Dienstag, 25. Februar 2025

Augen-Blicke

26 mm | 1/17 s | f2,2 | ISO 1600 | Smartphone

#Auge einer #Porzellanpuppe
#Muttergeschichten #Pflegeheim

Ich finde es immer wieder faszinierend, dass es fürchterlich unordentlich wird, wenn man konsequent Ordnung schaffen will. Das ist ein Paradoxon, also eine Art Widerspruch in sich selbst, aber trotzdem irgendwie logisch: "Die Analyse von Paradoxien kann zu einem tieferen Verständnis der betreffenden Gegenstände bzw. Begriffe oder Situationen führen, was den Widerspruch im besten Fall auflöst", meint Wikipedia. Dem stimme ich zu: Erst räumt man den ganzen Quatsch aus dem Schrank raus. Während man das Zeug sortiert, herrscht im Raum und am Boden überall Chaos. Anschließend räumt man alles hübsch ordentlich wieder ein oder weg. Um den Widerspruch Un/Ordnung aufzulösen, ist der Zeitfaktor entscheidend, aber ich fange jetzt nicht wieder mit der Relativitätstheorie an. Im Mutterhome war es nicht relativ sondern ABSOLUT ordentlich, und jetzt bin ich der #General, der alles durcheinanderbringt. 

Halten Sie an dieser Stelle bitte kurz inne und seufzen sie ganz tief. Verbinden Sie dieses Gefühl mit dem Begriff "Haushaltsauflösung".😩😥

So eine Aktion durchzuziehen, nachdem jemand gestorben ist, ist die eine Sache. Es zu tun, während die Person noch lebt, ist nochmal was anderes. Im Mutterhome gibt es viele Dinge, die nicht wertvoll, meiner Mutter aber ans Herz gewachsen sind. Für so manches gute Stück gibt es langfristig keine Weiterverwendung. Jedes Mal, wenn ich ins Heim gehe, habe ich irgendwas im Rucksack, stets Kleinigkeiten, weil im Doppelzimmer nicht viel Platz ist. Der Kleinigkeiten gibt es viele, und die wollen jetzt alle sortiert, versorgt oder entsorgt werden, bevor die Handwerker kommen. Alles muss aus Schränken und Regalen raus, damit die Möbel von der Wand gerückt werden können - auch in meinem Arbeitszimmer. Der große Reset steht an.

Im Mutterhome sieht's noch nicht, aber fast so aus, wie bei den vielzitierten Hempels unterm Sofa, und dieser Spruch ist Mobbing, vor allem wenn Sie Hempel heißen, und auch noch super ordentlich sind. 😅
Während ich heute früh im Keller auf der Suche nach vorsorglich gehorteten Umzugskartons war, die natürlich im hintersten Eck zusammengeklappt stehen, hat mir ein Nachbar einfach das Licht ausgeknipst. Er dachte, es hätte wieder jemand vergessen, die Lampen auszuschalten. Okay, ich war nicht laut genug am Herumwühlen, eingeklemmt zwischen dem Original-Verpackungskarton der WC-Sitzerhöhung und anderen toxischen Kisten, die noch seit meiner Büroauflösung im dunklen Keller herumgammeln. Am einfachsten ist der mit den Steuerdokumenten, die längst in den Schredder gekonnt hätten, genau wie die Stehsammler mit alten Mutterdokumenten. Familienhistorisch relevante Unterlagen hatte sie längst vernichtet, dadurch ließen sich etwaige unangenehme Fragen stets mit  "weiß ich nicht" beantworten. Ich weiß momentan auch nicht, wie schnell ich mit dieser Sortier- und Entrümpelungsaktion vorankomme, oder ob wir vorher einen neuen Papst bekommen.

