Dienstag, 25. Juli 2023

Warum klebt der Käse an der Wurst?

#Wissensdurst  #Muttergeschichten

"Wie heißt denn diese Pirateninsel im Mittelmeer?", fragte meine Mutter gestern früh, als sie mir vom Fußballspiel zwischen Frankreich und diesem anderen Land erzählte, dessen Name ihr nicht mehr einfiel. Wenn ich mich für Fußball interessieren würde, oder morgens wenigstens die Kurznachrichten gesehen hätte, wäre mir das Ratespiel erspart geblieben.
Zunächst erhielt ich jedoch eine Zusammenfassung des Spielverlaufs: Frankreich hatte gewonnen (0:0?), nach einer Rauferei auf dem Spielfeld, ein Geschubse und Gezerre, und was das für ein Durcheinander gewesen sei.
"Keine Strategie, alle sind nur hinter dem Ball hergerannt, und haben sich an den Trikotts gezogen", berichtete meine Mutter weiter, und ließ mich wissen, dass der Trainer (ich weiß jetzt nicht mehr welcher), eigentlich gar nicht Trainer sein wollte, aber dazu verdonnert worden sei. Aha?! Weil die Piratinnen so schlecht spielen?
Die Erzählung weckte Erinnerungen an eine Szene aus meiner Schulzeit: "Wenn Mädchen Fußball spielen", hieß es damals. Den Rest erspare ich Ihnen, aber die Jungs hatten Recht: Wir hatten keine Ahnung. Fußball stand bei uns nicht auf dem Lehrplan. Warum man uns eines Tages mit einem Ball auf den Rasen geschickt und uns Fußball hatte spielen lassen, ist mir bis heute unerklärlich. Für die Zuschauer war es definitiv amüsant.
"Ganz unfair, diese französische Mannschaft", fasste meine Mutter derweil das WM-Vorrunden-Ereignis zusammen. Ich erwarte nicht, dass sie mit 85 noch Gendersprache lernt. Die "neue Zeit" ist für uns alle nicht ganz einfach. Gegen wen die Französinnen am Vorabend gespielt hatten, wusste ich aber immer noch nicht, und die Gedächtnislücke ließ meine Mutter einfach nicht los:
"Wie heißt denn dieses Land??" 

Ich schlich mich an den Computer und fragte Google: Jamaika war's. Das liegt zwar nicht im Mittelmeer, aber immerhin vor Mittelamerika, das kann man akustisch schon verwechseln, wenn man nicht richtig zuhört. Jamaika galt tatsächlich als Piraten-Hochburg, auch wenn man diese Berufsgruppe heutzutage wohl als "Freibeuter" bezeichnet. Deren Zeitalter auf Jamaica endete bereits am 7. Juni 1692, als die Stadt Port Royal durch ein Erdbeben zerstört wurde. Danke, Wikipedia.
Um das alles herauszufinden, braucht man heutzutage nur noch das Internetz und ein paar Mausklicks. Ein "Brockhaus in einem Band" reicht im Wissenszeitalter wahrlich nicht mehr aus, und erst recht nicht, wenn es um all die Mutterfragen geht, die sich im Laufe eines Tages oder eines Wochenendes ansammeln. Da ist viel Zeit zum Nachdenken.

