Freitag, 9. Juni 2023

Sommerkonzert

#Muttergeschichten

Das mit der gestern ausgesprochenen Regenbestellung hat geklappt, sogar fast perfekt: Am Spätnachmittag und nachts ist eine moderate Gewitterfront durchgezogen, und am Morgen danach herrscht wieder eitel Sonnenschein. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. 😊

"Hast du das Gewitter heute Nacht gehört?", fragte ich, als ich im Mutterhome den Balkon inspizierte.
"Ich dachte, das wären Flugzeuge", sagte meine Mutter. "Wenn du nachher den Balkon machst: Die Amsel hat in der Wasserschüssel gebadet. Das mögen die Eichhörnchen nicht. Wenn die Amsel drin war, lassen die Eichhörnchen das Wasser stehen."
Gut, dass die Amseln nicht im Wasserglas der Mutter baden. Nachdem wir den ToDo-Listenpunkt "Amselbadewasser" geklärt hatten, erhielt ich beim Frühstück einen ausführlichen Bericht vom "großen Sommerkonzert".
"Hast du das gesehen?", fragte meine Mutter.
Den Titel der Sendung hatten wir nur in der Programmübersicht gestreift, und mein Mann hatte den Kopf geschüttelt: André Rieu. Den gibt's auch noch?
"Das lief gestern auf allen Sendern!", empörte sich meine Mutter. "Es war einfach nur schrecklich!", erzählte sie, und: "Die Leute haben geweint!"

Ob das Konzertpublikum im TV aus Rührung oder aus Verzweiflung geweint hat, hat sie nicht explizit erläutert. Im Gegensatz zu meiner Mutter waren die Leute vermutlich begeistert und ergrifffen.
"Lauter alte Leute!", fügte sie hinzu, "und weißt du was? Dann kamen auch noch die drei Tenöre! Aber nicht die drei Tenöre, sondern irgendwelche Rentner. Zweite Besetzung."
Ich habe keine Ahnung, ich kenne diese Tenöre alle nicht. Die drei, die meine Mutter vielleicht meinen konnte, sind wahrscheinlich schon tot, oder längst von der öffentlichen Bühne abgetreten. Sie selbst ist ja auch schon 85 und seit über zwanzig Jahren Rentnerin, aber im Gegensatz zu allen anderen ist sie nicht alt.
"Dann hat der (Rieu) auch noch angefangen zu dirigieren", fuhr sie fort, "mit der Geige und dem langen Ding in der einen Hand. Mit der anderen Hand hat er herumgefuchtelt, total aus dem Takt. Das will ein Dirigent sein? Es war einfach nur peinlich! Das Orchester war ja vom Ursprung her nicht schlecht, aber der Walzer... ein Trauermasch. Langweilig! ... Fürchterlich!!!"
"Warum hast du dir das überhaupt angeschaut?", fragte ich. Keine Antwort. Sie hatte ja schon erwähnt, dass das Sommerkonzert auf allen Kanälen übertragen worden war. Alternativlos, sozusagen.
"Was ist eigentlich los mit diesem Fernsehen? Für wen machen die so ein Programm?", schimpfte sie, und ich überlegte ernsthaft, ob ich den Programm-Machern der Öffentlich-Rechtlichen mal eine Mutter-Rezension zukommen lassen soll.
Ihre rhetorische Frage musste ich nicht beantworten, weil sie gleich weiter sprudelte, und mir von einem Musikvideo auf MTV berichtete: "Eine Gruppe ist mit einem offenen Auto, so eins ohne Verdeck, herumgefahren - ein Kapriolett, oder wie das heißt. Und stell Dir vor: Da war eine echte Kloschüssel vorne auf dem Auto. Und auf der Kloschüssel saß einer drauf. Das ist doch lustig!"
Sie wunderte sich, dass ich nur müde schmunzelte.
"Naja", meinte ich, "du hast ja kein Internet. Da gibt's noch ganz andere lustige Sachen. Da würdest du dich wundern und hättest noch mehr zu lachen."
Während sie die Kloschüssel-Szene beschrieb, hatte sie wieder einen ihrer legendären Lachanfälle. In all der Aufregung mit dem Kapriolett muss ihr gestern ein Getränk umgefallen sein. Sie zeigte auf den Esstisch, an dem sie selbst nicht mehr sitzt, weil sie den Umstieg von ihrem Unterarm-Rollator auf einen normalen Stuhl nicht mehr schafft. Das ist zu wacklig, zu unsicher, und das traut sie sich nicht mehr. In letzter Zeit fallen ihr immer öfter und immer mehr Sachen aus der Hand, und jetzt fallen auch die Tassen um. Eine Schnabeltasse kommt für sie trotzdem nicht in Frage. Sie ist ja nicht in einer Anstalt.
"Schau mal, da auf dem Tisch, da ist ein Fleck!"
Ich inspizierte den Tisch - helles, unbehandeltes Naturholz, Landhausstil - und erkannte sofort: "Das ist der Fettfleck von der Pizza, die mein Bruder neulich mitgebracht hat."
Das Fett kriegt man kaum noch aus dem Holz raus, also hatte ich den Dingen ihren Lauf gelassen. Die nächste Pizza kommt bestimmt, und ich werde sicher nicht mit dem Schmirgelpapier gegen Pizzafettflecken vorgehen. Plastikuntersetzer sind im Mutterhaushalt tabu, und würden auch nicht helfen, weil der durchgefettete Pizzakarton sowieso größer ist, als das möbelschonende Tisch-Set.
Etwas später entdeckte ich den Fleck, den meine Mutter gemeint hatte: Es war Kaffee auf dem Stoff-Untersetzer, auf ihrem kleinen Beistelltisch. Dieser Fleck war durch bis auf die weiße Tischdecke darunter, eben diese auch ein Geschenk meines Bruders, und jetzt ein Fall für den Chlorreiniger.
Um sowas kümmert sich dann immer die Tochter? Ach ne, ich gebe die Tischdecke diesmal meinem Bruder mit. Der hat ja auch eine Waschmaschine. Ich könnte auch mal das Schmirgelpapier bereit legen.
Jetzt muss ich erst mal wieder staubsaugen und die Eichhörnchentränke nachfüllen. Pflanzen gießen auf dem Balkon kann ich mir sparen - dafür hatte ich ja himmlische Unterstützung angefordert. Die sollte ich vielleicht öfter und auch für andere Dinge beantragen. 😉

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