Dienstag, 28. Januar 2025

Lampenlicht

27 mm | 1/120 s | f1,6 | ISO 100 | Smartphone

#Design #Lampe #Licht&Schatten
#Muttergeschichten  #Pflegeheim

Vielleicht ist es Zufall, vielleicht auch nicht, dass ich schon wieder eine Lampe als Fotomotiv entdeckt hatte. Diesmal ist es ein Designermodell, wie die nachfolgende Internetrecherche ergeben hat, ein "beleuchteter Baum mit 150 LED-Lichtern". Hübsch, filigran und ungewöhnlich. Meiner Mutter würde diese Lichtskulptur nicht so gut gefallen, sie hat einen anderen Geschmack, aber im Mutterhome gibt es auch die eine oder andere ganz besondere Lampe. 

Meine Mutter hat immer sehr gerne dekoriert, auch beruflich, wenn es sich irgendwie ergeben hat (>Oh Marylin!). Sie hätte gerne einen kreativeren Beruf ausgeübt, darum hat sie vor allem zuhause ihr gestalterisches Talent und ihre Begeisterung für Raumdekorationen ausgelebt. Dabei konnte sie sich immer wieder von schönen Stücken trennen, wenn sie andere entdeckte, die ihr besser gefielen. Ob Flohmarkt, Katalogware oder Ladengeschäft: sie hatte und hat immer noch einen Blick und ein Händchen für Schönes, und es ist ihr sehr wichtig, sich in einer schön gestalteten Umgebung aufzuhalten. Davon kann man jetzt nur noch sehr bedingt sprechen.

Das Zimmer in der Rehaklinik war schlicht, aber hell und modern. Das Zimmer im Pflegeheim ist okay, aber eher altbacken und überhaupt nicht ihr Ding. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind ausgesprochen reduziert. Ob sich daran etwas ändern lässt, ist eine Frage, die ich in den nächsten Tagen klären werde. Wenn ich mit einer individuell designten Fototapete für den Schrank anrücke, schmeißen sie mich wahrscheinlich raus. Ein barrierefreies Bad wäre die eine Grundvoraussetzung für eine Rückkehr ins Mutterhome, eine 24-Stunden-Pflege die zweite. Beides ist nicht realisierbar, und das ist auch meiner Mutter klar. 

Was jetzt konkret ansteht sind Krankengymnastik und Physiotherapie, und diese Ankündigung machte sie gestern richtig wütend.
"Ihr könnt's mir den Buckel runterrutschen!!", fauchte sie mich an, "ich will nicht mehr!"
Als ich sie daraufhin fragte, was sie denn will, sagte meine Mutter "Ich will sterben!"
Es war weder weinerlich noch theatralisch, es klang in diesem Moment sehr ehrlich. Nach einer nachdenklichen Pause fügte sie noch hinzu: "Sei nicht traurig."
Doch, das bin ich, und das hat sie vermutlich gesehen.
Selbst wenn ich alles tue, was im Rahmen meiner Möglichkeiten machbar ist, wird ihr Leben nicht mehr so, wie es vor dem Sturz war. Liegend fernsehen und Musik hören ist noch möglich, in einer schöne(re)n Umgebung, mit möglichst humorvollen, zugewandten Pflegekräften, und Besuch, dem sie ihre Geschichten erzählen kann.
"In meinem Kopf ist ein Schalter kaputtgegangen", stellte sie gestern auch noch fest, als ihr Erinnerungen fehlten, die sie mir mitteilen wollte. Nach der kurzen Irritation kamen schnell andere Erinnerungen hoch, über die wir dann gesprochen haben. Sie bog gedanklich in einen Tunnel ab, und ich hörte ihr eine Weile zu, während sie eine Art Selbstgespräch führte. Dabei fanden nur bruchstückhafte Gedankenfetzen den Weg nach außen, 90% ereignete sich in ihrem Kopf. Nach diesem Rätselmonolog waren wir beide erschöpft, und für mich war es Zeit, nach Hause zu gehen. Mit einem leeren Koffer durch die Dunkelheit, Licht hinter Fenstern.

