Sonntag, 18. Juni 2023

Im Durchgang

#Sitzgelegenheit im #Durchgang

Am 17. Juni 2022 habe ich schon mal eine Sitzgelegenheit in einem Durchgang fotografiert >Aussitzen. Fast auf den Tag genau ist mir ein ähnliches Motiv begegnet, an einer ganz anderen Stelle. Meine Wahrnehmung ist auf solche Situationen programmiert, weil es sich um eines meiner vielen "Sammelmotive" handelt. Es ist also kein Zufall. Viel interessanter ist die Frage: Warum sammle ich diese Motive überhaupt? Wenn Sie fotografieren: Was sammeln Sie?

Als ich mich mit diesem Motiv beschäftigte, fiel mir auf, dass mich die streng minimalistische Perspektive an die Situation im Mutterhome erinnerte: Ein dunkler Raum ohne Perspektive, überall Wände. In der Wand gibt es ein winziges Fenster, das aber keinen Ein- oder Ausblick gewährt.
Diese Version des Motivs ist aus fotografischer Sicht minimalistisch und klar, aber einigermaßen trostlos. Auf mich wirkt diese Perspektive eher bedrückend und klaustrophobisch, darunter versteht man die Angst vor dem Eingesperrtsein.
Im Mutterhome ist es natürlich sehr viel muggeliger, aber die alte Frau sitzt jetzt seit beinahe drei Jahren in ihrem Zimmer auf einem Sessel, und ich komme mir manchmal vor, wie eine Gefängniswärterin. Das ist natürlich Blödsinn, aber es ist bedrückend, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Zeit für einen  #Perspektivwechsel.



Diese Sitzgelegenheit steht in einem schattigen Durchgang, in dem es bei der aktuellen Sommerhitze luftig und kühl bleibt; von vorne und von hinten fällt das Licht herein. Wer auf diesem Stuhl Platz nimmt, kann alles sehen, was um ihn herum vorgeht, und hat die schützende Mauer im Rücken. Hinten geht es in die Grünanlagen. Das ist also gar nicht so bedrückend. Meine Gedanken und Assoziationen sind es, und an denen kann ich etwas ändern, genau wie an der Aufnahmeperspektive beim Fotografieren.

Das ideale Bild
Würde man das Licht und das Grün im Foto sehen, hätte es dem Motiv noch  einmal eine andere Atmosphäre verliehen. Allerdings stand die Morgensonne noch zu tief, und der Hintergrund war für ein "schönes Foto" zu unruhig: Abgestellte Fahrräder, gleißendes Gegenlicht an der falschen Stelle, und störende Mauerkanten haben mich davon abgehalten, dieses dritte Foto zu machen ("Fotografenkrankheit"). Mit Photoshop geht alles, aber das war mir zu viel Arbeit, und wäre schon zu viel der Korrektur gewesen. Bei den meisten meiner Fotos bleibe ich bei der vor Ort vorgefundenen Realität.

Was geht im Hintergrund ab?
Die zweite Version dieses Motivs ist immer noch minimalistisch und eng, aber nicht mehr so klaustrophobisch. Die Perspektive "von oben herab" auf den Sitzplatz ist den Lichtverhältnissen geschuldet, widerstrebt mir aber ungemein. Warum? Es ist die gleiche Perspektive, die ich im Mutterhome zwangsläufig einnehme, weil die Mutter nur noch sitzt, während ich stehe oder gehe. Ich schaue auf sie herunter, und sie muss zu mir aufschauen. Nur bei den Mahlzeiten sitze ich ihr gegenüber, dann bin ich aber trotzdem immer noch größer als sie. Bei uns gibt es keine "Begegungen auf Augenhöhe".

Ich war gerade in die Knie gegangen, um nach der idealen Perspektive für die "Sitzgelegenheit im Durchgang" zu suchen, als der Stuhlinhaber aus seiner Wohnung kam, und ungestört seine Morgenzigarette rauchen wollte. Also bin ich weiter gejoggt, Motiv unvollendet. Ich könnte jetzt noch auf die Symbolik des Begriffs "Durchgang" eingehen, aber es reicht für heute. Die Sitzung ist beendet. 😉

Motivklingel: Warum Sitzgelegenheiten?

Diese Sammelobjekte fotografiere ich schon seit über zehn Jahren. Seitdem ich darauf achte, fällt mir auf, wie viele es davon (im öffentlichen Raum) gibt, und wie verschieden sie sein können. Eine Abwandlung des Fotoprojekts wäre es, nicht nur die Sitzgelegenheit zu fotografieren, sondern sich auch jedes Mal auf den jeweiligen Stuhl zu setzen, und zu fotografieren, was man von dort aus sieht. 

Für mich sind diese Motive eine Einladung zum Innehalten, und stets eine Gelegenheit, nach verschiedene Perspektiven zu suchen, fotografisch und auf der emotionalen Eben. Dieser Prozess ist dann so etwas wie "Fototherapie", als Unterkategorie der Kunsttherapie. 😎 Nicht zu verwechseln mit Phototheraphie oder Lichttherapie. Die ist auch gut, und geht manchmal mit dem Fotografieren Hand in Hand, vorausgesetzt die Sonne scheint. Kommende Woche ist auch schon wieder Sommersonnenwende, und der längste Tag. Genießen!

Siehe auch: Aussitzen, #Sitzgelegenheiten, Sonnenstern, #Sonne

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