Mittwoch, 20. März 2019

Der versteht (hoffentlich nicht) alles



























In München gibt es aktuell etwa 37.000 Hunde, einige davon kenne ich persönlich und manche sehe ich fast täglich auf dem Weg ins Büro. Als Passant oder Jogger kann man dabei ganz unterschiedliche Beobachtungen machen. Besonders beeindruckend sind für mich Hundehalter, die nur einmal den Arm heben, auf den Grünstreifen zeigen und der freilaufende Hund rennt SOFORT in die angegebene Richtung. Dass nicht jeder seinen Zamperl so gut im Griff haben kann, verstehe ich. Die meisten sind "unauffällig" und gehorchen so einigermaßen. Es gibt aber auch ganz besondere Hundepersönlichkeiten, die ihren eigenen Kopf haben, und etwas schwieriger zu bändigen sind. So manches steht und fällt mit der Person des Hundehalters. Komm' i heut net, komm' i morgen... denkt sich der Vierbeiner und ignoriert geflissentlich den fünften Pfiff aus der Ferne.

Vor ein paar Tagen begegnete mir ein bis dato unbekannter Hund, der mir wegen seines schneeweißen Fells sofort auffiel - ein wunderschönes Tier. Die Halterin stand direkt daneben, während ihr Wuffi ausgiebig an einem Pfosten schnüffelte. Die Frau zog unsicher und unentschlossen an der Leine, der Hund bewegte sich nicht. Im Vorbeigehen hörte ich den Satz: "Wenn du jetzt nicht mitkommst, dann lasse ich dich hier! Das willst du doch nicht, oder?"

Oha. In diesem Moment taten mir beide richtig leid. Wenn ich Hundehaltung richtig verstehe, dann braucht ein Hund einen Menschen, der ihm Klarheit und Orientierung bietet. Der Mensch übernimmt die Rolle des "Rudelführers" und ersetzt das Alpha-Tier. Bei dieser Rollenverteilung hat der Hund weniger Stress, er kann sich auf sein Herrchen oder Frauchen verlassen. Wenn der Hund aber merkt, dass sein Alpha-Tier schwach und unsicher ist, muss er die Rolle des Anführers selbst übernehmen. Ängstliche Hunde sind damit komplett überfordert, starke Hundepersönlichkeiten leben diese Rolle lässig aus. Mit der Folgsamkeit ist es dann meistens vorbei, weil sich ein Alpha-Tier keinem anderen Tier im Rudel unterordnet. Dann ist der Hund der Boss. Bei Pferden funktioniert das ähnlich, darum muss man als Mensch im Umgang mit Tieren lernen sich durchzusetzen.

Befehl oder Frage?
Schon die ganze Körpersprache der Hundehalterin war ein Ausdruck ihrer Unsicherheit. Der Satz, den sie sagte, klang für mich wie der einer Mutter, die gerade im Begriff ist, ihr Kind emotional zu erpressen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie bei den weiterführenden Links.
Hunde verstehen ziemlich viel, auch einzelne Signalwörter. Ganze Sätze verstehen sie eher nicht, da kommt es auf die Stimmlage und die Satzmelodie an. Ein Befehl ist ein Befehl, der endet mit einem Ausrufezeichen: Komm! Bei einer Frage hebt man am Ende des Satzes die Stimme: Kommst du? Da ist kein Befehl erkennbar, nicht mal eine Aufforderung. Es ist bestenfalls eine Diskussionsgrundlage, bei Menschen erst recht. Wenn mich meine Mutter fragt, ob ich komme, dann heißt das für mich als Kind, dass ich eine Wahlmöglichkeit habe. Ja, nein, vielleicht - später? Wenn sie sagt: "Komm jetzt!" ist die Ansage eindeutig. Danach kommt es auf ihr Verhalten an, ob ich mich künftig an ihre Anweisungen halte. Wenn ich weiter herumtrödle und damit immer wieder durchkomme, dann lerne ich, dass ich ihre Anweisungen nicht befolgen muss. Sie muss andere Geschütze auffahren. Ohrfeigen gibt's nicht mehr, emotionale Erpressung schon: "Papa schimpft!" oder  "Mami wird ganz traurig, wenn du nicht mitkommst!" Oder eben: "Ich lasse dich hier im Wald stehen."

Der Hund als der bessere Mensch
Die Dame mit dem weißen Hund war nicht die erste und einzige, die mit ihrem Vierbeiner diskutierte. Manche Leute reden dauernd auf ihre Tiere ein, vielleicht weil ihnen die menschliche Ansprache fehlt. Die Hunde oder Katzen hören geduldig zu, spitzen die Ohren, wedeln mit dem Schwanz, schauen ihre Halter aufmerksam an und schon fühlt man sich verstanden. Haustiere sind Seelentröster, vielleicht nimmt ihre Zahl deshalb permanent zu. Im Dialog mit dem Tier treten dann auch ganz typische Verhaltens- und Sprachmuster zutage:
"Ich werde noch ganz wahnsinnig mit dir! Wenn das so nicht klappt, dann müssen wir das in Zukunft anders machen!" Auch dieser Satz lässt sich 1:1 in die Kindererziehung übertragen. In dieser Situation war ein riesengroßer Hund dreimal kreuz und quer über eine Wiese gelaufen, bevor er sich seiner Halterin wieder anschloss und an die Leine genommen wurde.

"Warte, wenn wir oben sind kriegst du Prügel!" lautete der Kommentar eines (alkoholisierten) männlichen Hundehalters, dem es peinlich war, dass sein Vierbeiner vor dem Hauseingang einen Nachbarn angekläfft hatte. Auch hier möchte ich nicht wissen, wie der arme Mann als Kind von seinen Eltern erzogen wurde. Ich hoffe, dass wenigstens der Hund keine Prügel bekommen hat. Er hätte nicht verstanden wofür er nachträglich bestraft wird. Wenn der gleiche Hund mit seinem Frauchen spazierengeht, kläfft er nicht und folgt aufs Wort. Es liegt also nicht am Hund, sondern an der Rollenverteilung im Familiensystem.

Wenn Sie selbst einen Hund haben, erinnern Sie sich gelegentlich daran, dass es doch "nur" ein Hund ist, der definitiv nicht wissen kann, was gestern, heute, oder morgen bedeutet. Der Hund lebt im Hier und Jetzt. Es ist gut, dass er nicht jedes Wort versteht. Seine Anhänglichkeit und Treue sind so groß ist, dass er seinem Rudelführer fast alles verzeiht. Er widerspricht nicht, wenn man ihn anschreit oder ihm Unrecht tut. Aber er tut eben auch nicht immer das, was man von ihm will. Mit ein bisschen Training in Zukunft vielleicht immer öfter.
 
Siehe auch: Henry, Nomen est omen

Weiterführende Links:
Emotionale Erpressung - emotionaleerpressung.de
Partner Hund - 7 Todsünden in der Hundeerziehung

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