Samstag, 22. September 2018

Tagträume sinnvoll nutzen


Ertappen Sie sich manchmal dabei, dass Ihre Gedanken irgendwohin abgeschweift sind? Sie schauen aus dem Fenster, aber in Ihren Gedanken sind Sie an einem ganz anderen Ort. Sie stellen sich vielleicht ganz lebhaft vor, wie Sie eine Aufgabe lösen oder ein Gespräch  mit jemandem führen, und dabei nehmen Sie die Realität um sich herum gar nicht mehr wahr... In solchen Momenten erleben Sie so etwas wie einen hypnotischen Zustand. Diese Fähigkeit unseres Gehirns, in Gedanken das Hier und Jetzt komplett zu verlassen, ist im Alltag nicht immer hilfreich. Wir müssten aufmerksam zuhören, aber wir sind nicht bei der Sache. Wenn wir beim Tagträumen etwas Wichtiges übersehen, kann das ziemlich gefährlich werden. Diese Fähigkeit lässt sich aber auch bewusst nutzen, um Stress abzubauen, um die Konzentrationsfähigkeit zu steigern oder um Lösungen für Probleme zu finden. 

Die Methode dazu bezeichnet man als Fantasiereise (manchmal auch Märchen- oder Traumreise). Dabei handelt es sich um einen gelenkten Tagtraum, der fünfzehn bis dreißig Minuten dauert, und eine klare Struktur und ein Ziel hat. In einer ruhigen und entspannten Atmosphäre sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge eine Geschichte ablaufen, die Ihnen entweder von einer anderen Person vorgelesen oder erzählt wird oder die Sie sich selbst im Kopf erzählen.

Der therapeutische Nutzen von Fantasiereisen ist groß: Sie werden unter anderem therapiebegleitend gegen Schmerzen, Schlafstörungen, bei Ängsten und Phobien oder zur Raucherentwöhnung eingesetzt.


Warum und wie funktionieren Fantasiereisen?
Hört jemand Worte, die nicht eindeutig vom Sprecher in ihrer Bedeutung erklärt sind, also Freiraum für Interpretationen lassen, wird das Unterbewußtsein versuchen, in der Erinnerung etwas zu finden, was das genaue Verständnis des Gehörten ermöglicht.
Wird beispielsweise von einem Baum gesprochen, ist es wichtig zu wissen, ob damit eine Pflanze, ein Maibaum, ein Kabelbaum oder der Mastbaum eines Schiffes gemeint ist. In der alltäglichen Kommunikation können sich hieraus Missverständnisse ergeben. Dort ist es wichtig, das Gesagte möglichst präzise zu formulieren oder zu erklären, in welchem Kontext es steht. Bei der Fantasiereise ist diese Ungenauigkeit von Vorteil.

Die häufigsten 800 englischen Worte haben je nach Kontext 14.000 (vierzehnTAUSEND!!!) verschiedene be-DEUTUNG-en.

Menschen sind grundsätzlich stark motiviert, irgendeinen Sinn in ihren Erfahrungen zu erkennen. Der Hang zur unbewußten Interpretation wird nicht nur bei Phantasiereisen, sondern auch in der Literatur und von guten Märchenerzählern systematisch benutzt, um Menschen in ihre ganz persönliche Welt der Träume zu entführen. Dies geschieht über
  • alle Worte, deren objektive Bedeutung nicht genau definiert ist, und die von verschiedenen Menschen unterschiedlich interpretiert werden.
    Beispiel: Glück. Fragt man 10 Menschen, was Glück bedeutet, wird man 10 verschiedene Antworten bekommen.
  • Tätigkeitsworte, die keine genaue Beschreibung der Tätigkeit darstellen.
    Beispiel: verändern, lieben, heilen, verstehen, erfahren... Der Hörer muß das jeweilige Wort mit seinen eigenen Erfahrungen, Wünschen und Abneigungen entsprechend mit Inhalten füllen.
  • einen ungenauen inhaltlichen Bezug.
    Beispiel: man (statt ich, du, Hans, Lisa...)
  • Auslassungen, das Fehlen von zum Verständnis notwendigen Satzteilen.
    Beispiel: "Ihnen ist es doch bestimmt auch wichtig, zu wachsen..."

Wie läuft eine Fantasiereise ab?
  1. Man schafft zunächst eine angenehme Atmosphäre, zum Beispiel durch beruhigende Hintergrundmusik oder Naturgeräusche.
  2. Der oder die Reisende nimmt eine entspannte Haltung ein, zum Beispiel auf dem Sofa liegend oder in einem bequemen Sessel.
  3. Der oder die VorleserIn liest eine fiktive Geschichte, in die viele Pausen eingebaut sind. Diese Pausen dauern mindestens zehn Sekunden, können aber auch bis zu zwei Minuten lang sein. Dies gibt dem Zuhörenden genug Zeit, um sich in die Bilder einzufühlen.
  4. Der Text ist so formuliert, dass die Rückkehr in die Realität mit einem tiefen Durchatmen, sich strecken und Gähnen zur Kreislaufaktivierung eingeleitet wird; häufig wird durch Rückwärtszählen von 5 bis 1 die Traumwelt schrittweise verlassen.
  5. Im Anschluss kann ein (therapeutisches) Gespräch stattfinden.
Wenn der Zuhörende während einer Fantasiereise einschläft, kann sie trotzdem wirken. Man geht davon aus, dass das Unterbewusstsein im leichten Halbschlaf die eingehenden Informationen aufnimmt und verarbeitet.

Eine besondere Form der Fantasiereise sind sogenannte schamanische Reisen, bei denen man zum Beispiel sein persönliches Krafttier finden kann. Phantasiereisen gibt es für Erwachsene und für Kinder, als Texte zum Vorlesen oder im Audioformat.
 


Buchtipp:
beide von Evelyne Maaß und Karsten Ritschl.

Keine Kommentare: