Auf dem Nachhauseweg gestern Abend war es ungewöhnlich still, obwohl aus dem Fußballstadion Musik erklang. Normalerweise spielen sie dort Musik, bei der ich am liebsten Reißaus nehmen würde, aber diesmal klang es eher wie Café del Mar. Ungewöhnlich. Dazu der blaue Himmel und die weißen Wolken rundherum - es war so warm und heiter, und so unglaublich friedlich, dass mir der Gedanke kam: Heute wäre ein guter Tag zum Sterben. Der Schreibtisch im Büro ist aufgeräumt. Es gibt nichts mehr zu tun.
Das stimmt natürlich nicht, es gibt IMMER etwas zu tun, von der Mutterbetreuung bis zur Steuererklärung, aber in diesem Moment fühlte es sich so an, als wäre alles komplett erledigt. So leicht und einfach kann das sein!? Bemerkenswert. Was für ein Schalter in meiner Wahrnehmung ist denn da umgelegt worden? Ich blieb stehen, um den Himmel zu fotografieren, der so nah und so erreichbar schien, wie selten zuvor. Dummerweise konnte ich nicht sehen, was ich fotografierte, weil das Display von diesem neuen Handy einfach zu sehr spiegelt. Ich hielt die Kamera schräg und überließ das Ergebnis dem Zufall.
Als mir mein Mann zuhause leckere Rouladen servierte, die er für uns zubereitet hatte, änderte ich meine Meinung in Sachen Sterben. Es gibt schon ein paar Dinge, die das Leben richtig lebenswert machen. Gutes Essen, mit Liebe gekocht, gehört definitiv dazu. Es sind immer wieder diese banalen Kleinigkeiten, die es schaffen, mich emotional entweder direkt in den Himmel oder geradewegs in die Hölle zu kicken. Meistens eher in die Hölle, oder in die Vorhölle, aber die hat der Vatikan 2007 offiziell abgeschafft.
"Der Limbus sei eine unzulässig eingeschränkte Sicht der Erlösung", hieß es in der offiziellen Begründung. Seitdem müssen weniger ungetaufte Seelen bis in alle Ewigkeit zwischen Himmel und Hölle ausharren, und das ist schon mal eine ordentliche Erleichterung für streng Gläubige. Mich betrifft es weniger, denn erstens bin ich kein Kind, zweitens lebe ich noch, und drittens wurde ich getauft. Das war meiner Großmutter unendlich wichtig, wahrscheinlich wegen ihrer Angst, dass ihre Nachkommen in der Vorhölle landen und da nicht mehr rausfinden könnten. Wir wollen uns doch im Himmel wiedersehen. 😉
Der Himmibappa schimpft!,
sagte der kleine Sepp, wenn draußen ein Gewitter grollte. Sepp war ein Sandkastenfreund meines kleinen Bruders, seine Familie urbairisch und natürlich katholisch. Bei uns war es laut und mein Bruder musikalisch. Die kleinen Jungs haben stundenlang getrommelt und viel gelacht. Wenn der Himmibappa - also der liebe Gott - in Form eines Gewitters draußen schimpfte, wurde Sepp nervös. Auch meine Mutter hat Angst vor dem "Donnerwetter", und mir flößen diese Ereignisse großen Respekt ein. Mit Thor ist nicht zu spaßen. 😁
Anders als erwartet, liegen gerade zwei oder drei ausgesprochen warme Nächte hinter uns. Es ist immer noch hochsommerlich. Es war also kein Wunder, dass gestern Abend ein Gewitter aufzog.
Glückselig die Rouladen verdauend lagen wir vor der Glotze und zogen uns einen Film rein. Es waren vermutlich hohe Wolkentürme, die in der spätabendlichen Dunkelheit konturlos und unendlich langsam an unserem Schlafzimmerfenster vorbei zogen. Das geräuschlose Wetterleuchten begann vereinzelt und mit großen zeitlichen Abständen. Da hatte sich sehr viel Energie in der Atmosphäre aufgebaut. Die Aktivität der Lichtorgel steigerte sich kontinuierlich, bis es mich im Sekundentakt von der Seite her anblitzte, wie durch einen überdimensionalen Diffusor. Als Fotograf*in wissen Sie, was das ist, und wie das Licht aussieht: sehr hell und weich gestreut.
