Samstag, 15. Juli 2023

Stolperfalle Flauchersteg

#Flauchersteg  #Isar  #Thalkirchen  #München  #Murks

Als Flaucher bezeichnet man in München den Bereich entlang der Isar, der von den Sandbänken am Flauchersteg im Süden bis zur Braunauer Eisenbahnbrücke im Norden reicht. Ihren Namen verdankt diese Gegend der in den Isarauen liegenden Gaststätte "Zum Flaucher", die 1870 von Johann Flaucher gegründet wurde.
Bis 1839 war das Gelände einfach Teil einer weitgehend ursprünglichen Auenlandschaft. Sie war  wegen häufiger Überschwemmungen landwirtschaftlich nicht nutzbar, und lag damals noch außerhalb der Stadt beim Dorf Thalkirchen. Die industrielle Revolution kam, die Isar wurde reguliert, und die Stadt größer. So wurde auch der Fluss "ein Naturelement in der Stadt zum Nutzen und zur Erholung der Bürger". Der Flaucher zählt schon seit langem zu den beliebtesten innerstädtischen Naherholungsgebieten, auf den Sandbänken wird sich nicht nur gesonnt, sondern auch gegrillt und gefeiert. Da ist viel los, vor allem bei schönem Wetter.

Um auf die Sandbänke zu gelangen, oder um schnell vom Stadtteil Untergiesing nach Thalkirchen - oder umgekehrt - zu gelangen, ist der vier Meter breite und 340,50 Meter lange Flauchersteg ein absolut zentrales Mobilitätselement für Fußgänger, Radfahrer und Jogger.

So leer wie auf dem Foto ist es hier nur frühmorgens, bei Regen, oder im Winter. Bei Hochwasser wird der Steg aus Sicherheitsgründen gesperrt, und das Fundament nimmt auch immer wieder Schaden. 2000/2001 wurde die gesamte Brücke komplett erneuert. Nach weiteren Hochwassern im Jahr 2005/2006 musste sie erneut repariert werden. Was man sich bei der Erneuerung des Flaucherstegs an Lärchenholz eingekauft hatte, kann nicht gerade top Qualität gewesen sein. Nach relativ kurzer Zeit fingen die Holzbalken an löchrig zu werden, ein bisschen geschrumpft sind sie anscheinend auch. Beides in Kombination führt dazu, dass die Holzelemente tiefer liegen als die Metallelemente, und bereits das führt zur Stolpergefahr. In Flip-Flops kann man sich ordentlich die Zehen anhauen.

Um genau zu sein, sieht es an vielen Stellen heute so aus:


Kraterlandschaft! Im Holz entstehen mehr oder weniger große Risse, Vertiefungen und regelrechte Löcher. Es besteht auch Rutschgefahr, denn die metallenen Elemente sind im Gegensatz zum furchigen Holz ziemlich glatt, vor allem wenn es geregnet hat. Als Schildbürgerstreich kommt obendrauf, dass man angefangen hatte, die teilweise massiven Schäden auf der Holzoberfläche mit irgendwelchen Brettern provisorisch abzudecken. Auf denen rutscht man richtig. Wenn man mit dem Fahrrad fährt, ist es ein Holterdipolter wie auf einer Rüttelmaschine. Gut, wenn man einen Gel-Sattel hat, oder ein Luxus-Bike der Superlative, mit weicher Federung. 😜


An heißen Sommertagen geht es auf dem Flauchersteg zu, wie am Stachus. Oder sollte ich zeitgemäßer sagen "wie auf dem Bahnsteig am Sendlinger Tor zur Hauptverkehrszeit"? Es ist extrem voll und extrem eng, weil die Badegäste auch noch ihre Räder und Anhänger dort abstellen. Radfahrer sollen in diesen "Stoßzeiten" absteigen und ihre Vehikel schieben, wodurch es noch enger und noch drängeliger wird. Den Sicherheitsdienst, der das alles überwacht, braucht man inzwischen eigentlich nicht mehr. Über diese Bretterbuckelpiste kann oder will man sowieso nur noch im Schritttempo fahren. Vielleicht ist das ja auch ein Grund dafür, dass man den Steg einfach so lässt, wie er ist - automatisch eingebautes Tempolimit. 😆
So schreibt denn auch Sandra Langmann auf MünchenMitVergnügen: "Wer den Steg schon einmal mit dem Fahrrad überquert hat, kennt das Durchgeschüttel. Metallbalken mögen zwar für die nötige Stabilität der Holzbrücke sorgen, aber auch für Angst, dass sich sämtliche Utensilien aus dem Fahrradkorb auf dem Steg verteilen." Ach, nehmen Sie einen Rucksack.

