34 mm | 1/120 s | f1,6 | ISO 125 | Smartphone |
#Spiegelselfie #orange
#Muttergeschichten đ
Haben Sie mich entdeckt? Da mĂŒssen Sie schon ganz genau hinschauen. In der U-Bahn gibt es einige freie PlakatflĂ€chen, die mit verspiegelten Zerrbildern auf neue Werbekunden warten. Die klassische, weil zumeist statische Plakatwerbung hat ausgedient, weil sich alles Interessante lĂ€ngst auf dem Smartphone abspielt. Da gibt es bunte, bewegte Bilder, Reels, Sekundenclips im Sekundentakt, fĂŒr Menschen mit einer Aufmerksamkeitsspanne von maximal drei Sekunden? Ein Goldfisch kann sich angeblich neun Sekunden lang auf eine Sache konzentrieren. Woher dieser plakative Vergleich kommt, und ob das wirklich stimmt, will ich jetzt gar nicht weiter ausfĂŒhren, dazu ist meine heutige Aufmerksamkeitsspanne zu kurz, aber wenn es Sie interessiert, finden Sie unten die weiterfĂŒhrenden Links.
Die KonzentrationsfĂ€higkeit meiner Mutter ist definitiv kĂŒrzer als meine, und es geht ihr leider gar nicht gut. Wenn es ihr tagesformschwankend besser geht, sprechen wir von Verbesserungen auf niedrigem Niveau. Ich bin erschrocken, als ich sie gestern besuchte, weil sie so undeutlich sprach wie nie zuvor, so als hĂ€tte sie gerade nochmal einen Mini-Schlaganfall gehabt. Sie lallte, als hĂ€tte sie im Alleingang eine Flasche Whisky getrunken. Im weiteren Verlauf des Besuchs wurde es wieder etwas besser, aber sie atmet schwer.
Zum Trost habe ich meiner Mutter erklÀrt, dass nÀchste Woche ihr Reha-Aufenthalt ansteht, drei Wochen in einer Spezialklinik, wo sie wieder hochgepÀppelt und mobiler werden soll. Dann könnte sie sich aus der Cafeteria entfernen, wenn die alten Weiber aufeinander losgehen.
Als meine Mutter die Wörter Reha und Physiotherapeuten hörte, winkte sie genervt ab. Was das noch soll, fragte sie, und die Frage ist berechtigt. Trotzdem wird diese Reha stattfinden, weil in unserem Gesundheitssystem alles getan wird, was getan werden kann. Es besteht ein gewisser Rest von Hoffnung, dass sich der körperliche Zustand meiner Mutter noch einmal verbessern kann. Dazu mĂŒsste sie Kraft und Motivation aufbringen, bei den therapeutischen MaĂnahmen mitzumachen. Das war schon in den letzten vier Jahren problematisch, als sie noch zuhause war.
"Ich habe keine Kraft mehr", seufzte sie matt, und ich sehe auch, dass es so ist. Es ist schlimm, wirklich schlimm, am allermeisten fĂŒr sie. Fragen Sie nicht, wie es fĂŒr mich ist. Ich war auch nicht gerne im Kindergarten, aber es fĂŒhrte kein Weg daran vorbei. đ„
Nach dem Oberschenkelbruch liegt meine Mutter jetzt schon seit drei Wochen die meiste Zeit im Bett, weil das Bein nicht belastet werden kann. Hinzu kommen Schmerzen und die Panik, dass sie erneut stĂŒrzen könnte. Die bescheidene Muskelmasse, die sie noch hat(te) baut sich weiter ab - die Kraft fehlt. Die "frĂŒhe Mobilisierung", die nach so einem Bruch elementar wichtig wĂ€re, kann nicht stattfinden.
Sie wissen, dass ich prinzipiell optimistisch bin. Realistisch ist: "Mehr als zehn Prozent der Patienten sterben innerhalb der ersten 30 Tage nach einem Sturz. Und bis zu 20 Prozent der GestĂŒrzten bleiben bettlĂ€gerig oder zumindest so gebrechlich, dass sie anschlieĂend im Heim betreut werden mĂŒssen. Nur 40 bis 60 Prozent der Patienten erreichen nach einer Fraktur des Oberschenkelhalses wieder das Niveau an MobilitĂ€t, das sie zuvor hatten. (...) Bestehende Erkrankungen von Herz und Nieren erschweren die Genesung. Eine geschwĂ€chte Lungenfunktion erhöht die Gefahr fĂŒr eine LungenentzĂŒndung. " (T-Online)
Ausgehend vom Niveau an MobilitĂ€t, das meine Mutter vor dem Sturz hatte, ist die Prognose also Ă€uĂerst bescheiden. Das Bier, das ich ihr versprochen hatte, hat sie zum Abendessen
bekommen. Viel war es nicht, aufstehen kann sie sowieso nicht, und es hat ihr sehr gut geschmeckt. Essen
wollte sie nichts, obwohl ich ihr noch eine schmackhafte und bisher
stets gerne genommene Alternative zum Heim-MenĂŒ mitgebracht hatte. Es
schmeckt alles nach Pappe, also gar nicht, egal was man ihr anbietet. Der Körper will (auch) nicht mehr.
"Bier
ist kein Alkohol", hat sie mir noch erklĂ€rt, es ist "flĂŒssige Nahrung",
und war das einzige bescheidene Highlight an diesem Tag. Sie war sehr mĂŒde
und konnte danach hoffentlich ein bisschen besser schlafen. Nachher gehe ich wieder zum HĂ€ndchenhalten, im Rucksack (zuckerfreie) Limonade. Die schmeckt auch. GefrĂŒhstĂŒckt habe ich heute schon um halb neun, und bei meiner Qigong-Stunde sammle ich vor dem Besuch nochmal Kraft. đ
FĂŒr bessere Stimmung gehen Sie weiter zu Reflektorstern oder Farbenlehre
Siehe auch: Bergpredigt, Vorsicht Glatteis!, #Spiegelung, #Wortklauberei, #orange
WeiterfĂŒhrende Links
- Aufmerksamkeitsspanne (ErklÀrung) - Der deutsche Wortschatz von 1600-bis heute DWDS
- Hat der Goldfisch wirklich eine gröĂere Aufmerksamkeitsspanne? - nicolafritze.de
- Was steckt hinter der Generation Goldfisch? - prosieben/Galileo
- Oberschenkelhalsbruch endet oft tödlich - T-Online
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