Blitzlichtgewitter, Frau Fotogräfin!
Was für ein Naturschauspiel! Ich schaute nicht mehr in die Glotze, sondern aus dem Fenster. Schließlich fing es an zu regnen, aber es gab keinen Wind. Die großen Birken im Innenhof standen still und wackelten kaum mit ihren feinen Zweigen. Das "Standgewitter" entlud sich in geräuschlosen Blitzen und laut rauschendem Starkregen; das Wasser stürzte kerzengerade zu Boden. Erst als die Blitze in den Wolken als Lichtzacken sichtbar wurden, fing es an zu donnern. Dann ein greller Lichtblitz und ein ohrenbetäubender Knall, beinahe gleichzeitig. Wir zuckten unwillkürlich zusammen. Mein Mann griff zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. "Ich versteh sowieso schon eine ganze Weile nichts mehr", meinte er. Das Gewitter war direkt über uns.
Ich stand auf, um auf der Südseite aus dem Fenster zu schauen. In Richtung Alpen ist es meistens heftiger als auf der Nordseite, aber im Stadion war das Flutlicht noch an. Von den vier Lichtmasten leuchtete nur noch einer. Wenn bei uns im Viertel ein Blitz einschlägt, dann vermutlich dort. Höchster Punkt, viel Technik und Metall: Blitze mögen das.
Der Regen fiel immer noch senkrecht. Vom Flutlicht seitlich angestrahlt sah das Wasser aus wie ein schimmernder Vorhang. Die Seitenstraße hatte sich in einen strömenden Bach verwandelt, und in der Tiefgarageneinfahrt gegenüber warteten drei Leute auf das Ende des Spektakels; dunkle Silhouetten im gelbgrünen Neonlicht, das von unten aus der Garage heraufschien. Einer hatte Angst, die anderen zwei unterhielten sich. Wasser lief keines nach unten.
Ganz anders sieht es in der Unterführung unter dem Candidtunnel aus. Bei solchen Wetterereignissen entsteht dort schnell ein kleiner Teich. An diesem tiefsten Punkt sammeln sich die Sturzbäche von der Stadionseite im Süden und dem Giesinger Berg im Norden. Sie führen auch stets eine Menge Erde, Laub und Zweige aus den steilen Hängen mit sich. Der Schlamm sammelt sich und verwandelt die Durchfahrt für rasende Radfahrer*innen in eine glitschige Rutschbahn aus Schlick. Am nächsten Tag kommen dann die Kollegen von Michelangelo dem Straßenkehrer, machen wieder alles sauber, und vor allem sicher.
Für einen Moment überlegte ich, ob es nicht spannend wäre, noch während des Gewitters runter zu gehen, und diese Sturzbäche zu beobachten. Nein, kein Katastrophentourismus am späten Abend: zu gefährlich. Da sind ja auch noch die Steuererklärung, die Mutterpflege, die Rouladen und die im Blindflug aufgenommenen Wolkenfotos, die ich vom Handy herunterladen wollte. Also doch ziemlich viel zu tun. Manchmal ändert sich die Meinung so schnell wie, oder gar mit dem Wetter. 😉
Siehe auch: Laubbläser im Wind, Sonnengruß, Für's Protokoll, Nah am Wasser, Lampen-Check, So wird es nicht bleiben (2019), Frühling im Januar, Flüchtiges Glück, Alles bleibt anders, Was gibt es da zu sehen?, Weather with you?, Sonnengraffiti, Wow, Neues Jahr, neues Spiel, Ausverkauftes Haus, Mitgenommen, Digital Detox, Bleibende Eindrücke, Kraftort
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