Im März 2019 steht die Rubrik "1000 Meisterwerke der Digitalromantik 4.0" voll und ganz im Zeichen der Street Art. Diesmal widmen wir uns einem Opus, das den Anspruch erhebt, von der VG Bild/Kunst sowie der VG Wort gleichermaßen vertreten zu werden. Der Künstler Fneiherl hat im Münchner Stadtteil Untergiesing/Harlaching bereits mehrere herausragende Werke für die Allgemeinheit geschaffen. Darum ist es an der Zeit, ihm für sein langjähriges Wirken einen längst überfälligen Ehrenpreis zu verleihen, doch nehmen wir das neueste Werk des Fneiherl zunächst genauer in Augenschein.
An einer schnörkellos geraden, nahezu trist wirkenden Fassade modernistischen Baustils der 1970er Jahre sticht die rechteckige, grellorange Farbfläche sofort ins Auge. Eine derart plakative leere Fläche schreit geradezu nach einer Botschaft mit gesellschaftlich-sozialpolitischer Relevanz. Wer hier nicht genau hinschaut und meint, in der Aufschrift den Satz "Freiheit für alle" zu lesen, hat die weitaus tiefergehende Botschaft des Künstlers gründlich missverstanden. Mit spielerischer Leichtigkeit werden hier Worte und Buchstaben nach Belieben verformt, um den unaufmerksamen Betrachter bewusst in die Irre zu führen. Fneiherl verbindet das i gekonnt mit dem r und schafft durch das punktierte r einen gänzlich neuen Buchstaben im deutschen Alphabet. Die weltoffene Internationalität des Künstlers offenbart sich auch im nachfolgenden Wortbild: fün. Nicht für, nicht fun, nicht fünf, sondern fün! Dabei handelt es sich mitnichten um eine Rechtschreibschwäche. Wer diese illustre Kunstform geistig nicht durchdringt, hat noch nie einem Werk von Stockhausen gelauscht! Moderner geht es nicht, das ist bahnbrechend - geradezu sensationell!
Auf den ersten Blick scheint die Verwendung blauer Schriftfarbe darauf hinzuweisen, dass Fneiherl in seiner Ästhetik den klassischen Gestaltungsregeln des Komplementärkontrasts folgt: Orange und Blau stehen sich im Farbkreis direkt gegenüber. Aber auch das wäre eine fatale Fehlinterpretation. Der in schwarzen Großbuchstaben gesetzte Schriftzug ACAB bricht sehr bewusst mit der Farbharmonie. Dennoch ist das Kürzel ACAB in Kombination mit dem danebenstehenden Wort zu lesen. Auch dort hat der Künstler sehr gewitzt ein visuelles Wortspiel eingebaut: alle oder olle? ACABalle und ACABolle verschmelzen zu einer Einheit. ACABalle - Kabale und Liebe, sehen wir hier einen versteckten Anklang an das literarische Werk des Johann Wolfgang von Goethe? Ist ACABolle der verschmähte uneheliche Bruder, dem niemand ein X für ein O vormachen kann? Diese Andeutung erkennen wir in den geschickt ineinander verschachtelten Buchstaben, die das Wortkunstwerk komplettieren. Wer hinter diesem Opus nur das dümmliche Geschmiere eines nicht ganz schalldichten Vollidioten vermutet, hat keinen Sinn für echte Kunst und sollte sich im vhs-Kurs "Visionäre der Neuzeit, Leben und Wirken im urbanen Raum" auf die Sprünge helfen lassen. Nicht umsonst titelt der gerade heute von der vhs München versendete Newsletter mit dem Betreff: "Gekackt ist nicht gemalt".
Auf der rechten Seite der Fläche hat uns Fneiherl freien Raum geschenkt. Darin erkennen wir seine Einladung, unsere Gedanken schweifen zu lassen, oder gar selbst aktiv zu werden, und die ungenutzte Fläche mit eigenen, noch mysteriöseren Botschaften zu füllen.
Weil dieses Kunstwerk nicht nur alle Kriterien moderner Kunst erfüllt, sondern als exzeptionell visionär eingestuft werden muss, erhält Fneiherl folgenden Ehrenpreis: Eine Reise auf der Titanic II in die Antarktis, Reisebeginn ist der 28. März. Nach Ankunft im Südpolarmeer darf der Künstler barfuß und ohne Handschuhe alle freien Eisflächen mit blauer und schwarzer Farbe besprühen. Wenn Sie seinen Aufenthaltsort kennen, lassen Sie es die Jury wissen. Wir freuen uns auf die Übergabe des Tickets. Ob Fneiherl danach noch in der Lage sein wird, die Kopien dieses Meisterwerks von Hand für die Auktion bei Sotheby's zu signieren, wissen wir nicht. Bestellen Sie deshalb lieber jetzt gleich einen limitierten Sonderdruck, Stichwort: 1000 Meisterwerke #0006
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