#Schneeeule |
Wat den eenen sin Uhl is den annern sin Nachtigall.
Was für den einen eine Eule ist, ist für den anderen eine Nachtigall. Die Eule galt früher als Unglücksbringer, die Nachtigall wird als Singvogel traditionell mit Glück in Verbindung gebracht. Dieser plattdeutsche Spruch meint also: Jeder sieht die Sache aus seiner Perspektive, oder "Über Geschmack lässt sich nicht streiten", weil jeder einen anderen hat.
Mir ist dieser nette Spruch so geläufig, weil mein Mann aus Bremen stammt, und Plattdeutsch kann. Auch nach fünfundzwanzig Jahren in Bayern lässt er gelegentlich solche Sätze los. Zunächst wollte ich "Wir sind einer Lüge aufgesessen" als Überschrift verwenden, aber das klingt so vorwurfsvoll. Damit würde ich mehr Leser:innen anziehen, doch nein. Ich will Sie unterhalten, im besten Sinne des Infotainment. Das ist eine Mischung aus Information und Entertainment (=Unterhaltung).
Worum geht's, was hat mich da im Internetz schon wieder angesprungen?
Es war ein Artikel beim Businessinsider: „Wir sind einer Homeoffice-Lüge aufgesessen: Expertin erklärt, warum
Arbeiten von Zuhause für viele in völliger Überforderung endet." Das hat mich neugierig gemacht und Assoziationen geweckt.
Ah, eine Expertin spricht. Und: Wer hat denn da gelogen?
Gelogen hat niemand. Die "Homeoffice-Lüge" ist vor allem eine Selbsttäuschung, basierend auf falschen und/oder zu hohen Erwartungen. Darum ist es gut, dass so viele Menschen die Gelegenheit hatten, dieses Arbeitsmodell selbst auszuprobieren. Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall.
Ich selbst kannte das Homeoffice-Modell schon aus der Zeit, als ich noch in einem großen Unternehmen tätig war. Morgens eine Runde joggen anstatt zu pendeln - wunderbar. Mehr Ruhe und Konzentration bei der Arbeit - hervorragend. Mittagessen? Schon schwieriger, wenn man nicht zu Fast Food greifen will. Nichts essen ist auch keine Lösung, weil es die Konzentration beeinträchtigt und schlechte Laune befördert.
Als die Homeofficepflicht unlängst eingeführt wurde, dachte ich nur: Au weia! Für
manche Leute ist es super, für die meisten eher nicht. Es kommt darauf
an, wie man sich das Arbeiten von Zuhause aus einrichten kann: räumlich, zeitlich und zwischenmenschlich.
Das Homeoffice ist ...
ein Arbeitsplatz in einer anderen Umgebung und mit komplett anderen Rahmenbedingungen. Mit Kindern, einem Partner und einem Hund, irgendwo an einem Küchentisch oder auf dem Sofa arbeitend wünscht man sich schnell das klassische Büro zurück. Selbst wenn man eine gute Arbeitsinfrastruktur hat - also einen schnellen Internetzugang, alle Geräte, einen ordentlichen Schreibtisch, und vor allem einen ergonomischen Arbeitsstuhl - braucht es Zeit, bis sich ein Tagesrhythmus einstellt, der allen Bedürfnissen gerecht wird. Je weniger Leute involviert sind, desto eher funktioniert es. Und dann ist da noch diese Sache mit der Selbstdisziplin und dem strukturierten Tagesablauf. Der klassische Büroalltag sorgt für eine gewisse Disziplin, weil man unter Beobachtung steht. Die Meetings und der zeitliche Rahmen tagsüber sorgen für die Grundstruktur im Ablauf. Im Homeoffice wird beides schnell diffus.
"Zu verlockend scheint der Gedanke, zwischen zwei Meetings mal eben die Wäsche zu waschen."
Wie bitte? Ich bin [bis 2023] noch nie auf den Gedanken gekommen, zwischendurch die Waschmaschine anzuschmeißen, nicht mal bei der Pflege im Mutterhome. Ich bin eine "Homeoffizierin", so nennt die Expertin Menschen, die ihren Tag strikt durchorganisieren. Ebenfalls gut geeignet fürs Homeoffice sind die sogenannten "Durchlässigen". Damit sind Menschen gemeint, die eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Pausen finden.
Ich habe feste Zeiten: Zwischen morgens kommen und abends gehen gibt es Zeitblöcke. Die sind variabel, je nachdem, was ansteht: Einkaufen, Hausarbeit und Pflege, organisatorische Notwendigkeiten, und zuletzt mein eigener Kram, zu dem das Schreiben dieser Blogartikel gehört. Das betrachte ich momentan als meinen Beruf, weil meine Fähigkeit Texte zu schreiben nachlassen würde, wenn ich nicht ständig trainiere. Es gibt ein Leben nach der Pflegephase. (Die Frage ist nur wann.)
Planen Sie den Homeoffice-Tag und reduzieren Sie Ablenkungen
Wäre ich nicht so stringent in meinem Tagesablauf, würden auch bei mir diverse Ablenkungen Überhand nehmen. Man daddelt so herum, und fragt sich hinterher, wo die Zeit geblieben ist. Das habe ich schon erlebt, und es fühlt sich echt scheiße an. Jetzt sitzt jeder Handgriff im Haushalt, und das Essen ist in 30 Minuten fertig. Würde ich auf jeden kleinsten Quak reagieren, den meine Mutter im Zimmer nebenan von sich gibt, käme ich zu nichts. Natürlich weiß ich, wann sie meine Hilfe wirklich braucht, und wann es ihr einfach nur langweilig ist. Social Media Aktivitäten habe ich zu 95% eingestellt, und nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen.
