Freitag, 23. Februar 2024

Frisuren und irgendwas mit "ik"

27 mm | 1/120 s | f1,6 | ISO 80 | Smartphone

 #Schaufenster  #Deko mit #Sonnenbrille
#Frühling im #Winter2023/24
#Muttergeschichten

Als ich unlängst von Michelangelos neuestem Hit berichtete, dachte ich, dass meine Mutter den Namen Frederik im Gedächtnis behalten hätte. Nein, doch nicht. Am nächsten Tag erzählte sie etwas von Benedikt, konnte aber nicht den ehemaligen Papst meinen, denn der kommt nicht zum Frühdienst ins Mutterhome. Mit gerunzelter Stirn nachfragen ist eine rhetorische Taktik: "Wer ist Benedikt?"  
Sie winkte ungeduldig ab. "Irgendwas mit ik", meinte sie, um mir zu signalisieren, dass sie keine Lust auf Namensgedächtnistraining hatte. Sie wollte eine wichtige Neuigkeit loswerden.
"Mach nicht so tiefe Falten auf deine Stirn, sonst musst du sie dir glattbügeln", kommentierte sie meinen fragenden Blick, und fuhr sogleich fort: "Jetzt hat man herausgefunden, dass diese ganzen Schönheitscremes und Kosmetikprodukte total voller Gift sind. Die Säure macht die Haut kaputt!"

Es erinnerte mich an eine Phase vor etwa zwei Jahren, in der sie mir fast jeden Tag von der tollen neuen Gesichtspflege erzählt hatte, die ich ihr hätte kaufen sollen, mit Hyaluronsäure. Meinte sie das? Oder meinte sie Botox-Spritzen, die bekanntlich aus Gift bestehen, und die Gesichtsmuskeln lähmen, damit man schön glattgebügelt aussieht?
Aus ihren Nacherzählungen des aktuellen TV-Programms ging nicht eindeutig hervor, welche Säure oder welches Gift sie meinte. Klar war nur, dass sie irgendeine Werbesendung aufmerksam verfolgt hatte. Unmittelbar nachdem sie mich vor der gefährlichen, hautzerstörenden Wirkung von Kosmetik gewarnt hatte, teilte sie mir mit: "Aber der Herr Asam hat jetzt wieder ein neues Produkt. Ich habe mein Sortiment schon zusammengestellt, vier Sachen sind das."
Tja, welche das genau sind, hätte sie sich merken müssen, weil sie es nicht mehr aufschreiben kann; dazu ist ihre Hand zu ungelenk geworden. Dass ich im Internetz nachschauen soll, hat meine Mutter nicht gesagt, aber sie kommuniziert gerne indirekt: Sie will das Zeug haben, und ich soll mich um die Beschaffung kümmern, damit sie auch so jung aussieht, wie sie sich fühlt.
"Man ist nie zu jung um...", fing sie ihren nächsten Satz an, merkte aber, dass daran irgendetwas nicht stimmte. Neuer Anlauf:
"Man ist nie zu alt, um jung zu sein!"
Nach einer kurzen theatralischen Pause setzte sie nach: "Weißt du, was das bedeutet?"
"Ja", sagte ich, konnte aber gar nicht antworten, weil sie gleich weiter sprudelte: "Das ist der neue Song von Giovanni, aber den haben sie auf unserem Musikkanal erst einmal gesendet. Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass sie ihn wieder spielen."
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Song von Mozarella ist, oder von jemand anderem im Schlagercanon auf Deluxe TV, aber die Botschaft ist klar und auch schön: Man kann noch so alt sein, so lange man im Geiste und im Herzen jung bleibt, ist alles okay. Meine Mutter ist nicht alt, das betont sie jeden Tag. Also können wir getrost auf das unverschämt teure Kosmetikproduktsortiment verzichten? Das haben wir noch nicht final geklärt, unter dem Stichwort 'trockene Haut' kommt es sicher in die Wiedervorlage. Irgendeine Gesichtspflege muss.

Gut aussehen!
Vor etwa zwei Jahren hatte meine Mutter mir vollen Ernstes eine Gesichts-OP empfohlen. Ich nehme das nicht persönlich und auch nicht ernst, denn zu jener Zeit war das Thema im TV gerade total en vogue. Ich lehnte den Vorschlag also dankend ab, und erklärte, dass ich nicht aussehen will, wie Michael Jackson. Tanzen können wie Jacko wäre toll, operieren nicht. In Würde altern lautet meine Devise, aber meine Mutter wollte damals unbedingt ein Facelifting für sich selbst. Als ihre Ärztin zum Hausbesuch da war, hatte meine Mutter sogar explizit danach gefragt. Im Alter wird die Gesichtshaut schlaff, und das stört.
Die sichtlich erstaunte Ärztin reagierte cool: Zum einen bestätigte sie meiner Mutter deren jugendlich frischen Teint, und zum anderen erklärte sie, dass ein Facelifting nicht als Krankenkassenleistung zu haben, und so ein Eingriff überdies ziemlich teuer sei. Damit war die OP vom Tisch, Danke Frau Doktor... wir wechselten zu den Hyaluron- und Antifaltencreme-Diskussionen.
Obwohl sich im letzten Jahr viele junge Frauen ihre schlauchbootartig aufgespritzen Lippen wieder haben zurückmodellieren lassen, bleiben Beauty-Trends im Mutterhome ein heißes Thema.
Nachdem sie inzwischen die dritte Frisörin getestet und mit ihrem Gelächter verschlissen hat, sinkt die Hoffnung darauf, dass meine Mutter jemals wieder einen perfekten Frisör finden wird, der ihr die Haare so toll stylt wie der Max in den 1960er Jahren. Bei dem hatte meine Mutter damals jede Woche einen Termin, und alle paar Wochen eine neue Haarfarbe. 