Im nächsten Bild habe ich das Kunstwerk farblich ein bisschen aufgedreht, damit man den hölzernen Flickenteppich besser erkennen kann: Blau = Metall, die Reparatur-Elemente (gelb) sehen fast aus, wie recycelte Bierbänke.

Bild unten: Besonders clever war es zu Beginn, materialsparend nur dort Bretter anzubringen, wo sich ein klaffendes Loch aufgetan hatte (gelborange). Mittlerweile war man wenigstens so freundlich, die geniale Überbretterung auf der gesamte Breite des Wegs zu ergänzen (graubraun). Bemerkenswert sind auch die krude abgeschrägten Brettkanten. Es sind etwa drei Zentimeter hohe Schwellen, jeweils vorne und hinten. Während das Vorderrad schon wieder nach unten holpert, holpert das Hinterrad gerade auf die Schwelle hinauf. Da wird mein Pegasus zum bockenden Bronco. Immerhin: das Doppelgeländer ist intakt. 😚
Neben den jeweils reparierten Stellen ist spätestens in der nächsten Saison das ursprünglich verbaute Lärchenholz genauso kaputt, wie das im Vorjahr überbretterte. Die könnten eigentlich gleich überall die Biertische drauftackern, aber dann wär's ja eine Rutschbahn. 😜

Diese Flickschusterei gibt es jetzt schon seit etwa zehn Jahren, mindestens. "Immer wenn sie irgendwo wieder zwei Meter Bretter draufnageln, wird der ganze Steg gesperrt", erzählte mir heute ein Passant, der gerade mit seinem Hund über die Brücke spazierte. Wir kamen ins Gespräch, als ich mit meinem Handy auf den Holzlatten kniete, und die Löcher fotografierte. Ich fragte ihn, ob er - als Anwohner und täglicher Stegläufer - vielleicht wisse, ob da in Sachen grundlegender Sanierung irgendetwas geplant sei. Wusste er auch nicht, und wollte gleich sein Handy zücken, um nachzuforschen, aber ich gebot ihm Einhalt - Arzttermin im Mutterhome, ich musste weiter.

Später habe ich selber im Internetz nachgeschaut, aber nichts gefunden. Es hätte ja sein können, dass sich die Lokalpolitik nach irgendeiner Bürgerversammlung dieses fortschreitenden Desasters bereits angenommen hätte. Google hat nichts gefunden, außer dass der Flaucher ein toller Ort ist. Stimmt, abgesehen vom Pfusch auf der Stolperbrücke. Womöglich fühlt sich keiner zuständig, weil das Bauwerk zwei verschiedene Stadtbezirke verbindet? Da müsste ich dann wohl beim Bezirksausschuss nachfragen.

Derweil hat unser Oberbürgermeister gerade einen neuen Dienstwagen bekommen, eine "Limousine der Superlative", in der er auch bei Tempo 190 ganz entspannt telefonieren kann. Natürlich ist es ein E-Auto. Nur der aktuelle Mercedes Maybach (5,47 Meter) und der Rolls Royce Phantom (5,76 Meter) sind noch länger als die Limousine von OB Reiter. Das erfährt man so nebenbei aus der Tageszeitung, wenn man wissen will, wie lange man noch über handgeschnitzte Brücken holpert und stolpert.
Ach, esst Kuchen, wenn ihr kein Brot habt. 😏 Als Kunstwerk ist der Flauchersteg definitiv eins der 1000 Meisterwerke.

Siehe auch: Zwölf Grad, Regen, Grillsaison, Sonn(en)tag, Morgens um halb neun, Wasser!, Die beschauliche Seite, Isarstrand, Modernes Schamanentum, Fabelwesen, Gähnende Leere, Hochwasser Meldestufe 1, Nah am Wasser, Treibholz im Wintergrau, Seh ich richtig - blauer Himmel?, Schwemmlandbewohner, Hurra, es ist Sommer, Think Big!, #Pegasus

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