Sonntag, 10. März 2019

Stadtentwicklung live miterleben


















































München ist schick und teuer... Das denkt man so gemeinhin. Das stimmt ja auch meistens. Man darf nur nicht offenen Auges durch Nebenstraßen gehen oder sich nach einer Partynacht ins Glockenbachviertel verirren. Schick und sauber ist meine Heimatstadt vor allem da, wo die Schickeria verkehrt. Teuer ist sie überall. Wenn sich eine Baulücke oder ein größeres Areal nicht sofort nachverdichten lässt, entsteht vorübergehend Raum für Subkulturen wie im Kunstpark Ost. Die alternative Szene darf sich dann eine Zeitlang ausbreiten. Diese sogenannten Zwischennutzungen sind bunt, manchmal schrill und meistens leicht versifft, also nicht gerade das, was man von München so kennt.

Mitten in Giesing gibt es den "Grünspitz". Der heißt vermutlich so, weil das Grundstück spitz zuläuft und weil es auf dem 2.000 Quadratmeter großen Areal wunderschöne alte Kastanienbäume gibt.

Im Sommer ist es eine äußerst angenehme Oase im ansonsten dicht bebauten Stadtviertel. Rechts und links tost der Verkehr, in der Mitte ruht der Grünspitz, wohltuend wie eine Insel. Bis 2014 wurde die Fläche von einem Autohändler als Abstell- und Verkaufsfläche genutzt. Das war alles andere als schön, aber natürlich machen abgestellte Autos keinen Lärm. Seit etwa vier Jahren wird das Grundstück von Green City e. V. als Gemeinschaftsgarten betreut, "bis die Fläche endgültig umgestaltet und aufgewertet werden kann". Schöne Formulierung! In München fehlt Wohnraum und jedes noch so kleine lauschige Eck wird über kurz oder lang mit Neubauten zugepflastert. Ob der Grünspitz wirklich langfristig eine "öffentlich nutzbare Freifläche" bleibt, wage ich kaum zu hoffen.

Beschwerden von Anwohnern über die alternative Zwischennutzung des Grünspitz gibt es längst: Bei den Veranstaltungen ist es zu laut, im Sommer lungern Betrunkene und Obdachlose herum, und mit der Sauberkeit haben manche Leute auch ein Problem. Ja, es sieht manchmal ganz schön schmodderig aus. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob sich die genervten Anwohner genauso vehement über die Dreckschleuder McDonalds direkt vor ihrer Haustür echauffieren. Das war übrigens die allererste McDonalds-Filiale in ganz Deutschland. Ich träume ja insgeheim von einer Zeit, in der Schnellrestaurants mit ihren Plastikbechern komplett out sind. An dieser Ecke könnte man super nachverdichten und zum Beispiel eine Kita in den ehemaligen Geschäftsräumen unterbringen.

Natürlich hoffe ich, dass wir den Günspitz  noch lange als frei zugängliche Oase behalten. Im hintersten Eck des Grundstücks finden Eingeweihte den schnuckeligen Kastaniengarten, in dem man auch mal fünfundvierzig Minuten lang auf eine Currywurst wartet. Wer's eilig hat, kann ja zu McDonalds rübergehen oder sich eine Bockwurst aus der Tankstelle gegenüber holen. Im Schatten der großen Kastanien entwickelt man eine unglaubliche Gelassenheit. Selbst in der Gluthitze eines Jahrhundertsommers kann man entspannt hocken bleiben, meditativ ins Bierglas schauen und bestenfalls mitzählen, wie viele Einsatzfahrzeuge derweil mit Blaulicht durch die Martin-Luther-Straße preschen. In ruhigen Minuten hört man freitags manchmal ungewohnte Klänge aus der Moschee herüberwehen. Der größte Tempel ist und bleibt jedoch das Stadion an der Grünwalder Straße, wie es ganz offiziell heißt. Ja, es ist eine ausgesprochen laute Ecke, da darf man als Anwohner generell nicht zimperlich sein.

Wenn die Sechzger-Fans mehrmals im Monat anrücken ist (nicht nur) der Grünspitz weiß-blau. Mehr oder weniger melodiöse Fangesänge, ein überlauter Stadionlautsprecher und Böllergranaten gehörten immer schon zu Giesing, genauso wie exzessiver Bierkonsum und Müll auf den Straßen. Jetzt ist auch noch der Grünspitz da, der vor allem im Sommer zum Verweilen einlädt. Flohmärkte, Konzerte, Kulturveranstaltungen bis 22 Uhr - kein Wunder, dass so  mancher Anwohner die Nase... nein, die Ohren voll hat. Die Veranstalter und die Fanprojekt-Mitarbeiter haben versucht zu vermitteln und die zusätzliche Lärm- und Müllbelastung in Grenzen zu halten. Was wäre die langfristige Alternative? Die Kastanien fällen und einen schicken Neubau auf das Grundstück stellen? Bitte nicht!


Die bunte Häkel-Ästhetik und grob gezimmerte Laienkunstwerke, die "Liebe" und "Frieden auf Erden" propagieren, sind für mich bestenfalls skurrile Fotomotive. Schön finde ich sie nicht und sie werden auch nicht hübscher, wenn sie mehrere Monate Feinstaub gefiltert haben. Trotzdem ist mir der kindlich-naive Charme solcher Objekte immer noch lieber als ein fetter Neubauklotz. Darum bin ich sehr gespannt, was die Gesellschaft für Stadterneuerung GmbH aus der "öffentlich nutzbaren Freifläche" macht.



Wo können Sie die Stadtentwicklung in Ihrem Heimatort miterleben, vielleicht sogar mitgestalten?
Wenn Sie die Zeit und Energie aufbringen, machen Sie aktiv mit oder kontaktieren Sie die Lokalpolitiker vor Ort. Die wollen bei der nächsten Wahl Ihre Stimme.
In der Gemeinde Haar bei München gibt es zum Beispiel gerade den Aufruf an die Bürger, beim neuen Verkehrskonzept mitzuwirken (Merkur). 
 
Drei Jahre später fällt mir zum Grünspitz nichts mehr ein, außer: Stadtteilkultur vom Feinsten  
Es gibt aber auch andere Ecken mit Mobiliar.
 
 
 
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#München  #Giesing  #Stadtteilkultur

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