#Muttergeschichten
„Was hatte diese Mülltüte zu bedeuten?“, fragte meine Mutter, nachdem ich sie begrüßt hatte.
„Ich habe gestern Abend vergessen sie mitzunehmen“, sagte ich.
„Bei dir hat alles eine Bedeutung!“, fügte meine Mutter vielsagend hinzu, und stellte fest: „Das ist noch nie passiert!“ Es klang nicht vorwurfsvoll, vielmehr erstaunt.
Stimmt. Bis gestern Abend hatte ich noch nie eine Mülltüte im Flur an der Garderobe stehengelassen. Ich rechnete nach: Mehrere Jahre.
„Du bist doch sonst so genau“, merkte meine Mutter an. „Ich dachte es wäre ein Symbol, irgendeine Botschaft.“
„Eine Botschaft?“ Ich musste lachen. „An wen?“
„Naja“, sagte meine Mutter verschmitzt, „bei dir weiß man nie.“
Tags zuvor hatte ich ihr heimlich zwei kleine weiße Deko-Osterhasen ins Zimmer gestellt, die sie ziemlich schnell entdeckt hatte. Ja, die Hasen sind Symbole, für Ostern auf jeden Fall. Ich denke da auch an Mein Freund Harvey, oder Matrix: "Folge dem weißen Kaninchen, Neo…" Aber eine Mülltüte in der Ecke?
„Ich habe die Tüte da hingestellt, weil sie so dekorativ ist. Das ist das neueste Innenausstattungs-Design aus Schöner wohnen“, frotzelte ich.
„Ach, und ich dachte, du stellst dem Drachen eine Falle“, erklärte meine Mutter schelmisch.
Mit dem Drachen meinte sie eine Pflegekraft, die sie nicht besonders leiden konnte.
Nein, das ist nicht mein Stil. Meine Erklärung war viel einfacher, vielleicht zu banal für sie: „Es war wegen des Handwerkertermins heute. Ich habe einen Zettel an die Tür geklebt, damit er erst klingelt, wenn ich da bin. Dadurch habe ich vergessen, den Müll mitzunehmen. Es war ein Versehen.“
Der Handwerker, der den Gaszähler im Wandschrank austauschen sollte, war trotz meines wichtigen Zettels unverrichteter Dinge wieder davon gefahren. Den Servicewagen der Stadtwerke hatte ich noch gesehen, und einen Zettel im Briefkasten vorgefunden, dass ich einen neuen Termin vereinbaren sollte.
Herrjeh, bitte nicht! Der Inhalt des besagten Wandschranks lag in meinem Arbeitszimmer, und da sah es jetzt aus wie bei einem Messie. Ich ließ meine Mutter mit ihren Mülltütenspekulationen erst einmal allein, eilte ans Telefon und wählte die auf dem Benachrichtigungszettel angegebene Nummer. Eine Computerstimme, teilte mir mit, dass diese Nummer nicht existierte. Ja wie auch?! Ich hatte die Gerätenummer meines Gaszählers gewählt. Wenn‘s schief läuft, dann richtig, das ist Chaostheorie in der praktischen Anwendung.
Aber es hätte noch viel schlimmer kommen können: Die Nummer hätte ja auch zu irgendeinem Privatanschluss führen können. Dann wäre ein ahnungsloser Mensch ans Telefon gegangen, dem ich erzählt hätte, dass sein Mitarbeiter gerade weggefahren ist, und bitte nochmal wiederkommen soll. Ich kenne das. Ich spreche oft mit Menschen, die eigentlich die Service-Hotline eines Möbelhauses erreichen wollen. Das ist fies. Wenigstens ist uns diese zusätzliche karmische Verwicklung erspart geblieben.
Nachdem ich die richtige Nummer gewählt, und mit einem hilfsbereiten Mitarbeiter der Stadtwerke gesprochen hatte, kam der Servicetechniker tatsächlich eine halbe Stunde später zur Montage. Der Pflegedienst hatte die vergessene Mülltüte entsorgt, und nachdem der Gasgeruch aus dem Wandschrank entlüftet war, konnte ich den Schrank wieder einräumen. Der Techniker hat meiner Mutter glaubhaft versichert, dass es seit 1995 in München keine Gasexplosionen mehr gegeben hat, und so ist mein Dienstagvormittag doch noch glimpflich zu Ende gegangen. Vor dem nächsten Handwerkertermin werde ich dennoch vorsorglich ein Coaching-Gespräch bei meinem Freund Harvey buchen. Ich muss besser auf solche Situationen vorbereitet sein.
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