Freitag, 25. April 2025

Zwischenruf

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#Wanduhr  #detailverliebt
#Muttergeschichten

Falls Sie jemals eine mechanische Pendeluhr besessen haben, wissen Sie wahrscheinlich, wie schwer die Gewichte sind, die das Uhr- oder Läutwerk am Laufen halten? Solche Uhren müssen regelmäßig aufgezogen werden, aber dafür braucht man nicht viel Kraft: Die Uhrenketten funktionieren wie ein einfacher Flaschenzug, dadurch halbieren sich die aufzuwendende Kraft und somit auch das gefühlte Gewicht. Dieses physikalische Gesetz hat mich in der Schule schwer beeindruckt, auch wenn ich an den Formeln und Berechnungen stets gescheitert bin. 😔 Flaschenzüge und Seilwinden sind jedenfalls sehr praktisch, wenn man etwas hochhieven, oder gar ein festgefahrenes Fahrzeug aus dem Schlamm ziehen muss. 

Festgefahren ist momentan auch die Situation im Pflegeheim. Tempus fugit, die Zeit vergeht schnell. Meine Mutter ist nun seit drei Monaten in vollstationärer Pflege, und ihre Stimmung hat einen (weiteren) Tiefpunkt erreicht. Geburtstage sind Höhepunkte des Jahres, haben aber auch Momente im Gepäck, in denen sich unangenehme Gefühle breitmachen. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, unbeschwert zu feiern, wenn man mit der eigenen Lebenssituation überhaupt nicht einverstanden ist. Im Doppelzimmer herrscht kalter Krieg, trotz einer offiziellen Aussprache mit der Mitbewohnerin. Bei diesem Termin hatte meine Mutter "nichts zu sagen", womit sie wohl ausdrücken wollte, dass sie ihr strategisches Schweigen (Silent Treatment) fortsetzen wird. 😶

In ihrer Wahrnehmungswelt ist meine Mutter "Insassin" in einem Knast mit Totalüberwachung, ohne jegliche Privatsphäre. Mit einigen wenigen Ausnahmen seitens des Pflegepersonals, zumeist Männer, ist sie von Menschen umgeben, denen man nicht vertrauen kann. Dass auch ich nicht vertrauenswürdig bin, hat sie mir deutlich zu verstehen gegeben: schließlich habe ich sie in diese Situation gebracht, "damit ich mir jetzt endlich ein schönes Leben machen kann". 😡

Wenn man mit dem Servicepersonal nicht zufrieden ist, und die Vertrauensbasis fehlt, kann man die Stelle neu besetzen. Wir werden das am Wochenende unter vier Augen besprechen, und ich gehe für ein paar Tage auf Abstand. Vielleicht kippt die Stimmung meiner Mutter nach einer angemessenen Denkpause wieder ins Gegenteil, und sie beendet ihre toxische Schweigephase irgendwann. 😷
Positive Ansätz gäbe es: Die Therapeutin, die für das Beschäftigungsprogramm der Heimbewohner zuständig ist, hatte angekündigt, dass sie speziell für meine Mutter "irgendwas mit Fußball" organisieren wolle, um etwas mehr auf deren besonderen Vorlieben und Interessen einzugehen. 👍 Obendrein hat diese Woche auch die offizielle Feier für alle Bewohnerinnen und Bewohner stattgefunden, die im April Geburtstag haben. 🎂 🎈 Organisiert wurde dieses Fest von der "Biene Maja", die schon bei der legendären Faschingsfeier überaus positive Rückmeldung erhalten hatte: >Tädäääh! Teil des diesmal geplanten Programms war ein Wunschkonzert mit einem Alleinunterhalter, der über ein großes Repertoire an alter und moderner Musik verfügt. 🎹🎶 Die Vorfreude meiner Mutter auf dieses Event war hoch, als ich sie zuletzt besuchte. Ob ihre hohen Erwartungen erfüllt werden konnten, wird sich zeigen.

In diesem 'Knast' gibt man sich wirklich Mühe, aber es ist eben keine 24-Stunden-Rundumbetreuung zuhause, die sich meine Mutter wünschen würde. Vorher bräuchten wir noch eine barrierefreie und somit größere Wohnung: Der Rollstuhl muss rollen, und darf sich nicht an den Türstöcken oder zwischen Tür und Toilette verkanten, wo sich vor vier Monaten der folgenreiche Sturz ereignet hatte.
Statt im Knast zu versauern könnte meine Mutter zur Abwechslung bei meinem Bruder einziehen. Von dem lesen Sie hier wenig, weil ich ihn sehr selten sehe, und wenn, dann eher zufällig. Er hat es einfach besser drauf, sein eigenes Ding durchzuziehen. Außerdem hasst er Kontrollfreaks wie mich, die Kassenbücher führen, Termine koordinieren, und so nervig sind wie die Ämter und Behörden, von denen das Geld für die Pflege stammt. 💰
Nach meinem vier Jahre andauernden familiären Ehrenamt als Mädchen für alles gebe ich den Staffelstab gerne ab. Obendrein ist mein Bruder Musiker, kann viel besser kochen als ich, und eine Waschmaschine hat er auch. Zum Umzug würde ich den beiden einen deckenmontierbaren Flaschenzug spendieren, damit die Mutter mit halbem Kraftaufwand sicher zwischen Rollstuhl und Toilette umgesetzt werden kann.

Ja, ich bin heilfroh, dass ich (wenigstens) das nicht machen muss, da hat meine Mutter völlig recht. Wenn sie das nicht versteht, ist das ihr Problem. Die Beschwerden meiner Mutter reiche ich weiter ans Universum, es findet garantiert eine passende Lösung. 

Die gute Nachricht zum Schluss: Mein Zahnarzt hat mich gestern wieder total begeistert. Es war keine Baustelle, sondern nur eine "kleine Sache", die im Handumdrehen repariert war. Es hat nicht mal weh getan, und schon kann ich wieder kraftvoll zubeißen. 😊

Siehe auch: Tempus fugit, Tädäääh!, Schallwellen, Jahrestag(e), Gar nicht skurril, Ohne Moos nichts los, Lampenlicht, Raus ins Freie!Eine Runde aussetzen, Uhr-ig, Hypnotisierend, Zeitverschwendung, Spielerisch, Jetzt doch!, Nicht schön, aber...

Ältere Muttergeschichten: Alles Banane?, Wetter, Fußball und Champagner, Klare Sicht vor Silvester, Fuchs und Hase 2023Im Dienst, Musikantenstadl, Sommerkonzert

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