Freitag, 6. September 2024

Platzwechsel?

25 mm | 1/120 s | f2,2 | ISO 50 | Smartphone

#Sitzgelegenheit
#Dialog im #Rosengarten  #München
#Mutterhistorie

Auch wenn die Blütezeit der meisten Rosen längst vorbei ist, gibt es im Rosengarten an der Isar genug lauschige Orte zum Verweilen. Die beiden Figuren im Dickicht scheinen gerade zu besprechen, ob sie die Seite wechseln sollen. Am Ende wird man noch komplett überwuchert, wenn man die ganze Zeit an der gleichen Stelle verharrt. Dann sieht man nichts mehr, und wird auch nicht mehr gesehen.  😉
Spielen Sie mit dieser Metapher.

Im Mutterhome ist heute ein Familiengeschichtentag. Auslöser war ein Alptraum, basierend auf einem Kindheitserlebnis. Diese Horrorvision hat meine Mutter nachts um eins aus dem Schlaf gerissen, und sie war lange wach geblieben. Als ich ankam, war sie in ihrem Sessel noch einmal eingeschlafen. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wer zum Frühdienst da gewesen war, aber die Geschichte von den Soldaten mit Gasmasken vor dem Gesicht war absolut präsent. Achtzig Jahre Leben dazwischen - weggefegt.
Beim Frühstück ging es dann querbeet durch die 1940er bis in die 1960er Jahre. Nein, eine Kindheit hatte sie nicht. Erst als die Amerikaner kamen, und keine Bomben mehr fielen... 

Wundern Sie sich, dass die tagesaktuellen Nachrichten bei uns gerade ausgeschaltet sind, und Schlagerprogramm läuft?

Geister der Vergangenheit
In den Morgenerzählungen meiner Mutter gab es viele Querschläger-Assoziationen zur Familie großmütterlicherseits. Zu diesem Teil der Verwandtschaft hatte sie den Kontakt schon in den frühen 1970er Jahren abgebrochen. 

Heute erschien in ihrer Erinnerung eine Tante Lini, die sie zu meinem Erstaunen als ihre Lieblingstante bezeichnete. Die sei - wohl im Gegensatz zu den anderen - immer fröhlich gewesen, aber von den katholischen Großeltern und ihren älteren Schwestern wie eine "Ausgestoßene" behandelt worden. Einen Tante Emma Laden hatte die Lini nach dem Krieg gehabt, aber was aus ihr - und all den anderen - geworden ist, weiß meine Mutter nicht. Vielleicht ist das ganz gut so, und womöglich hat sie mir durch ihren Kontaktabbruch einiges erspart. Das katholische "Setting" gehört auf jeden Fall dazu.
Mit insgesamt drei Tanten, die bei der Heirat andere Namen angenommen hatten, verliert sich die Spur dieser Verwandten im Lauf der Jahre, das Internetz weiß auch nichts. Nur die wenigen Kreuzungspunkte der alten Lebenswege erscheinen bei meiner Mutter gelegentlich als temporäre, glühende Erinnerungsfunken.

Lebensmuster
Sie wollte ihren eigenen Weg gehen, und einen Teil der Vergangenheit bewusst hinter sich lassen. Das eröffnet andere Möglichkeiten, und schafft Raum für andere Lebensentwürfe.
Um der Enge oder den Forderungen der Familie zu entgehen, ziehen manche Leute in eine weit entfernte Stadt oder wandern aus. Distanz schaffen, komplett neu anfangen... Trotzdem schleicht so manche strukturelle Erinnerung überall hin mit. Viele Denk- und Verhaltensmuster sind internalisiert, sie fühlen sich an, wie etwas Eigenes, weil sie so früh angelegt wurden, dass man mit dem Verstand gar nicht erst hin kommt. Dank moderner Psychologie bekommt man irgendwann eine Ahnung, wie es dazu kam, dass man irgendwie balla-balla ist. Aber wie Einstein schon erkannte: "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." Also einen Quantensprung vollführen? Wie geht das? Mit der Quantentheorie konnte sich Einstein nie so recht anfreunden, heutzutage ist es ein ziemlich heißer Scheiß. 😅

Mir wurde schon oft nahegelegt, den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen. Damit würde ich allerdings ein in meiner Familie gerne genommenes, systemisches Muster wiederholen. Ein 'Quantensprung' wäre es in meinem Fall nicht. Also ausharren, mich der Situation weiterhin aussetzen, koste es, was es wolle? Der Preis ist hoch, und abgerechnet wird am Schluss. Dazwischen winkt der eine oder andere Levelaufstieg, wenn man 'das Leben' als Spiel begreift. Es gibt ja nicht nur Kriegs- und Baller-, sondern auch Lernspiele. Das Forschungsprojekt geht also weiter, und nachher gibt es Pudding zum Nachtisch...

Heue vor einem Jahr: Freizeitstress
Heute vor fünf Jahren: Doppelt hält besser

Siehe auch: Freie Platzwahl, Unter der WeideIn TherapieEinmal kärchern bitte, #Sitzgelegenheiten, Verschwiegene Orte, Abgetaucht - Wenn Freunde einfach verschwinden, #Familie, Das ganze Bild (3)

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