20 mm | 1/100 s | f2,2 | ISO 50 | Smartphone |
#Nachmittagslicht #Auf-und-Ab-Wege #Sonne
Mit so viel Licht und Sonne hatte ich am gestrigen Tag nicht gerechnet. Umso schöner war es, dass ich mich nachmittags ohne Starkregenschauer auf die zweite von drei Tagesetappen machen konnte. Als ich mein Fahrrad die lange Steigung hochschob, war der Gegensatz von Licht und Schatten ungefähr so, wie Sie es hier im Bild sehen: kontrastreich. Solche Motive kann man im Bildbearbeitungsprogramm aufhellen, damit der im Schatten versinkende Bereich lichtvoller aussieht, aber das mache ich diesmal nicht.
Als ich stehenblieb, um meine fotografischen Tagesnotizen zu ergänzen, musste ich die ganze Zeit an ein Postkartenmotiv und einen Spruch denken, die mich schon seit meiner Kindheit begleiten.
Es war während der zweiten Grundschulklasse, also war ich ungefähr acht Jahre alt, als ich eine Neigung für Sprüche-Postkarten entwickelte. Die kennen Sie natürlich, entweder als Druckprodukte oder in digitaler Form. Es sind die immer wiederkehrenden Lebensweisheiten von Buddha bis Zarathustra, die vielfach abgedroschen wirken, weil man sie einfach zu oft gelesen hat. In den 1970er Jahren waren sie für mich komplett neu, und eine Art Offenbarung. Sie kosteten 20 bis 50 Pfennig pro Stück, was beim Taschengeld einer Achtjährigen schon ordentlich ins Budget haut. 😊
In diesem Alter hat man gerade schreiben gelernt, noch total krakelig und selten fehlerfrei. Schönschrift mit dem kleckernden Füller muss man ausführlich üben. Es war das Alter, in dem das Medium Poesiealbum in mein Leben trat: Schmucke Bücher mit leeren Seiten. Im Gegensatz zu den Schulheften waren sie gänzlich ohne Führungslinien. In diese Alben sollte man etwas hineinschreiben, als Erinnerung für oder an die Mitschülerinnen (die Jungs haben sich weitgehend rausgehalten). Wenn man so ein Buch in die Hand gedrückt bekam, sollte man eine Doppelseite gestalten, irgendwie gut und schön, und natürlich gehörte auch ein Bild dazu, meistens etwas Selbstgemaltes. Wirklich erfreut waren die wenigsten, wenn sie mit dieser Fleißaufgabe beglückt wurden, aber Nein-Sagen gehörte sich nicht.
Was zur Hölle schreibt man als Achtjährige ins Poesiealbum, vor allem wenn das Büchlein schon voll mit anderen Einträgen ist? Die drei bis fünf dem Zweck angemessenen Sprüche, die ich kannte, kannten auch alle anderen. Meine Mutter war keine große Hilfe in Sachen Poesie, hat aber mit Lineal und Bleistift zarte Linien aufs Papier gezogen und hinterher wieder wegradiert, so dass wenigstens die handgeschriebenen Zeilen halbwegs gerade wurden. 😅
Der einzige Schreibwarenladen - das "Schreibi" - war in der kleinen, noch dörflichen Gemeinde der Ort, an dem man alles für den Schulbedarf Unentbehrliche bekam. Ich war ja schon groß, meine Mutter schrieb die Einkaufsliste, kannte die Geschäftsinhaberin, und so holte ich mir meinen Schulbedarf aus dem Schreibi selber. Wie die meisten kleinen Mädchen liebte ich Pferde, und durfte mir zur Belohnung auch jedes Mal eine Pferdepostkarte mitnehmen. Einschlägige Zeitschriften wie Wendy hatte zu dieser Zeit noch keiner erfunden.
Nach der Pflicht kam die Kür: Die Ladeninhaberin griff in eine Schublade unter ihrem Tresen, und reichte mir einen völlig unsortierten Stapel mit Postkarten. Darin suchte ich oft lange nach dem schönsten Pferdebildchen, und musste mir dazwischen viele andere, langweilige Postkartenmotive anschauen. 😏
Meine Mutter wirkte ausgesprochen überrascht und auch ein wenig amüsiert, als ich eines Tages nicht mit Pferde-Porträts nach Hause kam, sondern mich für Spruch- oder auch Weisheitskarten entschieden hatte. Gedichte statt Gäule? 😂 Ist mit dem Kind alles in Ordnung? 😜
Vielleicht war es der Wunsch, einen noch unbekannten Spruch fürs nächste Poesiealbum zu finden, vielleicht waren es auch die allgemeinen familiären Umstände, die mich dazu veranlassten, eine Postkarte zu wählen, die komplett aus der Reihe fiel.
Es war ein Farbfoto im Hochformat, in dem man nur bei genauem Hinsehen einen Hauch von Farbe erkennen konnte. Atemberaubend war der Anblick der Sonne: Sie war als perfekter Sonnenstern fotografiert, weiß, mit einem Hauch
von Gelb in den Strahlen. Bis auf die Sonne war das gesamte Bild stark unterbelichtet, also sehr düster; sogar der wolkenlose Himmel war tief
dunkelblau.
Von rechts unten, in einem steilen Winkel zum linken Bildrand nach oben führend, ließ sich ein Pfad erahnen. Er bestand nur aus Fußspuren im Schnee, unterhalb von steil aufragenden, zackigen, schwarzen Felsen. Oberhalb dieser unüberwindlichen Steilwand leuchtete der Sonnenstern. Dieser schmale Weg führte zu einem im Motiv nicht mehr sichtbaren Ziel, vermutlich einem Bergpass. Auf jeden Fall war klar, dass es jenseits des Bildrahmens weitergeht. Auf der schwarzen Bildfläche stand, in weißer Schrift, die sich natürlich hervorragend vom Hintergrund abhob, folgendes Gedicht:
Aus dem Tal der Schattentiefen
führt ein schmaler Steig zun Licht.
Stimmen, die durch Träume riefen
und versprachen, trogen nicht.
~ ~ ~ ~ ~
Obwohl ich die Originale vor Jahrzehnten entsorgt hatte, kann ich drei dieser Sprüche-Karten immer noch im Detail beschreiben und kenne die Gedichte auswendig. Sie haben also einen wahrlich "bleibenden Eindruck" hinterlassen. 😎
Wie ist das bei Ihnen?
- Haben Sie auch einen Spruch, ein Bild, oder ein Sprüche-Karte, die irgendwann in Ihrem Leben eine sehr motivierende oder tröstende Wirkung auf Sie hatte?
- Gehören Sie noch zur Generation "Poesiealbum", und falls ja: haben Sie Ihre aufbewahrt?
- Nicht weil Sie es lernen mussten, sondern weil es Ihnen etwas bedeutet hat: Gibt es ein Gedicht aus Ihrer Kindheit oder Jugend, das Sie noch auswendig können?
Heute vor zwei Jahren: Glückskeks-Wahrheiten
Siehe auch: Kontrastprogramm, Sonnenstern, Licht und Bewegung, Stimmungsaufheller, Fünf Minuten Frieden, Sonnenlicht heilt, Widersprüchlich, Lichtblicke, Sonnenblupp, Temperatursprung, Morgendosis, Guten Morgen, Wetterleuchten, Glücklicher Prentice, #Zitate, Etappenziele
Weiterführende Links
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen