, aber ich blieb ungerührt vor meinen Blümchen hocken und fotografierte weiter. Wenn's sein muss dann eben mit Henry im Hintergrund? Ich bin immer offen für spontane Schnappschüsse, würdigte Henry aber keines Blickes. Der fand das total blöd und rannte wieder weg.
Währenddessen erfuhr ich aus dem visuellen Off, dass Henry gerne Menschen anspringt (ach ja?), und wenn jemand mit dem Handy auf dem Boden kniet, denkt er, dass es da etwas zu Fressen gäbe. (Wie kommt er darauf?) Ich blieb bei meinen Blümschen. Es ist von Vorteil, wenn man sich konzentrieren kann. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, dass die Henry-Fangaktion weiterlief.
Während ich meine fotografischen Blumenstudien fortführte, schnüffelte sich Henry hektisch durch die Büsche. Als er schließlich angeleint war, hatte ich mein Motiv im Kasten und stand auf. Der Hundehalterin wünschte ich einen schönen Tag und weiterhin gutes Gelingen. Okay, das war ironisch. Ich dachte an Martin Rütter, dessen Ausführungen ich auch als Nicht-Hundemensch sehr schätze. Vieles erklärt sich beim Zuschauen von selbst. Wenn ich das nächste Mal auf dieser Wiese Blümchen fotografiere und Henry wieder treffe, weiß ich, dass er schnell das Interesse verliert und sogar etwas verwirrt reagiert, wenn man ihn nicht beachtet. Vielleicht erinnert er sich beim nächsten Mal an unsere Begegnung und macht gleich von vorneherein einen großen Bogen um mich. Das wäre ein Zeichen von Lernfähigkeit. Bei Hunden bin ich optimistisch. 😉
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