#München #Schwabing #Uni-Reitschule
"Die Universitäts-Reitschule München ist eine Reitschule und Gastronomie an der Königinstraße 43, direkt am Englischen Garten in München", heißt es in deren ausgesprochen kurzem Wikipedia-Eintrag. Der "schlichte, neuklassizistische, herrenhausartige Flügelbau mit den Vorhof begrenzender Balustrade ist ein Baudenkmal."
Bekannter als der Reitbetrieb war stets die Gastronomie, die bereits in den 1950ern als "das größte Etablissement Schwabings" galt, und sich seit den 1970er Jahren als Promi-Treff etabliert hatte. Boris Becker soll hier seine Babs kennengelernt haben, aber das ist lange her.
Das Café Reitschule bleibt, die Reitschule schließt
Heute ziehen die letzten Pferde aus, offiziell endet der Pachtvertrag für den Reitbetrieb Ende Juli. Was danach aus den ehemaligen Reitanlagen und Stallungen wird, ist noch offen. Ich kenne die Uni-Reitschule seit den 1980er Jahren, und bin dort fünfzehn Jahre lang mehrmals wöchentlich "im Kreis geritten", wie es mal jemand formuliert hatte. Die meisten Gäste des Reitschul-Cafés haben vermutlich nie verstanden, was in diesem Hippodrom vor sich ging. Für Außenstehende war es vor allem exotisch, und vielleicht auch unterhaltsam. Fällt jemand vom Pferd? 😏
Mit dem Reitbetrieb gehen bei mir viele Erinnerungen einher: Menschen,
Pferde,
Sommerfeste, Turniere, Schicksale... vor allem aber Reitstunden. Das war keine
Kuschel- oder Wohlfühl-Pädagogik. Wenn's mit dem zugeteilten
"Schulpferd" und dem Übungsprogramm nicht gut lief, hatte man hämische
oder mitleidige Blicke und Kommentare auszuhalten. Es wurden aber auch
tröstende Worte gespendet und Tipps ausgetauscht. Ein Lieblingspferd
hatte jede*r, Angstpferde auch. Das waren die, mit denen es meistens
nicht gut lief - wahre Lehrmeister.
Die (ehemalige) Reithalle, unter der sich im Untergeschoss die Stallungen befanden |
Lebenswege
Viele meiner damaligen Weggefährten habe ich aus den
Augen verloren, als ich vor gut zwanzig Jahren mit dem Reiten aufgehört
habe, einige Freundschaften sind geblieben. Einige Reiterfreundinnen haben sich später eigene Pferde gekauft, und sind mit ihren Vierbeinern ins Umland abgewandert; die Stallmiete war dort einfach günstiger, und die Haltungsbedingungen oft besser.
Den Kindheits- und Jugendtraum vom eigenen Pferd hatte ich schon früh gegen eine andere Vision eingetauscht. Als ich den Satz hörte: "In meiner Pferdebox steht eine kleine Eigentumswohnung" wusste ich schlagartig, welchen Weg ich einschlagen wollte. Vielen Dank, nochmal, Moni. 😘
Geblieben sind Hunderte von Fotos aus den 1990er Jahren, in denen die Uni-Reitschule schon einmal fast geschlossen werden sollte. Damals war der Boden der Reithalle, die sich über den Stallungen befindet, einsturzgefährdet. Nach zähen Verhandlungen wurde saniert, und als nach einer langen Durststrecke alles fertig war, kam ein neuer Pächter. Für mich war es der Anlass, aber nicht der einzige Grund, "der Uni" und dem Reitsport generell den Rücken zu
kehren. Um die Jahrtausendwende war in meinem Leben einfach was anderes dran. Trotzdem war es immer schön, aus dem Café Reitschule in die Reithalle zu schauen, und eine kleine Runde durch die Anlagen zu drehen. Pferdeduft schnuppern, Erinnerungskultur.
Das war zuletzt nicht mehr möglich, weil man nervige Besucher, die die Anlage für einen Streichelzoo hielten, nicht mehr mit guten Worten überzeugen konnte, sondern drastischere Maßnahmen ergreifen musste: Geschlossene Gesellschaft.
