Freitag, 16. Dezember 2022

Jetzt denken Sie doch endlich positiv!

Es ist schon wahr: Dieser grinsende kleine Dino mit seinem freundlichen Lächeln sorgt automatisch für gute Laune. Bei Ihnen nicht? Macht nix. Sie müssen nicht fröhlich oder gar glücklich sein, wenn Sie es gerade nicht sind. Was glauben Sie, wie oft ich schlechte Laune habe. Mein Mann sagt dann: "Ah, es ist wieder Montagmorgen."
Recht hat er. Diese fiese Montagmorgenlaune hatte ich "früher" nicht so oft. Früher heißt in diesem Fall: Bevor das mit der häuslichen Pflege anfing. Je länger das andauert, desto grundgestresster bin ich. Meiner eigenen Gesundheit tut das definitiv nicht gut, darum muss ich mein Verhalten ändern. Wahrscheinlich wissen Sie aus eigener Erfahrung, wie schwierig das ist. Schwierig heißt nicht unmöglich.

Schlechte Laune ist purer Stress
Es ist gut, wenn man das merkt oder gesagt bekommt, bevor man andere Leute genervt anblafft. Ein bisschen Selbstdisziplin tut Not. Sie kennen diese kreisförmigen Wellen, die sich ausbreiten, wenn man einen Stein ins stille Wasser wirft. So still und ruhig zu sein wie dieses Wasser gelingt mir selten, aber ich habe gelernt, wie ich diese Ruhe vergrößern kann. Das gelingt mir durch Meditation, Achtsamkeit und durch ein paar psychologische Methoden aus der großen Trickkiste meines Mannes: NLP, Positive Psychologie. Das hat mir schon vor vielen Jahren sehr geholfen, und es hilft mir jeden Tag. Diese Techniken haben aber auch ihre Grenzen und, wie es so schön heißt, gewisse Risiken und Nebenwirkungen. 

Glücklichsein lässt sich nicht erzwingen
Als die arte-Dokumentation "Glücklichsein um jeden Preis" ausgestrahlt wurde, hatte ich angefangen diesen Artikel zu schreiben. Dann kam die Doku "Arbeit ohne Sinn".

Um die Kritik an der positiven Psychologie besser einordnen zu können, braucht man eigentlich fundiertes Hintergrundwissen über die verschiedenen "Richtungen" in der Psychologie, und deren jeweiligen Methoden.

  • Die klassische Psychoanalyse dauert lang, der Therapeut oder die Therapeutin dient als zentrale Figur, durch die Patient*innen unbewusste Verhaltensmuster ausagieren und verstehen lernen (sollen). In der französischen TV-Serie In Therapie kann man diese Methodik ganz gut beobachten. 
  • In der Verhaltenstherapie geht es um das Erkennen ungünstiger Denk- und Verhaltensmuster und deren zeitnahe Veränderung. Die Ursachen spielen eine untergeordnete Rolle, Hauptsache man kommt nach der Therapie im Alltag besser klar. Das ist sehr zielorientiert, pragmatisch und nützlich.
  • Die Tiefenpsychologie verbindet grob gesagt diese beiden Richtungen, also die Suche nach den Ursachen, wobei der Fokus auf den angestrebten Verhaltensänderungen liegt. 
  • Die systemische Therapie wurde vor kurzem (2020) ebenfalls in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen. "Eine gestörte Psyche ist Ausdruck eines gestörten Systems" - hier geht es schwerpunktmäßig um die Beziehungsgeflechte, zum Beispiel innerhalb von Familien. 

Grundsätzlich sollen alle Therapieformen dabei helfen, psychische Probleme zu reduzieren, und den Menschen wieder gesellschafts- und/oder arbeitsfähig zu machen. Glücklich sein war und ist nicht das primäre Ziel einer Therapie. Allerdings weiß man auch: Wer glücklich ist, wird seltener krank und 'funktioniert' besser. Das hat speziell die Positive Psychologie erkannt, darum ist sie auch in der Wirtschaftswelt so beliebt. Über die letzten Jahrzehnte hat sich dieses anfangs belächelte "positive Denken" überall breit gemacht. Manchen Leuten geht es richtig auf die Nerven, und ich kann sehr gut verstehen, warum.

Brainwashing mit Weichspüler
Wer könnte schon etwas dagegen haben, sich in eine grundsätzlich positivere Lebensstimmung versetzen zu lassen, glücklicher zu sein, und besser mit den alltäglichen Problemen klarzukommen? Es funktioniert. Das reicht aber nicht mehr: Seien Sie erfolgreich, schön, und lächeln Sie alles Störende weg. Sie wissen ja, wie das geht.
Wer profitiert davon? Die Win-Win-Situation wird gerne zitiert: Sie sind zufrieden, Ihr Unternehmen hat Vorteile. Wo ist das Problem? Das wird in der Dokumentation Glücklichsein... gut beschrieben. Irgendwann dreht sich der Spieß um: Sie denken nicht positiv genug. Mit Ihnen stimmt also etwas nicht, wenn sie am Montagmorgen schlecht gelaunt im Büro einlaufen. Es kann nicht an den Arbeitsbedingungen liegen. Sie passen einfach nicht in dieses tolle Team und in diese tolle Firma. Machen Sie mal ein Optimismus-Seminar, damit es mit der Motivation wieder klappt. 

Nein. Es ist völlig normal, wenn man auch mal traurig oder wütend ist! Das ist menschlich, und das muss man nicht mit der Gute-Laune-Spritze behandeln. Es geht normalerweise von allein wieder vorbei. Steckt man zu lange im falschen Leben fest, werden die Symptome massiver. Ist aus dem Burnout eine echte Depressionen geworden, ist die Positive Psychologie wirkungslos.

Ich bin doch nicht verrückt!
Bei den klassischen Therapieformen geht es ans Eingemachte. Alte Wunden brechen auf, das tut weh, es kommt zu Rückfällen und Rückschlägen. Man fühlt sich mitunter richtig schlecht. Scheiß Therapie!
Hier setzt die Positive Psychologie an. Sie nimmt eine Abkürzung, konzentriert sich auf das Positive und versucht, die Stärken eines Menschen zu fördern. Mit einem Werkzeugkasten aus verschiedenen anderen Therapieformen, Entspannungstechniken, Meditation und hypnotischen Ansätzen, die alle in sich gut sind (!), erlebt man mitunter sehr schnell wunderbare Erfolgserlebnisse. Problem gelöst, alles supi!? Jein. Man lernt Methoden, wie man sich aus kleineren Krisen und misslichen Lagen befreit, dadurch wird man definitiv stärker und kann sich selbst besser helfen. Es gibt aber auch die größeren und großen Krisen.

Alte Muster haben die Angewohnheit, sich hartnäckig zu melden, ich würde sie als "Wiederholungsschleifen" bezeichnen. Zu erkennen sind sie an Lebenssituationen, die man magisch anzieht: Immer wieder falsche Partner oder Trennungen, Ärger mit Autoritätspersonen oder im Team, manchmal auch Gesundheitsprobleme. Meine gelegentlich auftretenden Rückenschmerzen gehören in diese Kategorie.

Optimismus ist kein Dauerbrenner
Die Kraft, die notwendig ist, immer gut drauf zu sein, und Optimismus zu versprühen, muss man auch erst mal aufbringen. Wenn die Batterie leer ist, kommt die depressive Phase - "Burnout". Es sind tiefer liegende Denk- und Verhaltensmuster, die eine Weiterentwicklung ("Heilung" von alten Wunden) behindern. Mit Optimismus und Tschakka! allein ist das nicht aus der Welt zu schaffen. Wohlfühl-Veranstaltungen, in denen gruppendynamischer Optimismus versprüht wird, und der musikalisch sorgsam untermalt, funktionieren wie Schmerztabletten. Sie lindern die Symptome, ohne die Ursache zu beseitigen. Für manche Menschen ist so etwas phasenweise sinnvoll, andere brauchen danach den regelmäßigen Kick in Form einer Folgeveranstaltung. Da geraten sind Sie schnell in die Hände von Erfolgsgurus, die sich eine goldene Nase verdienen.

Neoliberales Instrument zur Leistungssteigerung
Der vordergründige, ja beinahe zwanghafte Gute-Laune-Modus ist oft nur eine Fassade, hinter der es bröckelt. Die Anzeichen dafür kann man lange ignorieren oder verleugnen. Wenn der Burnout da ist, der sich in Form von Erschöpfungszuständen und Depressionen zeigt, braucht es ein Räumkommando nach den klassischen Methoden, und vor allem professionelle Unterstützung. Ursachenbeseitigung ist schwieriger, aber auch wirksamer als die reine Behandlung von Symptomen. 

Einer der größten deutschsprachigen Websites rund um Coaching und Meditation ist myMONK.de. Dort finden Sie viele gute Tipps, Artikel und Kurzmeditationen zum "Auftanken".

Siehe auch: Glücklichsein!, Arbeit ohne Sinn, Daniel-Day-Lewis-Momente, Motivation ist nicht alles, In Therapie, Arbeit ohne Sinn, Negative Gefühle, Rosarote Brille, Sonnenbrand?, Keep calm and ... on, Bodenständig

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