Dienstag, 24. September 2024

Tätowierte Eier

27 mm | 1/60 s | f1,6 | ISO 200 | Smartphone

 #Pflege #Alltag #Küchenquatsch
#Muttergeschichten

Im Kühlschrank ist nicht viel Platz, und irgendwie muss man die rohen von den hart gekochten Eiern unterscheiden. 🥚🥚🥚👀 Als sie noch selber einkaufen gehen konnte, hatte meine Mutter stets die sogenannten "Brotzeiteier" auf Lager. Das sind diese bereits gekochten und bunt eingefärbten Dinger aus Hühnerställen, in denen man als Huhn nicht hocken will. Diese bunten Eier werden zu Ostern als Ostereier verkauft, davor und danach heißen sie Brotzeiteier. Eine Verwechslungsgefahr mit den üblichen rohen Eiern ist bei diesem Produkt völlig ausgeschlossen.

Nach Übernahme der Haushaltslogistik habe ich ein paar Dinge umorganisiert. Dazu gehört auch die elementar wichtige Grundversorgung mit Brotzeiteiern. Die werden jetzt von etwas glücklicheren Hühnern frisch gekauft, im Mutterhome hart gekocht, im Kühlschrank aufbewahrt, und gegebenenfalls vom Pflegedienst serviert.
Damit meine Mutter nicht versehentlich ein rohes Ei in die Hände gelegt bekommt, muss im Kühlschrank Klarheit über die Eierverhältnisse herrschen. Das X signalisiert: Ich bin ein Brotzeitei. Um doppelt sicher zu gehen, habe ich meiner Mutter noch erklärt: "Wenn du ein Ei ohne Markierung bekommst, ist es roh! Dann bitte nicht aufschlagen."

Wenn Sie jetzt glauben zu ahnen, was passiert ist, liegen Sie falsch. Unsere Eier-Logistik hat bisher sehr gut funktioniert. Ich hätte nur nicht auf die Idee kommen sollen, ausnahmsweise Smileys auf die Eier zu kritzeln. 😅

Zugegeben: Kunstvoll ist meine Eier-Info-Bemalung wahrlich nicht. Es ist ja nicht Ostern, sondern Oktoberfest. Ich finde aber schon, dass ein 😊 so einem Ei eine etwas freundlichere Ausstrahlung verleiht als eine rundum aufgetragene X-Markierung. Wie gerne hätte ich das Gesicht der Pflegekraft gesehen, als meine Mutter ihr auftrug, ein "tätowiertes Ei" aus dem Kühlschrank zu holen.  😁
Die Ankunft des ersten 😊-Eis löste weder Begeisterungsstürme noch den Lachanfall aus, mit dem ich gerechnet hatte. Meine Mutter begutachtete den Smiley und schüttelte indigniert den Kopf: "Das ist ja wie im Kindergarten!"

Nun ja..., manchmal fühlt sich das Mutterhome schon wie ein Kindergarten an, auch ohne Smileys auf den Eiern. Mein spontanes Experiment hat mir aber verdeutlicht, wie beschissen es sich anfühlen muss, wenn man als alter Mensch von anderen Leuten behandelt wird wie ein kleines Kind.
Da hat jemand sein ganzes Leben lang wacker seinen Mann, seine Frau oder - was auch immer - gestanden, und ist dann, quasi über Nacht, hilfsbedürftig geworden. Auch wenn es leider häufig vorkommt, bedeutet körperliche Gebrechlichkeit nicht automatisch, dass jemand auch dement ist. Trotzdem wird oft nur noch in "einfacher Sprache" mit alten Menschen kommuniziert, und das macht deren Birne im Lauf der Zeit genauso weich wie ein weich gekochtes Ei. 😓
Menschen, die den ganzen Tag mit kleinen Kindern, dementen Personen oder Haustieren zu tun haben, merken oft gar nicht, dass sie anfangen, genauso infantil mit anderen Erwachsenen zu reden, obwohl die problemlos in der Lage wären, vollständige Sätze zu verstehen, und sogar Gespräche über schwierigere Inhalte führen können. Ich hatte auch schon Phasen, in denen ich kaum noch in der Lage war, einen vernünftigen Satz geradeaus zu sprechen.

"Die behandeln mich wie ein Depperl!", schimpft meine Mutter manchmal. Wenn sie in ihrem Fernseher Berichte aus Altenheimen sieht, wird sie in ihrer Einschätzung bestärkt: Dort würde sie wirklich im Senioren-Kindergarten landen, müsste mit Zottelbällen Wurf-Übungen machen, oder zur Mal- und Bastelstunde erscheinen. Alles Beschäftigungen, die komplett unter ihrer Würde sind. Dass es dort vielleicht auch Leute gäbe, mit denen sie die Fußball Champions League Spiele anschauen und ihre Trainerdiskussionen besser führen könnte als mit mir, kann sie sich einfach nicht vorstellen.

Manchmal hat sie sehr lichte und gute Phasen, in denen man mit ihr reden kann, wie mit einem erwachsenen Menschen. Und dann gibt es wieder Phasen, in denen sie vergeblich nach den richtigen Worten ringt, oder in Lachanfällen versinkt. Heute Kindergarten, morgen Polit-Runde, übermorgen Sport - und zwischendurch die Hitparade... Jeder Tag ist anders,  mal mehr, mal weniger herausfordernd.
Schade, dass ich die Eier nicht in meinen Tintenstrahldrucker legen kann: Fan-Eier  mit den Konterfeits ihrer Lieblingsmusikanten oder dem Logo ihres Lieblingsvereins wären der Hit. Aber dann würde meine Mutter die Eier wahrscheinlich tagelang liegenlassen, weil sie "viel zu schön" sind. 😅

Es bleibt also bei den tätowierten Eiern. Das X-Men Design ist sowieso viel einfacher, und hat sich im #Pflegealltag bestens bewährt. 😁

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