Folge dem weißen Kaninchen...
Dass Menschen abends völlig anders aussehen können als morgens hatte ich sehr früh in meiner Kindheit gelernt. Als mich meine Mutter eines Abends von der Tagesmutter abholte, erkannte ich sie nicht mehr. Morgens noch blond mit Hochsteckfrisur, abends Kurzhaarschnitt in Schwarz - fremde Person. Es waren ihr Geruch und ihr Mantel, die mich, nebst gutem Zureden davon überzeugen konnten, dass es sich tatsächlich um meine Mutter handelte. Heute verwirrt sie mich auf andere Weise. 

Ihr leidenschaftlich vorgetragener Bericht über Kosmetikprodukte mündete in Ausführungen darüber, wie viele altgediente Musiker immer noch oder wieder auf der Bühne stehen, von Bernhard Brink bis zu den Rollenden Steinen, die sich alle auch optisch gut gehalten hätten.
"Der Gockelmann ist musikalisch jetzt auch wieder gut im Geschäft", ließ meine Mutter mich wissen. Das Codewort Gockelmann ließ bei mir keine Glocken läuten, darum fragte ich erneut nach.
"Meinst du den Ross Anthony?"
"Nein, der ist ja noch jung. Der andere, von 1924!"
Es war der Moment, in dem ich nicht mehr konnte. Lachanfall. Minutenlang. Mir liefen die Tränen aus den Augen. 😂😂😂😂
Neunzehnhundertvierundzwanzig ist fast so gut wie 42, aber es war noch nicht das Ende unseres Gesprächs. Manche Tage sind wirklich hart.

Geografiestunde
Nach ihrem Schlaganfall war meine Mutter mehrere Monate in einer Reha-Klinik in Bad Aibling. Aus dieser Zeit fernab von zuhause hat sie ebenso gute wie schlechte Erinnerungen, manche fehlen komplett. Den Namen dieser oberbayerischen Gemeinde kann sie sich nicht merken. Sie sagt Albessinien, wenn sie von der Reha-Zeit spricht. Das ist eine ihrer vielen kreativen Wortneuschöpfungen, mit denen ich gelernt habe umzugehen. Ich korrigiere zwar immer noch nach, und sage "Bad Aibling", wenn sie "Albessinien" sagt, aber das macht keinen Unterschied für sie. Für mich ist diese Korrektur wichtig, damit ich geistig in der Spur bleibe, und nicht auch irgendwann anfange, von Phantasialand Albessinien zu sprechen. Nach dem 1924-Gelächter wollte meiner Mutter noch einmal verdeutlichen, wie wichtig Musik für sie ist, und sagte: "Die Klinik da in Albanien hätte ich ohne Musik nicht ausgehalten."

... 😂😂😂😂😂😂😂😂

Übermorgen Albertinien? Wie der Sterne- und TV-Koch Nelson Müller zu seinem Namen kam, und warum er jetzt für Deutschland singt, würde den Rahmen sprengen. Die weitaus spannendere Frage lautet, wann Benedikt oder Hendrik wieder zum Frühdienst erscheinen. Vielleicht kommt auch Philip, jedenfalls irgendwas mit ik oder ip. Hauptsache es ist ein i im Namen, dann weiß ich, wen sie meint. "Wenn du ihm eines Tages persönlich begegnest, wirst du ihn sofort an seiner Frisur erkennen", sagt meine Mutter. Hoffentlich geht er nicht zum Frisör! 😅

Siehe auch #Muttergeschichten: Michelangelos neuester Hit, Musikantenstadl, Sommerkonzert, Ausgelutscht, Moment mal - sieht der nicht aus wie...O-O-O..., Ein Untier ist los, 4711: ChatGPT im Mutterhome, Briefwahl, Die Qual der Wahl, Warum klebt der Käse an der Wurst?, Hausmittel, Unisono, Oh Marylin!, Endlich....!, (Zehn)Tausend magische Momente..., Mutternproblem, Gorillakäse fürs Forsa-Institut, Personalfragen, Fatzebuhk!, Es Muttert, Was zählt, Hey Baby, wo geht's zum Kornfeld?, Mehr Style für's Mutterhome

Oder: 42 - Die Antwort auf (fast) alle FragenEin Bastewka sind drei Anhalter in der Galaxis, Da lachen ja die Hühner, Spargel macht schön

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