Ein Zen-Schüler fragt seinen Meister: „Was unterscheidet den Zen-Meister von einem Zen-Schüler?“ Der Zen-Meister antwortet: „ Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.“
Tja, wir leben nicht in einem Zen-Kloster mit überschaubaren Aufgaben wie essen und schlafen, aber wenn ich Geschirr spüle, dann spüle ich Geschirr, und gehe nicht ans Telefon. 😏
Alles unter einem Hut?
Homeoffice kann das Gegenteil bewirken:
- Selbst oder gerade wenn man seinen Beruf liebt, ist die Gefahr sich darin zu verlieren, und zu viel zu arbeiten riesengroß. Bei Freiberuflern tritt das Privatleben in den Hintergrund, Freunde verschwinden. Die Sinnkrise und / oder ein Burnout folgen auf leisen Sohlen.
- Wenn man seinen Job nicht so gerne macht, bietet das Homeoffice eine Möglichkeit, dem Privatleben mehr Raum einzuräumen. Die Expertin nennt solche Menschen "Privatiers". Für Unternehmen sind diese Mitarbeiter:innen kein Vorteil, aber
- die Mehrheit der Homeoffice-Belegschaft arbeitet zuhause mehr und länger als im Büro. Sogenannte "Außendienstler" neigen dazu, sich zu überarbeiten. Das Private wird hintenan gestellt, die Verpflichtungen an allen Fronten erscheinen übergroß.
- Wenn man im Homeoffice total allein ist, besteht die Gefahr der Vereinsamung, und es gibt Motivationsprobleme.
Mehr Balance durch klare Trennung von Beruf und Privatleben
Im Homeoffice gelingt das nur durch Disziplin und klare Regeln. Diese Regeln werden durch die Arbeit selbst und die unvermeidlichen Termine vorgegeben, aber auch selbst definiert. Als Nachtmensch werden Sie später aufstehen und später aufhören, als Frühaufsteher:in sitzen Sie vielleicht schon um sieben Uhr morgens am Computer. Amüsanterweise tauchen diese Vogelarten als "Eule" für Nachtmenschen und "Lerche" für Frühmenschen hier wieder auf. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche... aber beide sind Sperlingsvögel, die frühmorgens zwitschern. 😉
Nachdem ich zu Beginn meiner Selbständigkeit sechs Jahre ausschließlich
im Homeoffice gearbeitet hatte, war ich überglücklich, als ich mir ein externes Büro anmieten konnte. Es war für mich die perfekte Art zu arbeiten. Jetzt müssen bei mir die Mutterpflege, der Beruf und das Privatleben getrennt, aber auch miteinander in Einklang gebracht werden. Das ist wie Jonglieren. In meinem Fall sind es nur drei Bälle. Deswegen gilt mein Mitgfühl all jenen, die es härter trifft, weil sie neben Beruf, Haushalt und Partnerschaft auch noch Kinder betreuen und das "Homeschooling" bewältigen müssen. Schlimme Wörter, die sich da eingebürgert haben, aber das ist ein anderes Themea.
Auch wenn es krass klingt: Ohne eine gewisse Härte Ihren Liebsten gegenüber kommen Sie im Homeoffice unter die Räder. Anfangs habe ich noch freundlich gefragt, "Wie hättet ihr es denn gerne?" Drei Leute, vier Wünsche und mehr Chaos als Lösungen. Klare Ansagen gefallen nicht jedem, aber am Ende des Tages sind die Aufgaben erledigt.
[Nachtrag 2024: Die neue Realität hat mich eingeholt. Inzwischen wasche ich die Wäsche zwischendurch, und muss mich um meine Mutter kümmern, wie um ein kleines Kind. Die häusliche Betreuung ist zum Hauptberuf geworden, an Arbeiten wie ich es von früher gewohnt war, ist nicht mehr zu denken. Die Folge: Depressionen 😰 > Therapie und eine schrittweise Rückkehr zu einem balancierten Tagesablauf im und jenseits des Homeoffice.]
Sie haben nichts von alledem?
Die letzten zwei Jahre haben viele "Kollateralschäden" verursacht: Menschen, die keine Arbeit, keine Familie, keinen Partner, keine Aufgabe, und mitunter nicht mal eine Idee haben, wo es künftig hingehen könnte. Vielleicht haben Sie Lust, sich in der Nachbarschaftshilfe zu engagieren. Viele alte Menschen, die noch zuhause wohnen, brauchen jemanden, der für sie einkaufen geht, weil sie das selber nicht mehr schaffen. Sie brauchen vor allem Ansprache gegen die Einsamkeit. Für derlei Tätigkeiten gibt es im Monat auch ein Budget von der Pflegekasse, wenn mindestens Pflegegrad 1 festgestellt wurde. So eine Tätigkeit muss man mögen. Aber wie wir gelernt haben: Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall.
- „Wir sind einer Homeoffice-Lüge aufgesessen“: Expertin erklärt, warum Arbeiten von Zuhause für viele in völliger Überforderung endet (Businessinsider)
- Ehrenamtliche Tätigkeit - Besuchsdienst für Senioren, zum Beispiel via DRK
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen