Samstag, 15. November 2025

Kalendarium

27 mm | 1/250 s | f1,6 | ISO 50 | Smartphone

#Muttergeschichten  #Psychologie  
#Film&TV

Neben den kostenlosen Kundenzeitschriften mit Weihnachtsplätzchenmotiven liegen gerade die ersten Kalender für 2026 bereit. Im Supermarkt an der Kasse sind es die mehrspaltigen Familienplaner, in der Bäckerei gibt es die handliche, wenngleich sehr klein gedruckte Jahresübersicht. Haben Sie schon einen, und wenn ja: Welche Kalenderversion(en) bevorzugen Sie?  

Die Mitbewohnerin meiner Mutter hat gleich drei verschiedene: Zunächst einen absolut minimalistischen Abreißkalender für jeden einzelnen Tag, die schlichteste und pragmatischste Variante. Darüber hängt ein dreiteiliger Dreimonatskalender an der Wand, der in Büros gerne genommen, im Seniorenheim aber etwas deplaziert wirkt, und überdies etwas kompliziert in der Handhabung ist. 
"Hässlich!", so das Urteil meiner Mutter 😠. Beim dritten Exemplar handelt es sich um einen weiteren Klassiker: monatlich wechselnde Bildmotive mit Kalendarium. Bilder und Deko sind generell Geschmackssache, und da scheiden sich die Geister bisweilen. 😅

Meine Mutter bevorzugt einen (bilderlosen) länglichen Monats-Zeilenkalender mit Angabe aller Feiertage in Bayern. So einen hatte sie immer in der Küche hängen, direkt neben den Geschirrhandtüchern, und dieses Format ist eine alte Tradition. Nichts für die Wand, sondern in Griffweite, und der Text muss gut lesbar sein - also ein etwas größeres Format. Zu lang darf das schmale Papierband aber auch nicht sein, weil es sonst die Tür des Nachtkästchenunterschranks im Pflegeheim blockiert. Eine Maßanfertigung also... 😜

Schreiben kann meine Mutter aufgrund ihres Schlaganfalls nicht mehr, sie trägt also keine Termine in die Kalenderzeilen ein, wichtig ist ihr aber, dass sie die bereits vergangenen Tage zumindest durchstreichen, also täglich abhaken kann. Wieder ein Tag geschafft.  ✅
Während unserer Redaktionssitzungen in der Cafeteria beobachten wir regelmäßig HeimbewohnerInnen, bei denen die Unterscheidung von Wochentag versus Wochenende verloren gegangen ist. Dann stehen sie am Samstag- oder Sonntagvormittag vor der verschlossenen Tür des Verwaltungsbüros (gleichzeitig die Bargeldkasse), und wundern sich, warum keiner aufmacht. 😓  Die Welt drumherum mag total durchdigitalisiert sein, im Pflegeheim ist sie es definitiv nicht. 

"Wann kommst du wieder?", lautet die Frage, wenn ich mich nach meinem Besuch verabschiede.

Dann antworte ich mit dem geplanten Wochentag, denn meine Besuchstage sind flexibel. Solange ich meiner Mutter nicht in ihrem Kalender aufschreiben muss, wann ich wiederkomme, weiß ich, dass sie geistig noch fit ist - nächstes Jahr wird sie - "so Gott will" - 88.👍 

"Kalender werden gerade millionenfach verkauft, dabei ist die #Zeit längst digitalisiert. Wozu das Ganze?", fragt ein schöner, kleiner Beitrag in der Kultursendung Capriccio, der ausgerechnet am 13.11.25 ausgestrahlt wurde. Ein paar Stunden zuvor hatte ich meine Mutter gefragt, was für einen Kalender sie haben möchte, und ich selbst hatte mir schon einen Mehrjahreskalender auf die Merkliste gesetzt. Jaha.. 😅

Solche Mehrjahreskalender benutze ich schon lange, denn da passt ein halbes Jahr auf eine A4-Seite. Als griffig-flexibler Spiralblock umfasst so ein Exemplar insgesamt fünfzehn Jahre. Es kommt immer darauf an, in welchen Zeiträumen man rechnet, plant und lebt. Wahrscheinlich hatte mich die Erkenntnis, dass mein Smartie in Sekundenbruchteilen getaktet ist, emotional so aufgewühlt. Das ist doch der pure Stress! 😉

"Mit Kalendern kaufen wir ein Jahr im Voraus", geht es im Capriccio-Beitrag weiter. Oh, wie verräterisch ist das denn, wenn ich mich zum Mehrjahreskalender bekenne? 😂 Ich kaufe also nicht nur ein oder zehn, sondern gleich fünfzehn Jahre im Voraus. Auf psychologischer Ebene kann man das dahingehend interpretieren, dass ich fest davon ausgehe, diese fünfzehn Jahre nicht nur erleben, sondern auch mit ToDos und Taten füllen will. "Leere Seiten... Was die Tage uns bringen - wer weiß? Aber da sind sie schon mal: Es steht ja da geschrieben." Genau! 👏😊

Mir ist natürlich klar: Ob mit oder ohne Kalender finden Ereignisse statt, und das Leben nimmt seinen Lauf, mit all dem Geplanten und dem Ungeplanten. Darum ist der Bleistift in kalendarischer Hinsicht eine gute Sache, und ein Radiergummi ebenso. Dass mein Mann keinen Kalender hat und auch keinen braucht, ist auch klar. Er hat ja mich - und seinen elektronischen Helfer. 😆

Fotokalender gehören zu den absoluten Favoriten, oftmals selbst gestaltet mit privaten Familienaufnahmen, oder, für die fotografisch Ambitionierten, mit den schönsten Motiven des Vorjahres. Es ist eine tolle Sache, wenn man sich zum Jahresende an die Bildauswahl macht. Landschaften, Tiere, Architektur, ferne Länder - die Ergebnisse sind dekorativ und abwechslungsreich, und ebenfalls mit persönlicher Note.
Kalender können auch ein Statement sein: Ein Jahr mit René Magritte, Vincent van Gogh oder Gustav Klimt? Was passt gestalterisch in die repräsentativen Räumlichkeiten, oder zu den Menschen, die darin leben und/oder arbeiten? 
Irgendwo in meinem Fundus ruht noch ein altes, großformatiges Exemplar mit Aufnahmen des Sternenhimmels, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop. Diesen Kalender hatte mir mein Mann irgendwann mal zu Weihnachten geschenkt. Ohne das Kalendarium ist es immer noch ein toller Wandschmuck, gerahmt wirken die Bilder noch besser. 😍 Da draußen im Kosmos ticken die Uhren sowieso ganz anders, falls dort überhaupt irgendetwas tickt?! Einstein lässt grüßen... 

"Nicht die Zeit vergeht - wir sind es, die vergehen." 
Ich meinte, diesen denkwürdigen Satz ebenfalls in der Capriccio-Sendung gelesen oder gehört zu haben, aber als ich mir den Beitrag noch einmal in der Mediathek angeschaut habe, war er irgendwie weg. 😕 Falls Sie selber nachschauen wollen, folgen Sie dem ... nein, nicht dem weißen Kaninchen, sondern den weiterführenden Links am Ende. 😊

Der Kalender als Machtinstrument: Auch dieser Abschnitt in Capriccio ist hoch interessant. Da ändert ein Papst mal eben den Kalender, damit Ostern stets zur richtigen Jahreszeit stattfindet. Kein Witz: Der 1582 entstandene Kalenderstreit zwischen Katholiken und Protestanten dauerte etwa zweihundert Jahre. Das Schaltjahr beruht bis heute auf dieser päpstlichen Entscheidung. 

