#Hausfigur |
"Ich habe die ganze Woche Knäckebrot gegessen", erklärte meine Mutter heute früh. Netterweise hatte eine Pflegekraft zwischenzeitlich die Decke ausgeschüttelt, die über dem Omasessel ausgebreitet ist, damit es sich darin weicher sitzt. Auf Knäckebrotkrümeln sitzt man nicht so gut, dafür treten sich die Brösel und das andere Zeugs, das runterfällt, im Lauf einer Woche gut im Teppich fest. Dass heute Putztag sein würde, war von vorneherein klar.
Die Mutter hatte reichlich Wasser zu trinken bekommen, das ist wichtig bei alten Leuten. Ihren starken Morgenkaffee hatte sie heute schon ausgetrunken. Nicht so ein Blümchenkaffee wie meiner, wie ich sogleich erfuhr. Der Füllstand der Kaffeepackung verriet, dass der Pflegedienst-Kaffee etwa viermal so stark gewesen sein muss wie meiner. Ich hatte mit so ziemlich allem gerechnet, aber nicht, dass der Kaffee in einer Woche alle ist. Der Kühlschrank war dafür noch halbvoll, das Obst weitgehend, das frische Gemüse komplett unangetastet. Da kannst du einkaufen und vorbereiten was du willst, und mit dem Pflegedienst ein Vorgespräch führen, aber wenn das Kind nur Pommes mit Ketchup mag, bleiben die Tomaten und Gurken liegen. Pommes gab es nicht, also Knäckebrot und Wasser? Nicht ganz. Die Schale mit der Margarine hatte ihren Weg von der Küche ins Mutterzimmer auf wundersame Weise gefunden, und die Packung Schokolade war auch weg.
"Ich konnte denen das nicht ausdeutschen", erklärte meine Mutter auf Nachfrage, was sie denn gegessen habe. Ach so. Ja klar.
Sie wirkte gut gelaunt, weil ich frisches Brot von der Hofpfisterei auftischte. Während der Wasserkocher rauschte, drehte ich erst mal mit der Gießkanne eine Runde, um die Pflanzen in der Küche und auf dem Balkon vor dem Verdursten zu retten. Es ist Sommer und es war heiß, während ich weg war. Pflegedienst im Haus ist wie Wohngemeinschaft mit täglich wechselnden Mitbewohner*innen: Jede*r macht es anders, manche finden alles auf Anhieb, andere wissen anscheinend nicht, wie der Kühlschrank aufgeht. Ich musste unseren erst mal wieder geraderücken.
Meine Mutter ist weder dement noch auf den Mund gefallen, aber sie sagt "fremden Leuten" nicht, was sie will oder braucht. Außer wenn es wirklich elementar wichtig ist.
"Als sie mir am dritten Tag wieder eine Flasche Wasser für den Tag hingestellt hat, habe ich protestiert", ließ sie mich wissen, und kicherte amüsiert, bis ihr die Lachtränen kamen. "Dieses lätscherte Wasser."
Was trinkst du normalerweise?, muss die Pflegerin gefragt haben.
"Alles mögliche", schien meine Mutter daraufhin erklärt zu haben - wie präzise. Was sie erzählt ist meistens eine Mischung aus Fiktion und Wunschdenken, und sie spielt anderen Leuten gerne Streiche. Normalerweise trinkt sie Wasser mit Soda-Stream und einem Spritzer Fruchtsirup für den Geschmack. Das steht alles in der Küche, griffbereit... aber man kann's ja mal probieren.
Was möchtest du?, muss die Pflegerin gefragt haben.
"Einen Schnaps!", kicherte meine Mutter vergnügt.
"Morgens um halb sieben?!" Mir standen die Haare zu Berge.
"Ja. Die wusste auch gleich, wo die Flaschen stehen, und hat mir einen eingeschenkt."
"Wie? ... in das große Glas???", fragte ich beunruhigt.
"Nein, sie hat ein kleines Glas aus der Küche geholt", erklärte meine Mutter, und fuhr fort:
"Mach richtig voll!, habe ich gesagt. Sie hat den Whisky erwischt, der ist ja nicht so scharf. Den habe ich dann langsam getrunken. Danach musste ich gleich dreimal aufs Klo." Sie freute sich diebisch: "Jetzt weiß ich, was das beste Abführmittel ist."
Halleluja. Das Bad sah halbwegs ordentlich aus, aber das Ereignis lag ja nun schon einige Tage zurück, und der Pflegedienst war mehrmals da. Vor allem hat die Klospülung nicht schlappgemacht...!
Die erste mutterfreie Woche ist somit glimpflich über die Bühne gegangen, und nach diesem Testlauf weiß ich, wo es Nachbesserungsbedarf gibt. Jetzt werde ich mir überlegen, wie wir das beim nächsten Mal organisieren. Die Frage ist nämlich nicht ob, sondern wann ich meine nächste Auszeit nehme.
Ob ich einen schönen Urlaub hatte, wo ich war, und was ich in den acht Tagen gemacht habe, hat meine Mutter nicht gefragt. Sie wollte nur wissen, ob mein Frühstück gut war. Das ließ sich mit einem einfachen Ja schnell beantworten. Die eingesparte Zeit ließ sich beim Putzen und Kochen sinnvoll nutzen, so dass es mir am Ende sogar noch möglich war, über meinen Wiedereintritt in den Mutterkosmos zu berichten. Mein Zeitmanagement wird immer besser. Ob wir den Whisky als Hausmittel "für alle Fälle" behalten werden, steht auf einem anderen Blatt.
#Muttergeschichten
Siehe auch: 4711: ChatGTP im Mutterhome, Zippi-Zappi, Heute ist wieder so ein Tag, Kaloriensparkalkulation, High Noon, Finde den Fehler, Welches Schweinderl hätten S' denn gern?, Wolken am Himmel, Heute schon gezaubert?, Unisono, Hoppala..., Pornopapst, Finstermond, Schwammerlsarg, Hausfigur, vermutlich unheilig, Wieviele Finger sind das denn?, Donnerstag, Freitag, Alltag; Wetter, Fußball und Champagner, Wenn Unbeteiligte beteiligt sind, Feste feiern, Grünzeug, Kuchenbacken, Eierpanik, Marmeladengemetzel, Das N-Wort, Awa ke was?, Blattsalat zum Welt-Nudeltag
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