Freitag, 14. Juni 2019

Talkshows: Nur dummes Geschwätz?

Das Konzept einer Talkshow besteht darin, dass ein Gastgeber (Moderator oder Talkmaster) unterschiedliche Gäste zu einem gelenkten Gespräch in ein Fernsehstudio einlädt. Manchmal entwickeln sich dabei auch Gespräche unter den Gästen.

Über Talkshows kann man wahrlich geteilter Meinung sein. Die meisten halte ich für Zeitverschwendung, vor allem die sogenannten "Daily Talks" auf Privatsendern. Manche Talkshows sind unterhaltsam, zum Beispiel 3nach9 von Radio Bremen. Viele der leichten Unterhaltungs-Szenarien kranken jedoch daran, dass die prominenten Gäste auf Marketing-Tour sind. Ihr Auftritt dient dem Zweck, ein neues Buch, einen neuen Film, oder eine neue Platte zu promoten. Im Gegenzug beantwortet man ein paar persönliche Fragen. Wenn die Moderatoren nicht auf Zack sind, entwickelt sich nur ein oberflächliches Geplänkel mit Haha-Gelächter. Polit-Talkshows wie Hart aber fair und die anderen üblichen Verdächtigen bedienen vor allem das "Empörungsmanagement". Wer sich diese inszenierten Aufreger antut, und danach nicht einschlafen kann, muss sich nicht weiter wundern.

Eine etwas angenehmere Kategorie sind die "einfühlsamen" Sendungen: Der allseits beliebte Markus Lanz liefert allabendlich mit prominenten Gästen ein buntes Potpourri ab.  Vielleicht kennen Sie noch den umstrittenen Jürgen Fliege (bis 2005), Reinhold Beckmann (bis 2014), oder die Kultsendung Domian (bis 2016). 

Mein heutiger TV-Tipp ist das NACHTCAFÉ, das schon seit 1987 vom SWR ausgestrahlt wird. Es handelt sich dabei um eine der ältesten thematischen Talkshows hierzulande. Sechs bis acht Gäste sprechen über eigene Erfahrungen zu Themen aus dem gesellschaftlichen Bereich. Schwerpunkte sind Familie, Beziehung, aber auch gesellschaftspolitische Fragen.



Das Besondere am NACHTCAFÉ ist, dass nicht nur Prominente eingeladen werden. In der Sendung kommen Menschen zu Wort, von denen die meisten vorher noch nie im Fernsehen zu sehen waren. Ein Experte mit wissenschaftlichem Hintergrundwissen, ein Psychologe oder ein Philosoph tragen ebenfalls zur Diskussion bei. In der Runde treffen Menschen mit extrem gegensätzlichen Positionen aufeinander. Die ausführlichen Einzelgespräche sind so aufgebaut, dass jeder dem anderen zuhört. Es wird diskutiert, nicht gestritten. Zuschauer und Beteiligte haben die Möglichkeit, Verständnis für die Situation und das Erleben der anderen zu entwickeln. Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten. Im NACHTCAFÉ kann man sich einige davon anhören, und sich eine eigene Meinung bilden.

Von 1987 bis 2014 wurde die Sendung von Wieland Backes moderiert, einem charmanten alten Herrn, dem das NACHTCAFÉ seinen großen Erfolg verdankt. 2015 hat der ehemalige Sportstudio-Moderator Michael Steinbrecher die Gesprächsrunde übernommen, und macht sich ausgesprochen gut in dieser Rolle. Im Hauptberuf arbeitet er an der TU Dortmund als Professor für Fernseh- und crossmedialen Journalismus. Eines seiner Ziele für das NACHTCAFÉ lautet: Weniger Gäste, noch intensivere Gespräche. Zu Twitter sagt er: "Für mich persönlich sind die 140 Zeichen nicht die richtige Form. Manches braucht mehr Zeichen."

Dass Sendungen [wie "Domian"] von so vielen Leuten geschaut werden, sollten wir als Ermutigung sehen, genau da weiter zu machen, denn da sollte keine Lücke entstehen. 
(Michael Steinbrecher)

Das NACHTCAFÉ hat Einschaltquoten bis 15,9 Prozent, und liegt insgesamt auf Platz eins der Talkshows in den Dritten am Freitagabend, bezogen auf das jeweilige Sendegebiet. Bundesweit erreicht die Sendung bis zu eine Million Zuschauer. Zum Vergleich: Hart aber fair erreichte im Mai 2019 beim Gesamtpublikum 2,27 Millionen Interessenten, das sind maue 8,1 Prozent Marktanteil. Übrigens hatte Frank Plasberg auch mal eine Talkshow im WDR, Plasberg persönlich. Sie verfolgte ein ähnliches Konzept wie das NACHTCAFÉ, fiel aber 2014 Sparmaßnahmen zum Opfer. Die Kopie war vermutlich nicht so erfolgreich wie das Original.

Wenn Sie das NACHTCAFÉ noch nicht kennen, schauen Sie in die Mediathek, und suchen Sie sich ein Thema aus, das Sie interessiert. Das Sommerloch im TV lässt sich mit älteren Sendungen wunderbar füllen. Hier ein paar Beispiele, die auch das breite und manchmal unkonventionelle Themenspektrum illustrieren. Die Links führen zur jeweiligen Sendung in der Mediathek.
Sendetermin: immer freitags um 22 Uhr auf SWR 

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