Samstag, 12. April 2025

Die Sau rauslassen!

26 mm | 1/100 s | f2,2 | ISO 50 | Smartphone

#Licht&Schatten  #Minimalismus
#Muttergeschichten  #Pflegeheim

Ein Piccolo mit zwei, oder zwei Piccolo mit drei Gläsern gehört mittlerweile schon fast zum Standard bei meinen Besuchen im Pflegeheim. Die Mitbewohnerin meiner Mutter erzählte gestern, dass meine Mutter in der Cafeteria diese Woche zum ersten Mal in ihrem Leben einen Capuccino probiert hat. Man ist nie zu alt, um etwas Neues auszuprobieren, soweit so gut. Geschmeckt hat ihr das Getränk überhaupt nicht, also ist es wohl ungetrunken stehengeblieben. Die heiße Schokolade entsprach dann schon eher dem Muttergeschmack, die ist ja auch ordentlich süß. 

So eine Cafeteria ist eine schöne Einrichtung, und gleichzeitig ein geniales Geschäftsmodell. Die Preise sind seniorengerecht moderat, aber wenn man jeden Tag hingeht, läppert sich in monetärer Hinsicht einiges zusammen. Das Gespräch, das ich gestern mit meiner Mutter im Hinblick auf ihr Taschengeldkonto führen musste, war ausgesprochen unerquicklich. Sie war merklich un-amüsiert über die Tatsache, dass es ein Limit bei der Bargeldabhebung gibt, wollte schon die 'Kassentrulla' zur Schnecke machen, aber vorher doch noch mit mir sprechen.

"Deine Beschwerde musst du bei mir abliefern", erklärte ich, und auch, dass ich dieses Limit vor dem Hintergrund der Einnahmen-Überschussrechnung festgelegt hatte. Meine Mutter war erwartungsgemäß  empört und hochgradig verstimmt. Sie stellte beleidigt fest, dass ihre Zimmermitbewohnerin wenigstens "einen anständigen Sohn hat", weil der alles bezahlt. Ja danke.

Größere Mengen an Bargeld in Pflegeeinrichtungen sind seitens des Hauses unerwünscht, weil entweder behauptet wird, dass Geld gestohlen wird, weil wirklich etwas verschwindet, oder auch, weil die Bewohnerinnen und Bewohner so vergesslich oder tüddelig sind, dass sie ihre Finanzen nicht mehr auf die Reihe kriegen. Ganz abgesehen davon haben die meisten alten Menschen keine allzu großen finanziellen Spielräume, und so kommt es schon mal vor, dass sie in der Cafeteria nicht mehr bedient werden. Da hilft meine Mutter dann gerne mal aus, und eine anständige Tochter hat das zu respektieren. Dass die Pflegekräfte strikte Anweisung haben, keine Geldgeschenke anzunehmen, ist eigentlich klar, das haben mir die beiden Damen aber nochmal explizit bestätigt. Nachtigall, ick hör dir trappsen.

Eine kluge Tochter setzt ein Limit, und das sorgt nicht für Heiterkeit. Ja, es ist schlimm, so kontrolliert zu werden, nachdem man sein Leben lang alles total selbständig erledigen konnte. Das wünscht sich niemand. Meine nüchterne Erläuterung, dass man das Konto bei der Bank auch nicht endlos überziehen kann, fand natürlich kein Wohlgefallen. Momentan gibt es für Direktbuchungen von der Cafeteria aufs Taschengeldkonto kein Limit, und der nächste Kontoauszug wird zeigen, ob es sich um eine langfristig tragfähige Lösung handelt.  😓

Die Mitarbeiterin an der Kasse, die für die Barauszahlungen zuständig ist, muss wohl nachgefragt haben, wofür meine Mutter 'so viel Geld' benötigt. "Ich habe bald Geburstag, ich will die Sau rauslassen!" war keine anständige Formulierung, aber absolut ehrlich. 😟 Als langjährige Finanzministerin bin ich mit den Gepflogenheiten meiner Mutter vertraut.
Beim nervenberuhigenden Piccolo ist mir eingefallen, dass ich noch dieses Schweinderl-Wapperl habe, das ich als Vodoo-Symbol an die damals defekte Klospülung im Mutterhome geklebt hatte. Das brauche ich jetzt nicht mehr, also werde ich es als Geschenk verpacken. Dann können wir zum Muttergeburtstag zumindest dieses Schweinderl rauslassen.

Siehe auch:  KonfettimedizinHalluzinogen, Welches Schweinderl hätten'S denn gern?, Schweinderlmagie, Magenta ist nicht pinkFinde den Fehler, Ohne Moos nichts losPink Moon, #Schatten

2 Kommentare:

Dietmar Carl hat gesagt…

Hallo Frau Esen,
mal wieder sehr schön geschrieben. Wo nehmen Sie die Energie für die Texte her, wenn Sie offensichtlich mit anderen, im allgemeinen als wesentlicher angesehenen Tätigkeiten, belastet sind?

betrachtenswert hat gesagt…

Die Texte geben mir die Energie für diese anderen, "als wesentlicher angesehenen" Tätigkeiten. Sie sind ein roter Faden, der mir hilft, das Erlebte zu erinnern und zu verarbeiten.
Vielen Dank für die gute Frage. :-)