Dieser Artikel ist Teil der Serie: Manipulationstechniken, die Sie kennen sollten.
Methode 9: Selektive Information
Als kluger Mensch informieren Sie sich vor einer wichtigen Entscheidung, Sie wägen mögliche Vor-und Nachteile ab. Dazu benötigen Sie nicht viele gleichlautende, sondern unterschiedliche und möglichst differenzierte Informationen. Wichtig ist, dass sowohl die positiven wie auch die negativen Aspekte angesprochen werden. Das macht die Entscheidungsfindung natürlich anstrengender. Weil wir uns in permanenter Zeitnot wähnen, und auch ein bisschen bequem sind, ist die Verlockung groß, sich der Herde anzuschließen: Was haben andere Leute gekauft? Sie kennen diese Funktionen aus dem Onlinehandel. Tausende Kunden können sich nicht irren... (Methode 4).
Für jemanden, der Ihnen etwas verkaufen oder Sie von etwas überzeugen will, ist es also von Vorteil, wenn Sie bei der Suche nach Informationen überall die gleich guten Argumente finden. Dabei greift auch Methode 7: Steter Tropfen höhlt den Stein. Ein oder zwei Ausreißer, die wahrscheinlich an allem etwas herumzumäkeln haben, kann man getrost ignorieren. Auch bei Umfragen zu allen möglichen Themen orientieren wir uns unbewusst an der übermittelten Mehrheitsmeinung. Wie diese zustandegekommen ist, hinterfragen wir selten. Experten sind am Werk, Methode 6: Der Hinweis auf ein renommiertes Institut und eine "repräsentative Gruppe" reichen aus. Man sollte nicht hinter jeder Information automatisch einen Betrugsversuch wittern, sonst wird man zum 'Verschwörungstheoretiker' und des Lebens nicht mehr froh. Blindes Vertrauen wäre naiv.
Halbwahrheiten
Das Betonen oder auch das Weglassen von wichtigen Informationen oder kritischen Details ist gängige Praxis bei jeder Art von Überzeugungsarbeit. Ein guter Verkäufer wird Ihnen
natürlich nicht erzählen, dass der Wagen, den Sie kaufen wollen, im realen Fahrbetrieb mehr Sprit verbraucht oder mehr Abgase ausstößt, als im Produktdatenblatt angegeben wurde. Produkt- oder Leistungsbeschreibungen sind Lobreden, die stets die Vorteile hervorheben. Wir wissen, dass das so ist, darum lesen wir Kundenbewertungen.
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass auch Erfahrungsberichte und Studien gekauft und somit manipuliert sein können. Kundenorientierte Verbraucherportale oder Personen, die nachforschen und aufklären, mit welchen (legalen) Tricks gearbeitet wird, bringen immer wieder 'Skandale' ans Licht. Die aufgedeckten Lügen der Vergangenheit werden nicht die letzten gewesen sein. Wer die Informationshoheit hat, und störende Gegenargumente kleinreden oder gar verhindern kann, hat erst mal die Nase vorn. Solange das Vertrauen hält kann man Kasse machen, und sich gleichzeitig für die nächste Phase eine angepasste Kommunikationsstrategie zurechtlegen: Wir haben Fehler gemacht, wir wussten es nicht besser, jetzt ist alles anders. Blah.
Ein guter Ruf, neudeutsch "gutes Image" ist extrem wichtig, darum gibt es viele >Imagekampagnen. Rufschädigung ist im Gegenzug ein probates Mittel, um Gegner oder Konkurrenten aus dem Feld zu drängen. Unsere Gehirne reagieren auf negative Informationen erheblich stärker als auf positive oder neutrale. Darum bleiben Gerüchte latent im Gedächtnis, selbst wenn sie sich längst als falsch herausgestellt haben. (>Negativitätsverzerrung)
Augen zu und durch
Sobald ein Thema mit hohen Profiten verbunden und/oder politisch ist, müssen Sie damit rechnen, dass Sie mehr Halbwahrheiten darüber finden als ausgewogene Informationen. Umfassende Analysen sind meistens so komplex wie 180 Seiten kleingedruckte AGB, die auch keiner durchlesen mag. Wir setzen unser Häkchen und hoffen, dass es schon gut gehen wird. Wenn wir - Jahre später - erfahren, dass man uns über den Tisch gezogen hat, kocht die Empörung hoch, doch dann ist schon die nächste Sau in Sicht, die durchs Dorf getrieben wird. Es muss gar kein gezieltes Ablenkungsmanöver sein: die Welt ist groß und abwechslungsreich genug, um in der Informationsflut schnell wieder abgelenkt zu sein.
Seufzend nehmen wir zur Kenntnis: reingefallen. Beim nächsten Mal wissen wir es besser? Vielleicht. Sobald eine gewisse Zeit verstrichen ist, funktioniert eine erprobte Methode erneut: Illegale Schneeballsysteme verbreiten sich über soziale Medien und richten sich an junge Erwachsene. Die nächste oder übernächste Generation erinnert sich nicht an den Schnee von gestern, das ist zu weit weg und damals war alles ganz anders. Das kann man nicht vergleichen. Vielleicht ist das schon ein Vorgriff auf Methode 10, eine Killerphrase?
Augen geradeaus!
In einer Verkaufs- oder Überzeugungskampagne sollen keine irritierenden Widersprüchlichkeiten aufkommen, und falls doch, werden
sie am besten von Experten so gut erklärt, dass am Ende keine Zweifel mehr bestehen (Methode 6). Whistleblower und unabhängige Quellen sind Gold
wert, aber wer ist schon wirklich unabhängig oder gar neutral? Man kann für alles gute
Argumente finden. Sogar für Aliens im Wandschrank, wenn's sein muss. Die
sind halt unsichtbar, genau wie der liebe Gott, und der ist über jegliche Kritik erhaben.
Wenn die Meinungs- und Informationsfreiheit in Bedrängnis geraten, wird es ungemütlich. Neulich habe ich eine Zeitschrift der Zeugen Jehovas durchgeblättert und war erstaunt: Die Texte waren hoch wissenschaftlich und die Argumentation bemerkenswert... nur den Schlüssen, die aus den Fakten gezogen wurden, konnte ich nicht folgen. Es passt nicht in mein Weltbild, aber jeder hat ein anderes. Und so wird jede/r von anderen Informationen angezogen. Faktenchecks sind in diesen Zeiten bitter notwendig, aber was würde ich tun, wenn eines Tages die genannten 'Zeugen' als offizielle und renommierte Faktenchecker unterwegs wären, deren Einschätzungen niemand hinterfragen dürfte?
Die Zeiten ändern sich... und wir uns mit ihnen?
Was in einem Jahrhundert für recht und gut gehalten wird,
kann in einem andern unrecht und unpassend sein.
Dieses Zitat stammt von Thomas Paine, einem der Gründungsväter der USA. Soweit ich das überblicke, hat er es mit der Demokratie sehr ernst gemeint, war aber bei seinen Zeitgenossen mit seinen Ansichten in Ungnade gefallen. "Er glaubte, dass wahre Religion darin besteht, Gerechtigkeit zu üben,
Erbarmen zu haben und unsere Mitmenschen glücklich zu machen." Lesen Sie seine gesamte Biographie durch, wenn Sie Wikipedia vertrauen, denn auch die steht in der Kritik.
Geschickte Rhetorik
Bei den weiterführenden Links finden Sie auch einen Wikipedia-Link zu
den Zeugen Jehovas. Beim Lesen war ich etwas irritiert darüber, wie
eloquent der Artikel über die Kritikpunkte (Abschnitt Kontroversen)
dieser Glaubensgemeinschaft hinwegdriftet. Es ist generell klug, die Nachteile und Kritikpunkte zu erwähnen, und
gleichzeitig elegant zu entkräften. Am besten liefert man gleich so viele gute Argumente mit, dass der Nachteil am Ende des Satzes in Vergessenheit gerät: "Es stimmt, dass dieser Wagen elend
viel Sprit verbraucht, aber dafür ist er in seiner Klasse dank
Ultraleicht-Bauweise einer der sparsamsten, und dank Honkitonki-Spoiler
mit Überrollbügel und Turboflunsch auch einer der sichersten. Das bestätigen alle Crashtest-Dummys." 😁 Lassen Sie sich nicht einlullen.
Orientierung im Informationsdschungel
Die Qualität Ihrer Entscheidungen hängt von der Qualität der Informationen ab, die Ihnen zur Verfügung stehen. In Zeiten von Fake News und kommerzieller Kommunikation ist es eine Herkulesaufgabe, diese Informationen einzuordnen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Das überfordert uns, und am Ende sind wir froh, wenn wir einfache Lösungen finden. Es sind nicht automatisch die besten. Das böse Erwachen kommt erst Jahre später, wie bei der Privatisierung von öffentlichen Aufgaben oder Sozialwohnungen.
Achten Sie nicht nur auf die Informationen selbst, sondern auch auf deren Quellen, und den Kontext, in dem sie präsentiert werden. Beobachten Sie Ihre Gefühle, Ihre körperlichen Reaktionen und Ihre Gedanken.
Wenn Sie sich überfordert fühlen, gehen Sie erst einmal auf Abstand. Kommen Sie zur Ruhe, nehmen Sie sich Zeit, und lassen Sie sich nicht zu einer Entscheidung drängen. Morgen ist auch noch ein Tag, außer wenn Methode 2 im Spiel ist. Dann müssen Sie natürlich sofort tun, was alle anderen auch tun (M4), und was von führenden Experten (M6) empfohlen wird. 😁 Halten Sie die Augen auf.
Zur Übersicht Manipulationstechniken
Weiterführende Links
- Imagekampagne (Werbebanner24)
- Rufschädigung (Deutsche Anwaltshotline)
- Menschen reagieren stärker auf schlechte Nachrichten als auf gute (Tagesspiegel, 2019)
- Negativity Bias / Negativitätsverzerrung (Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik)
- Network Marketing: Schneeballsysteme in sozialen Netzwerken (checked4you, 2019)
- Whistleblower (Wikipedia)
- Zeugen Jehovas (Wikipedia)
- Thomas Paine (Wikipedia)
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