Die Redewendung "unter der Hand" steht für: im Stillen, heimlich und unter Missachtung geltender Regeln. Diese Woche habe ich eine neue Redewendung gefunden: Unter'm Tresen. Und das ging so:
Wie so oft in diesen merkwürdigen Zeiten stehe ich eine Zeitlang still sinnierend vor dem leeren Sonnenblumenölregal im Supermarkt. Das Öl, das meine Mutter seit Jahrzehnten für stabile 1,79 EUR gekauft hatte, war schon längst auf 1,99 und später auf 2,19 erhöht worden. Zehn Prozent Preissteigerung fand ich schon happig, aber als kluge Hauswirtschafterin hatte ich im Herbst von einem Sonderangebot Gebrauch gemacht, und wirklich gehamstert - drei Flaschen statt einer. Jetzt ist Mai, und so ganz allmählich gehen die Vorräte im Mutterhome zur Neige. Ich bräuchte langsam wieder Nachschub, aber wir sind nicht in Not.
So stehe ich also wieder vorm Regal, und denke: Hm, 4,79 für Rapsöl? Ne. Und das altbewährte Sonnenblumenöl soll jetzt 4,99 kosten? Damit könnt ihr euch einen Einlauf machen, aber es ist sowieso nichts da, also erübrigt sich der Gedanke. Ich wanke mit meinen drei Kleinigkeiten zur Kasse und warte. Vor mir sind noch zwei Kunden. Eine Frau, die wahrlich nicht wie eine Instagrammerin gekleidet ist, und sich offensichtlich gern von fettig Gebratenem ernährt, ist an der Reihe. Es dauert etwas länger, weil sie mit dem jungen Mann spricht, der die Kasse gerade innehat. Ich sehe, wie er unter seinen Tresen greift, und der Kundin eine Flasche Sonnenblumenöl von Ja! hinstellt.
"Eins neunundsiebzig", sagt er. Sie ziert sich, während ich staune.
Was??? Öl für 1,79? Wie gibt's den sowas!
"Näääiiijjn", sagt die Kundin mit Blick auf das Ja!, und erklärt: "Das stinkt nach Fisch."
Oh, denke ich. Gut, dass ich das weiß. Nicht dass ich in übereilter Raffgier minderwertiges Fischöl kaufe, das ich hinterher wegschütten müsste. Aber schon interessant, dass im offiziellen Regal absolut nichts von diesem günstigen und so nachgefragten Produkt steht. Während ich noch überlege, greift der junge Mann ein zweites Mal unter seine Theke und stellt eine andere Flasche Sonnenblumenöl neben das Ja!, diesmal ist es die Eigenmarke des Unternehmens, Glasflasche.
"Eins neunundneunzig", sagt der junge Mann. Mir fällt die Kinnlade runter. Die Kundin denkt anscheinend auch nach, und entscheidet sich für die teurere Eigenmarke. Während sie umständlich in ihrem Geldbeutel kramt, suche ich den Blickkontakt zum Kassier.
"Sagen Sie mal, welchen Trick gibt es hier, um an das Öl zu kommen?", frage ich, als er zu mir rüber schaut. Er hält die Flasche Ja! in meine Richtung. Ich lerne schnell dazu, und in Sachen Bratfett hat die Kundin definitiv mehr Expertise als ich. Darum schüttle ich den Kopf. "Ne, das riecht nach Fisch."
Die Flasche Ja! landet wieder unter'm Tresen. Das andere Öl - Hausmarke - scheint es für mich nicht zu geben. Der junge Mann kassiert mich wortlos ab, und während ich meine Einkäufe in den Rucksack packe, schleicht sich eine andere Kundin vom Ausgang her an mir vorbei, direkt zum Kassier. Vom Aussehen her muss sie aus dem gleichen Umfeld stammen wie die Frau, die kein Fischöl mag.
"Komm ich für Öl meine Schwester", sagt sie.
Ach so. Ich hatte nicht vorbestellt! Oder hätte ich eine Schwester schicken müssen? Vielleicht sehe ich auch zu sehr wie eine Veganerin aus, die nur Bio-Öl kauft, und nicht so oft billigstes Frittenfett verwendet. Der Mann an der Kasse greift wieder unter den Tresen. Was zur Hölle passiert da gerade?
In meinem Kopf passieren gleichzeitig ganz viele Dinge. Sehr viele Gedanken schießen kreuz und quer, auch eine Woge der Empörung will sich in mir breitmachen. Was mache ich jetzt? Den Filialleiter kommen lassen, mein Öl (Hausmarke) einfordern? Mich aufmandln? Schulterzuckend den Laden verlassen? Mich beim Kassier einschleimen, damit auch ich vorbestellen kann? Ich muss nachdenken und gehe. Nachdem nun vier Tage vergangen sind, erzähle ich diese Geschichte in meinem Blog. Was würden Sie tun?
Sollen wir uns jetzt wegen einer Flasche Sonnenblumenöl streiten? Oder soll ich beleidigt sein, weil ich mich diskriminiert fühlen könnte? Oder ist das ein Fall für die "Compliance* Abteilung" des Unternehmens mit Hausmarke? Oder ist es ein wunderschönes Beispiel dafür, wie das Menschsein funktioniert, in Kriegszeiten oder auch so ganz allgemein? So läuft es ja auch auf dem Immobilienmarkt. Früher nannte man das "Filz" oder "Vetternwirtschaft", heute ist es "Netzwerk" oder "Verbindungen".
Nach reiflicher Überlegung bin ich zum Schluß gekommen, dass ich mich in die Hand Gottes begebe: Wenn ich das nächste Mal in ebendiesen Supermarkt gehe, dann finde ich im offiziellen Regal das, was ich brauche, und es wird 1,99 kosten. Falls nicht, kriegen die einen Einlauf mit ihrem Fischöl.
"Auch im Mittelstand wird Compliance zum Managementthema. Wer sich nicht regelkonform verhält, geht ein hohes Risiko ein. Denn Verstöße gegen regulatorische Compliance-Vorschriften führen häufig zu Strafen, Bußgeldern und vor allem zu einem Imageschaden des Unternehmens." (marktundmittelstand.de) Ja. Träumt weiter.
Das mit dem Imageschaden haut jedenfalls hin und rein. Bei Aldi war es nicht, nur damit keine falschen Verdächtigungen entstehen. Bei Aldi sind die Öl-Regale auch leer, aber da erlebt man wenigstens lustige Sachen. Siehe auch: Hat da jemand gepupst?, Kräuterlikör 22 Karat
Wie die Geschichte weiter ging? > Na also. Frühlingshaft
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