Damit Sie jetzt nicht in das düstere Loch fallen, aus dem ich berichte, sage ich Ihnen, was mir hilft, um emotional auf den Beinen zu bleiben: Es ist der Satz, dass es völlig okay ist, traurig zu sein. Es fühlt sich überhaupt nicht gut an, aber die "Energie", die in der Trauer steckt, muss irgendwo hin. Dafür gibt es Tränen, für die man sich nicht schämen muss. Wahrscheinlich haben Sie als Kind auch etwas anderes gelernt, oder wurden gar als Heulsuse bezeichnet? Also: Sei nicht traurig, sonst bekommen andere Leute schlechte Gefühle...
Komisch, dass so viele Menschen depressiv sind. Man kann Ärger oder Trauer auch einfach runterschlucken, und wenn der Magen verstimmt darauf reagiert, wirft man sich eine passende Pille ein. Da gibt's genug von Ratiopharm. Das wären jetzt Ironie oder Sarkasmus als Abwehrstrategie.

Ich könnte Ihnen auch etwas über die physiologische Funktion von Tränen erzählen, und wie wichtig diese darin enthaltenen Botenstoffe (unter anderem stressreduzierende Hormone) sind. Das wäre eine weitere dieser genialen Ablenkungsstrategien, die wir alle gut beherrschen: Rationalisieren oder vom eigentlichen Thema ablenken. Meine Mutter kann das auch ganz hervorragend. Nach dem Todeswunsch erzählte sie mir von ihren neuesten Liebschaften. 😉

Mit diversen psychologischen Mechanismen kann man (zu) starke Gefühle deckeln, Stärke zeigen, und das ist zwischendurch absolut sinnvoll, um im Alltag zu funktionieren. Es kostet aber sehr viel Kraft, und Vermeidung ist langfristig anstrengender, als wenn man sich zwischendurch immer wieder auf die dahinter liegenden Gefühle einlässt: Trauer, Wut, Ohnmacht. Atmen nicht vergessen... Gefühle verändern sich, im Tagesverlauf oder auch innerhalb von Minuten.

Wie geht es Ihnen jetzt gerade? Brauchen Sie einen Stimmungsaufheller? Ablenkung, weitere Informationen? Ja, ich muss auch wieder in meinen Funktionsmodus kommen.
Vielleicht hilft es Ihnen, noch zu erfahren, dass meine Mutter gestern - trotz all der schweren Themen - zwischendurch auch wieder laut gelacht hat. Dieser Schalter ist immer noch aktiv, auch wenn ich nicht genau wusste, wer oder was ihn betätigt hatte. Manchmal bringen uns auch unsere eigenen Gedanken zum Lachen oder Schmunzeln. Mein Mann fragt mich gelegentlich "Hast du dir gerade wieder selbst einen Witz erzählt?" Ja, das kann ich anscheinend auch, obwohl ich sonst keine Witze erzähle. Wie gefällt Ihnen dieser hier?

Geht ein Dalmatiner im Supermarkt einkaufen. Fragt der Kassierer: „Sammeln Sie Punkte?“
Wenn es Karmapunkte sind - vielleicht. 😂
Ob Humor ein Verdrängungsmechanismus oder ein Heilmittel ist, entscheiden Sie bitte selbst.

Siehe auch: Nachtgestalt, LichtgestaltSonnenBrille, Orange, Goldig, Lichtwand mit Dunkelbalken, LichtstreifenSchickes Design, #Design, Negative Gefühle

#Muttergeschichten, Oh Marylin!, Dienstreise

Weiterführende Links

  • Designerlampe von Ariane Rückeshäuser - Homepage
  • Emotionale Tränen / Weinen als emotionale Kommunikaton - AOK
  • Trauer: Das hilft bei der Bewältigung - AOK
  • Sarkasmus  - Wikipedia 
  • Ironie - Wikipedia
  • Verdrängungs- und Abwehrmechanismen - strussundclaussen 
  • Karmapunkte? Lesen Sie zuerst "Mieses Karma" von David Safier - Rowohlt Verlag

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