27 mm | 1/320 s | f1,6 | ISO 50 | Smartphone |
#Muttergeschichten
Der Freitag ist in letzter Zeit häufig Muttergeschichten-Tag. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist, oder ob meine Mutter vor dem Wochenende absichtlich nochmal aufdreht, ... jedenfalls hat sie heute wieder so einen Kracher gebracht, dass ich gar nicht weiß, wie ich diese Geschichte in Worte fasse, ohne dass Sie mir mit dem nackten Hintern ins Gesicht springen. Ich könnte diese Episode auch für mich behalten, aber es wäre genauso schade wie die Sache mit dem Pornopapst. 😅
Also... soviel vorneweg: Sie hat das N-Wort benutzt. Denken Sie sich jetzt die Szene aus Monty Python's "Das Leben des Brian" dazu, falls Sie diesen Film kennen: "Hat da jemand Jehova gesagt?!" Das darf man nicht. ABER, und das ist wirklich Fakt: Für meine Mutter bedeutet dieses Wort nichts Böses oder Abwertendes. Im Gegenteil.
Meine Mutter kann mit Worten und durch Gesten durchaus krass beleidigend sein, nicht aber mit dem N-Wort. Das ist für Außenstehende schwer zu verstehen, und auch irgendwie ver-rückt, aber ich kenne sie nun mal ziemlich gut, und weiß, wann sie was wie meint. Begrifflichkeiten und Wörter sind eine Frage der internen Übereinkunft, auch wenn ich es nicht schätzen würde, wenn mich jemand absolut liebevoll "Arschgeige" nennt.
Als ich heute früh eintraf, ging es, wie so oft, um Musik, diesmal in der Kategorie Tanz. Meine Mutter hatte schon den ganzen Morgen Musikvideos geschaut, diesmal die internationale Fraktion von Deluxe TV, anscheinend mit Beiträgen aus den USA. Für diese Programmsparte hat sie meistens nicht viel übrig, doch heute muss ein Video dabei gewesen sein, bei dem meine Mutter regelrecht ausgeflippt ist. Voller Begeisterung sprudelte es aus ihr heraus...
"Die tanzen wie die Gummiteufel! Das glaubst du nicht! Lauter Neger: alte und junge, dicke und dünne, Männer, Frauen und Kinder! Die sind auf der Bühne herumgesprungen, ganz ungeschminkt, auch die Alten, und die haben getanzt wie verrückt! Du glaubst nicht, wie gelenkig die sind! Wenn du das siehst, da kannst du über unsere Therapeuten nur noch lachen."
Pong.
Mir ist das Gesicht schon beim Ausdruck "tanzen wie die Gummiteufel" entgleist. Ich liebe Gummiteufel. Wann habe ich zuletzt einen gegessen? Ewig her. Ich sah also erst mal tanzende Gummiteufel in sämtlichen Farben vor meinem inneren Auge. Der gelenkige Gummiball, von dem meine Mutter neulich gesprochen hatte, war auch eine Wortkombination, bei der ich als Autorin geradezu vor Neid erblasse. Auf sowas muss man erst mal kommen. Wenn Wortfindungsstörungen eine positive Seite haben, dann ist es diese. Und was das N-Wort angeht, hörte ich vor allem eine hoch emotionale Begeisterung und große Bewunderung für die Tänzerinnen und Tänzer im TV. Wenn jemand jetzt beleidigt sein könnte, dann am ehesten die Berufsgruppe der Therapeuten. 😅
Die kommen bei meiner Mutter gar nicht gut weg, weil das, was sie mit denen machen soll, sowieso nutzlos ist, und überhaupt nichts bringt. Wenn sie beim Zappen durch die TV-Kanäle zufällig die Gymnastik-Übungen zum Mitmachen streift, die es auf Kanälen wie dem Bayerischen Rundfunk gelegentlich gibt, oder Fit mit Philipp auf ORF2 erwischt, lacht meine Mutter jedes Mal Tränen.
Mitmachen kommt für sie natürlich nicht in Frage, denn wenn sie das täte, würde sie schnell merken, dass auch diese banalen Übungen viel zu anstrengend für sie wären. Aber: bringt ja nichts, sie von etwas anderem überzeugen zu wollen.
Das überlasse ich den professionellen Therapeuten, die zweimal wöchentlich zu ihr ins Haus kommen. Die üben gelegentlich mit ihr, sich drei Meter ohne Rollator zu bewegen, natürlich fest aufgestützt auf die Arme des Therapeuten. Mit einem schwer beeinträchtigten Gleichgewichtssinn ist diese Übung wirklich angsteinflößend, und als TherapeutIn muss man dabei sehr kräftig und sehr aufmerksam sein, damit die korpulent gewordene alte Dame unterwegs nicht stürzt.
Ich könnte meine Mutter nicht auffangen, darum bevorzugt sie grundsätzlich Männer, weil sie die für kräftiger hält... was aber auch nicht stimmt. 😉 Die aktuelle Physiotherapeutin kann richtig zupacken, und hat sich dadurch den Respekt meiner Mutter erarbeitet. So hat sie auf Rückfrage ganz schnell eingeräumt, dass man wirklich nicht alle Therapeuten in einen Topf schmeißen darf.
Die atemberaubende morgendliche Tanz-Szene hat noch mehrmals während des Frühstücks Wellen der Begeisterung geschlagen, und vielleicht bekomme ich das relevante Video selber noch irgendwann zu sehen. Mit-tanzen kann meine Mutter nicht mehr, auch wenn sie es nach eigenen Aussagen gerne täte. Ja, ich würde auch gerne bei der Tour de France mitfahren. 😆 (Ne, wirklich nicht.)
Es heißt, dass man schon beim Zuschauen von sportlichen Übungen körperlich profitiert. Das nennt sich observatives Lernen oder ideomotorisches Training. Beim intensiven Zuschauen werden im Gehirn die Areale aktiviert, die auch bei eigenen Bewegungen aktiv sind. So werden unter anderem Spitzensportler auf Spitzenleistungen trainiert. Selbst wenn man im Bett liegend intensiv an eine Bewegung denkt, lässt sich in den dafür erforderlichen Muskeln ein Muskelaufbau messen! (Spannendes Thema!) Wenn meine Mutter durch das Beobachten von Tanzvorführungen den letzten Rest ihrer Muskelmasse wenigstens erhält, ist das ja schon eine gute Nachricht.
Das N-Wort lässt sich in diesem Leben wohl nicht mehr aus ihrem Vokabular löschen. Wir könnten es höchstens durch den Begriff "Gummiteufel" ersetzen. Ob das besser ist, weiß ich jetzt aber auch nicht. Über die Berufsgruppe der Psychologen reden wir dann das nächste Mal. 😅
- Monty Python's "Das Leben des Brian"- Wikipedia, Youtube
- Sendereihe Tele-Gym - Bayerischer Rundfunk
- Fit mit Philipp - Homepage
- Observatives Lernen - holgerluening.de, Bundesinstitut für Sportwissenschaft
- Ideomotorisches Training - Lexikon der Neurobiologie bei Spektrum der Wissenschaft
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