Erinnerungsanker: Die giftgrünen Türen am gelben Gebäude. Eingang zu den Nebenräumen, Theorie-Unterricht 1x wöchentlich |
Abschied
Gestern war ich noch einmal mit einer alten Freundin vor Ort, um Abschied von einer Institution zu nehmen, die 1927 gegründet worden war. Während ihres knapp hundertjährigen Bestehens hatte die Uni-Reitschule vielen pferdebegeisterten Menschen die Möglichkeit geboten, mitten in einer teuren Metropole bezahlbaren Reitunterricht zu nehmen. Das stand so in der Satzung, aber nach hundert Jahren hat sich die Welt drumherum massiv verändert.
Es gibt andere und pferdefreundlichere Orte als einen Reitstall mitten in einer Großstadt, selbst wenn er direkt am weitläufigen Englischen Garten liegt. Das ist schön für die Menschen, die Pferde haben nicht so viel davon gehabt. Es gab keine Koppeln, kein freier Auslauf. Verschärfte Auflagen für die Pferdehaltung finde ich gut und richtig, und auch das macht "bezahlbaren Reitunterricht" unmöglich.
Muss man reiten lernen? Nein, wenngleich Pferde ausgesprochen gute Lehrer sind. Den Kontakt mit und zu Pferden kann man auch anders gestalten, als in Form des klassischen Reitunterrichts, dessen Ursprünge und Umgangsformen auf militärischen Gegebenheiten basier(t)en. Modernere Methoden sind dann nicht nur pferde- sondern auch menschenfreundlicher.
Wie geht's weiter?
Aktuell ist noch nicht klar, was mit und in den Räumlichkeiten geschehen wird, auf jeden Fall erst mal Baustelle. Für eine Immobilie in Bestlage findet sich immer eine zeitgemäße Anschlussverwendung. Dass die Reitschule ihren Namen langfristig behalten wird, glaube ich eher nicht, denn es gab bzw. gibt einen "Präzedenzfall", eine andere ehemalige Reithalle in Schwabing-West.
Erbaut 1894 diente sie dem 2. Bayerischen Infanterie-Regiment „Kronprinz“ als Exerzierhalle. Weil die Reithalle München auf einem Kasernengelände lag, wurde sie erst in den 1990er Jahren restauriert, und dient seitdem als Event-Location für Konzerte, Partys, Festivals, Ausstellungen, Theater, Performances und Lesungen. Das - ebenfalls denkmalgeschützte - Gebäude heißt neuerdings Utopia-Halle.
Mit der seit Jahrzehnten erfolgreichen Gastronomie im Rücken ist davon auszugehen, dass auch in der Königinstraße keine Langeweile einkehrt. Zum Englischen Garten hin gibt's keine Nachbarn, und mehrheitlich Bürogebäude drumherum. Ich glaube, da kann man schön feiern. Die beinahe ländliche Idylle im Hinterhof, die wir in den 1990er Jahren noch erlebt und genossen haben, ist aus der Zeit gefallen. München steht auf BlingBling, und auch das hat lange Tradition. 😏
Einen Verbesserungsvorschlag hätte ich noch
Wenn man auf der Homepage der Gastronomie auf den Link "Geschichte" klickt, kommt man aktuell zur Tageskarte, und kann wichtige Informationen über geschlossene Gesellschaften, Brunch & Champagner Happy Hour erhalten. Das war jetzt nicht ganz das, wonach ich gesucht hatte. Da muss ich wohl in meinem eigenen Archiv nachschauen. 😅
Und wie war das heute vor einem Jahr?
Halbzeit 2022. Schon wieder Halbzeit 2023. Wie die Zeit vergeht... Da sage noch einer es ändere sich nichts. 😂
Siehe auch: Pyramedial, Raumgreifend, Tanz mit der Vergänglichkeit, Stadtteilkultur vom Feinsten, Neueröffnung, Ofenfrisch, Ins Museum?, Im Wandel der Zeit, Frauenplatz, Fotografisches Gedächtnis, Messe Stadt, Vergangenheit, Kleinod, Heim und Handwerk, München im Wandel, Langer Samstag
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