Sonntag, 14. August 2022

Mehr weg als da

"In Ihrer Getränkeabteilung sieht's ja gerade ziemlich düster aus", merkte ich an, während die Kassiererin meine drei Literflaschen Zuckerplörre über den Scanner zog. Dieses Produkt kaufe ich selten, und dann meistens für Gäste. Ich hatte mich für die Variante Mehrweg in Plastik entschieden, hätte aber auch zweimal 1,5 Liter in Plastik "recycelbar" nehmen können - beide Optionen sind mit Pfand. Die eine Version wird mehrmals befüllt, die andere nur einmal, danach landet das Plastik im Shredder. Glas wäre mein Favorit gewesen, gab's aber nicht. Schwer sind die Getränkeflaschen alle, aber auf dem Rückweg vom Fitnessstudio macht das nix. Ich nehme das als eine in den Alltag verlängerte Trainingseinheit. 💪

Die Kassiererin hatte die Kasse hinter mir geschlossen, weil sie eine Pause machen wollte.
"Ja", seufzte sie, "ich frage mich, ob meine Kinder jemals wieder eine Normalität erleben werden, wie wir sie früher kannten." Sie war vermutlich etwas jünger als ich, aber auch noch aus einer Generation, in der Kunden nicht ständig alles bekamen, was sie wollten. "Sie glauben gar nicht, was ich hier manchmal erlebe", fuhr sie fort. "Da stehen Kunden an der Kasse und weinen, weil sie irgendwas nicht kriegen."

Zuerst wusste ich nicht, ob sie damit Kinder, Jugendliche oder Erwachsene meinte. Bei kleinen Kindern gab es solche Szenen immer schon, die Kleinsten haben ihre Impulse noch nicht so im Griff. Da wird geheult und geschrien, wenn Mama oder Papa nicht kaufen wollen, wonach das Kinderherz schreit, wenn es vor dem verlockend im Blickfeld aufgebauten Süßigkeitenregal warten muss. Das meinte die Kassiererin nicht. Sie sprach von größeren Menschen, bei denen sich die Verzweiflung Bahn bricht, wenn der ansonsten prall gefüllte Konsumtempel weniger gut bestückt ist als "normalerweise".
Zur Zeit ist Flexibilität gefragt. Gut, wenn man das hat oder kann. Was machen diese Leute erst, wenn wirklich wichtige Dinge nicht verfügbar sind? Oder wenn das Handy kein Internetz mehr bekommt? Aufgeschmissen und im Panikmodus?

Das Gespräch mit der Kassiererin zog sich noch eine ganze Weile hin, während ich einpackte und mich dabei über die leckeren Weintrauben freute, die im Angebot waren. Am Ende nickten wir uns zu, ermutigten uns gegenseitig, den Kopf über Wasser zu halten, uns aber auch nicht alles gefallen zu lassen. Diese Krisenjahre sind scheiße. Trotzdem bin ich gespannt und neugierig, ob und welche unerwartet positiven Nebeneffekte sie im Rückblick haben werden.

Gerade kommen sehr viele Dinge durch die Hintertür zurück, die wir glaubten überwunden zu haben, "weil es nicht anders geht". Machen wir gerade zwei Schritte nach vorne und einen zurück, oder einen nach vorne und zwei zurück? Ist es ein Kansas City Shuffle, ein Break-Dance oder ein Eiertanz? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es immer wieder interessant, mit Leuten zu reden.

Siehe auch: Out of order, Unter'm Tresen, Kaloriensparkalkulation, Umentschieden, Warten, Derweil an einem anderen Ort, Nur solange der Vorrat reicht, Andersherum betrachtet, Kansas City Shuffle, Tabasco!, Bringt's was?, Kräuterlikör 22 Karat, Grünzeug, Stille(s) Wasser, Frühlingshaft, Schweinderlmagie, Das Finanzamt hat Durst!, Eierpanik, Backwaren ToGo Automat, Ab- und aufgeräumt

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