"Ich würde gerne nochmal studieren", erklärte meine Mutter, "ich war ja nur auf der Volksschule, so hieß das damals, und dann hieß es Grundschule, und jetzt heißt es wieder anders. Ich komme da nicht mehr mit."
Derweil begann das Spiel des deutschen Frauen-DFB-Teams, und die Nationalhymne erklang.
"Ach", seufzte die Mutter, "können die nicht mal eine andere Hymne spielen?"
"Welche?", fragte ich amüsiert. "Wir haben nur die, soweit ich weiß."
"Deutschland, Deutschland über alles...", grummelte meine Mutter.
"Moment", hakte ich ein. "Das ist die ganz alte Zeit. Den Text gibt's schon lange nicht mehr."
Meine Mutter winkte ab. "Die sollen sich mal was Neues einfallen lassen. Hast du schon gehört, was der Merz am Wochenende gesagt hat?"
Ja, das hatte ich. Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene. Nicht bei uns, der Herr Söder ist da anderer Meinung. Die Pressekonferenz hatte meine Mutter mit voller Lautstärke angehört, wohl auch, damit ich sie von nebenan mithören sollte. Dass diese Klima-Liesel ihre Strafe fürs Festkleben in Deutschland noch nicht bezahlt hat, erfuhr ich auch so nebenbei.
"Ist der Bidi (so nennt meine Mutter den US-Präsidenten Biden) jetzt ins Lager der Journalisten gewechselt? Der erstattet in seinen Pressekonferenzen immer Bericht, was die Ukraine alles schon geschafft hat. Was soll denn das? Was will der damit bezwecken?"
Wie gut, dass meine Mutter von mir keine Antworten erwartet.
"Wir brauchen Zeitzeugen", fuhr sie fort, "damit die späteren Generationen wissen, was hier gerade abgeht! Da muss sich ein Historiker damit beschäftigen, damit das alles festgehalten wird. Aber es ist ja jeden Tag was Neues, hier eine Kleinigkeit, da eine Kleinigkeit Wenn du mich fragst ist es mit der Allgemeinheit gar nicht gut bestellt. Die verblöden allmählich."
Um ihre These zu untermauern wechselte sie erneut das Thema: "Die wissen immer noch nicht, was das für ein Tier war, da oben in Berlin! Wozu braucht man einen DNA-Test? Das sieht man doch mit dem bloßen Auge, ob ein Haar von einem Löwen oder von einem Schwein stammt!"
Diese Löwen-Wildschwein-Posse in der Hauptstadt scheint wieder so eine Berlin-Nummer zu werden. Viel Rauch um nichts, Sommerloch, Futter für eine neue Verschwörung.
"Die ganze Welt lacht über uns", erklärte meine Mutter ärgerlich. "Da jagen ganze Kompanien von Polizisten ein Tier, das es gar nicht gibt. Ein Pflanzenfresser soll das sein! Wir sollten diesen Berliner Bürgermeister anrufen, und ihm sagen, was das für ein Tier war. Ich habe so eins am Wochenende in einer Tiersendung gesehen, ich kann mir bloß den Namen von diesem Tier nicht merken."
Weil ich nicht lauthals loslachen wollte,  meinte ich: "Vielleicht war es ein Tapir?"
"Gibt es die im Tierpark?", erkundigte sich meine Mutter.
"Ja.'" Das wusste ich zufällig sehr genau, räumte aber ein: "Falls es ein Tapir war, müssten die Tierpfleger es bemerkt haben, wenn einer fehlt."
"Ach, meinst du die zählen jeden Tag durch? Manche von denen können ja nicht mal bis drei zählen. Die sollen mal beim Bäcker im Kopf ausrechnen, was drei Brezen kosten."
Endlich waren wir beim Frühstück angekommen! 😅
Meine Mutter griff zum Messer und wollte sich ein Stück Bavaria Blu Käse angeln, den ich auf einem kleinen Teller angerichtet hatte. Feinmotorik ist seit dem Schlaganfall schwierig, aber sie schlägt sich wacker. Der klebrige Weichkäse lag auf einer Scheibe Salami, und im Zimmer herrschten immer noch die üblichen Sommertemperaturen von knapp 25°C. Die Salamischeibe ging mit dem halb zerlaufenen Käse mit, egal was meine Mutter auch versuchte. Sie wollte an den Käse, nicht an die Salami, aber beides war untrennbar miteinander verschmolzen.
"Warum???", rief meine Mutter, und fuhrwerkte weiter mit einer Hand herum. Sie kam nicht auf die Idee, ihre andere Hand oder ein anderes Werkzeug zu benutzen. Nach dem dritten erfolglosen Versuch fing sie an zu lachen. Der Käse mit der angeflanschten Salamischeibe klebte auch ganz hervorragend an der Messerspitze, und fiel ausnahmsweise nicht auf den Boden, obwohl die Mutter ausgesprochen lange damit auf Augenhöhe herumhantierte. Ich hätte ihr helfen können, aber das war nicht ihr Ziel.
"Warum klebt der Käse an der Wurst?", prustete sie. "Ich will das verstehen!"
Siri, Alexa oder ChatGPT hätten ihr die molekularen Zusammenhänge sofort erklärt, sogar wissenschaftlich korrekt. Ich hatte eine der Situation angemessenere Antwort:
"Das liegt an den Klimaklebern: Die testen Käse als neuen Klebstoff, und du bist hier gerade Produkttesterin."
Sie schaute mich an.
"Wie heißt das Land von der Pirateninsel?"
"Jamaika", sagte ich.
"Jamaika", seufzte sie. "Das ist eigentlich so einfach - aber warum kann ich mir das nicht merken?"

Morgen setzen wir unsere Diskussion fort, ob der Berliner Bürgermeister an der Käse-Verschwörung in der Ukraine beteiligt ist, und finden heraus, warum ich dazu verdonnert wurde, täglich Zeitzeugen-Gespräche mit einem in Berlin entsprungenen Tapir zu führen. 😜 Für alle weiteren etwaigen Fragen lesen Sie den Brockhaus in einem Band, oder gehen Sie Fußballspielen.

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