Freitag, 7. Juni 2019

Zur Hölle mit den anderen

Deutsche Komödien sind oft ziemlich albern oder sehr holzschnittartig. Dem Film Zur Hölle mit den anderen (Regie: Stefan Krohmer, Drehbuch: Nicole Armbruster) gelingt diese Gratwanderung besser. Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Studienkolleginnen Sandra und Katrin, typische Mittdreißiger, haben sich neun Jahre lang nicht gesehen. Sandra ist Vollzeitmutter und Herdprämienbezieherin. Sie lebt mit ihrem Mann Erik und dem gemeinsamen Sohn in einem schicken Haus. Katrin ist vollzeitberufstätige Controllerin, und ist mit ihrem Lebenspartner Steffen, der sich um die Erziehung der kleinen Tochter kümmert, zum Grillnachmittag eingeladen. Bei dieser Begegenung prallen die unterschiedlichen Lebenskonzepte der Paare hart aufeinander. Es beginnt mit spitzen Bemerkungen, danach nimmt die Gesellschaftssatire Fahrt auf. Sie ist wie ein Kammerspiel inszeniert, und spielt ausschließlich in der Wohnung und im Garten von Sandra und Erik.

Das Foto stammt nicht aus dem Film, ich habe die Motive gestern zufällig entdeckt,
und fand sie sehr passend für den Film, der hier vorgestellt wird.


Manche Szenen sind dramaturgisch überhöht, zum Beispiel wenn die Vollzeitmutter Katrin ihrem fünfjährigen Sohn immer noch die Brust gibt, weil das angeblich die Abwehrkräfte stärkt, oder ihre konservierte Plazenta im Wohnzimmerregal aufbewahrt. Das Drehbuch greift bewusst zu gängigen Klischees, auch bei den Männerrollen. Da trifft der gutverdienende Macho-Manager auf den Öko-Journalisten, der seinen Job gegen die Vaterrolle getauscht hat. Zwar stehen die beiden Frauen im Mittelpunkt, aber auch die Begegnungen von Mann zu Mann haben es in sich.

 
In den Dialogen, die manchmal an das Drama "Gott des Gemetzels" erinnern, wird das Dilemma der heutigen Mittdreißiger mal mehr, mal weniger feinsinnig nachgezeichnet. Dabei streift der Film viele aktuelle Themen: Schulen mit hohem Ausländeranteil, rücksichtslose Konzerne, Umweltzerstörung, Vegetarismus, die Bedeutung von beruflichem Erfolg, perfekten Kindern, perfekten Eltern...
Während die Fassade bröckelt, wird deutlich, dass beide Lebenskonzepte teuer erkauft, und nicht ohne Nebenwirkungen sind. Immer wieder will man Toleranz für das Gegenüber zeigen, und sich miteinander versöhnen. "Ich hab's nicht so gemeint", ist wohl der am häufigsten gesprochene Satz im Film. Haben sie es doch genau so gemeint, oder sind die Protagonisten auch nur Opfer ihrer eigenen Erwartungen, denen sie einfach nicht gerecht werden können? Darin liegt die Tragik, und daraus entwickelt sich das Komische. Manchmal muss man tief durchatmen, manchmal laut lachen, manchmal ist es einfach nur doof. Mir hätte der Film auch sehr gut als reiner Psychothriller gefallen. So eignet er sich aber deutlich besser als leichter Unterhaltungsfilm mit ausreichend Tiefgang. An vielen Stellen fragt man sich als Zuschauer, ob es noch Satire, oder nicht doch in ein hammerhartes Psychodrama mit bösem Ausgang wird.

Die Kinder Fatme und Frederik sind wichtige Randfiguren, die unter der Zerrissenheit und den Ansprüchen der Erwachsenen zu leiden haben. Drehbuch und Regie zeigen hier viel Einfühlungsvermögen, indem die Kinder immer wieder ins Off geschickt werden, wo sie ungestört spielen können.
Der Junge und das Mädchen sind gleichermaßen begeistert vom pinkfarbenen Spielzeugherd der Supermutter, und sie schießen vergnügt mit den Wasserpistolen des Macho-Vaters aufeinander, während ihre verzweifelten Eltern ihren Rausch ausschlafen. Wenn in dieser Symbolik die Botschaft steckt, dass die nächste Generation es besser machen wird, dann gibt dieser Film Anlass zur Hoffnung. Zur Hölle mit den anderen ist eine unterhaltsame und gleichzeitig tiefgründige Anregung zum Nachdenken über Lebenskonzepte. Bittersüß!

Schauspieler: 
Katrin: Britta Hammelstein
Steffen: Felix Knopp
Sandra: Mira Bartuschek
Erik: Holger Stockhaus
Fatme: Mila Breiter
Frederik: Linus Sachtler

Zusammenfassung
In meiner persönlichen Filmbewertung vergebe ich maximal fünf Sterne. Die Kriterien wechseln mit dem Genre. Zum besseren Verständnis: Story: ist die Geschichte interessant, sind die Handlung und die Figuren schlüssig, gibt es unerwartete Wendungen? Action: Die hier gezeigten Sterne sagen etwas darüber aus, ob es viele Verfolgungsjagden, geschredderte Autos, Stunts und dergleichen gibt. Brutalität: je mehr Sterne hier zu sehen sind, desto mehr muss man sich auf Gewaltszenen wie Schießereien, Kämpfe, Blut, körperliche Gewalt, Folter einstellen. Nackte-Haut-Faktor: Sagt etwas darüber aus, ob es viele oder sehr explizite Erotikszenen gibt.

Story: * * * * 
Action:  -
Spannung: * * *
Psychologie: * * * * *
Humor:  * * *
Brutalität:  -
Nackte-Haut-Faktor: -
Gesellschaftliche Relevanz: * * * * *

Bis zum 12.6.2019 ist dieser Film in der 3sat-Mediathek verfügbar.

Bei Amazon Prime Video

Weiterführende Links: 
Der Gott des Gemetzels (Wikipedia)
Kammerspielfilm (Wikipedia)



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