Für Polit-Debatten war meine Mutter gestern nicht aufgelegt, erklärte gar, sie habe nicht mal die Wahlsendung verfolgt. Der erstaunte Widerspruch der neuen Mitbewohnerin ereignete sich spontan, blieb seitens meiner Mutter aber unkommentiert. Im TV lief eine Dokumentation auf 3sat, also auch nicht das, was meine Mutter üblicherweise medial "zu sich nimmt". Einen Ausflug in den Garten gab es auch nicht, zu kalt. Also fragte ich, was es Neues gäbe, und es folgte der Pflegepersonal-Bericht. Wenn man morgens falsch angezogen wird, und das Unterhemd nicht genau so angezogen wurde, wie man es gerne hätte, wird der Spruch, dass einem das Hemd näher ist als die Jacke ganz konkret. Die Strickjacke sollte ich ihr auch aus dem Schrank holen, weil der morgens gewählte, dünne Pullover im Tagesverlauf doch nicht warm genug war.
Anschließend sollte ich ihren Beistelltisch aufräumen, damit da nicht so viel herumsteht, und es sonst so unordentlich aussieht. Wenigstens konnte ich mit einem Mitbringsel punkten: Eine heißgeliebte Deko-Ente aus Holz. Die hatte ich aufs Regal gestellt, während meine Mutter im Bad war, und ich war gespannt, wie schnell sie das neue Deko-Objekt über ihrem Bett entdecken würde. Es dauerte eine ganze Weile und ich habe ein wenig nachgeholfen, dann war die Freude groß. 😀
Als ich meine Mutter fragte, welche Gegenstände sonst noch gerne bei sich hätte, schaute sie mich verwirrt an, und meinte: "Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, was ich alles habe."

Das hat mich in diesem Moment schon erstaunt, aber ich glaube den meisten von uns würde es ähnlich gehen. Die Erinnerung verblasst schnell, wenn man sich zwei Monate weg von zuhause, und in einer völlig neuen Umgebung befindet. Könnten Sie dann - jenseits der großen Möbelstücke - noch aufzählen, was Sie alles in Ihren Schränken, an den Wänden und im Keller haben? Sogar Bilder an der Wand werden im Lauf der Jahre 'unsichtbar', solange immer alles am gleichen Platz steht oder hängt. Krümel oder Flecken auf dem Teppich, die nicht da hin gehören, ein falsch zusammengelegter Pullover, Falten in den Vorhängen oder Wasserränder von Trinkgefäßen stechen meiner Mutter sofort ins Auge. Wenn dann auch noch jeden Tag jemand anderes das Bett macht, und die Decken nicht ordentlich genug glattzieht... grüßt wieder das altbekannte Murmeltier. 😅 Ja, ich hatte keine einfache Kindheit, aber wenn man eine Karriere als General vor sich hat, ist akkurates Aufräumen Teil der frühkindlichen Grundausbildung. 🎖

"Die wollen mich hier behalten", berichtete meine Mutter noch, weil sie 'zu einem Gespräch bei der Leitung' vorgeladen worden sei. Zuerst hatte sie gedacht, dass man ihr wegen ihres aufmüpfigen Verhaltens eine Rüge erteilen würde, doch anscheinend geschah genau das Gegenteil: Sie sorgt für frischen Wind auf der Station, darum ist sie unverzichtbar, so habe ich ihre Schilderung jedenfalls verstanden.
Die Maggi-Flasche, die ich meiner Mutter nach wiederholten Klagen über das geschmacklose Essen mitgebracht hatte, macht inzwischen am gemeinsamen Mittagstisch die Runde. Das Gewürz wird also schneller leer sein als im Mutterhome. Gut, dass ich beim letzten Supersonderangebot zwei Flaschen auf Vorrat mitgenommen hatte. Die bringe ich auf jeden Fall ins Heim, allein schon deshalb, damit ich im Küchen- und Vorratsschrank etwas mehr Platz beim Auf- und Umräumen habe. 😂

Siehe auch: Nobel, Fünf Minuten Frieden, (Un)OrdnungEntrümpeln: Jeden Tag ein Ding, Alter Krimskrams, Materie bindet, Erbstücke, Mutternproblem, Alles Banane?, Heute ist wieder so ein Tag, Hundefutter

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