"Wie messen wir Zeit? Menschen wollen sie sichtbar machen, katalogisieren, ihr ein System geben - Kalender tun genau das. Ein Buch, das von Nichts erzählt, aber das von größter Präzision", heißt es in Capriccio.  Solange die Seiten eines Kalenders leer sind, ist das wohl so.  😏

Es schnurrt mein Tagebuch am Bratenwender. 
Nichts schreibt sich leichter voll, als ein Kalender


(Goethe) 

Da hat er recht, der gute alte Göthe: So ein Kalender ist immer ganz schnell voll. 😅
Mein aktueller Kalender, das oben erwähnte Exemplar aus starken Papierseiten, das ich im Jahr 2015 in Betrieb genommen hatte, erstreckt sich noch bis Ende 2027, hält also noch zwei ganze Jahre. Trotzdem hatte ich mir überlegt, mir einen neuen zu holen, der am 1.1.2026 startet, sozusagen als Beginn meiner neuen psycho-logischen Zeitrechung.  😎 
Ich weiß tatsächlich nicht mehr, wie der bisherige Kalender in mein Büro gelangt ist, denn es handelt sich um ein 15-Jahre-Exemplar, das mit dem Jahr 2013 begann. Wenn man an großen Buchprojekten arbeitet, erstrecken sich Fristen und Termine über längere Zeiträume, ein Jahr reicht da nicht immer. Wahrscheinlich hatte ich den Kalender 2015 bei den Restposten gefunden und zum Schnäppchenpreis mitgenommen. 😁

Die Jahre von 2015 bis 2019 enthalten jede Menge Einträge. Ab Februar 2020 sind die Seiten meines Kalenders leer geblieben, ursprünglich noch geplante Termine durchgestrichen: Locked down. 😠
Danach gab es nur noch zwei - nachträgliche - Notizen:  "Stroke Unit"* im Oktober 2020 und "Mutterhome-Wahnsinn beginnt" am 21. Januar 2021. Es folgen die Jahre 2022-2024: acht Seiten gähnende Leere. Ich hatte nicht mal mehr die Schulferien mit Leuchtstift markiert, wie sonst üblich. Auch im Rückblick erscheinen die Jahre ab 2020 in meiner Erinnerung teilweise wie ausgelöscht. Hätte ich nicht jeden Tag weiter fotografiert und Blogartikel geschrieben, wäre heute alles, was ich erlebt hatte, völlig im Nirwana verschwunden. 

Im Januar 2025 ist mein Kalender aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, es ist also ein denkwürdiges Exemplar in meiner Lebensbiografie. Es ist "ein Buch, das von Nichts erzählt", oder vielmehr davon, was passiert, wenn das dunkle Nichts nach der Seele greift.

Man kann seine Gefühle nach dem Kalender regeln: 
Zum Geburtstag, zum Gedenktag - und zu Weihnachten. 
Aber man muss welche haben. 

(Kurt Tucholsky)

Gut, dass das vorbei ist.😌

Mein Mehrjahreskalender diente und dient jetzt wieder der langfristigen Planung, dem großen Überblick, und den besonderen Ereignissen. Was die heute noch leeren Kalenderseiten füllen wird, ergibt sich bezeiten. 😊 
Für das "Klein-Klein" von Arzt- und Besprechungsterminen nutze ich die digitalen Kalender im Smartie und am Computer. Sie erinnern mich so zuverlässig an Termine, wie ich sie in die elektronischen Helfer eintrage, und das ist schon praktisch.😁

"Durch Kalender wird der Mensch Teil einer Gemeinschaft - Ostern, Weihnachten, Silvester. Er hält die Kultur am Laufen. Es ist eine Ordnung, auf die man sich geeinigt hat, aber sie ist dennoch willkürlich. Selbst wenn man sich ihrer bewusst wird: Entziehen kann man sich ihr nicht. Die Ironie: Am glücklichsten sind wir, wenn Kalender fern sind, und wir die Zeit verloren haben." (Capriccio)

Zeit verlieren wollen die meisten Menschen eher nicht, aber wenn ich mich in der Zeit verliere, fühlt sich das total gut an, weil es ein Zeichen für den Flow-Zustand ist. Aus dem bin ich jetzt gerade wieder rausgefallen, weil ich auf die Uhr geschaut habe. Bis zum Einbruch der Dämmerung und der Blauen Stunde bleiben mir jetzt noch exakt... Egal. 
Ich besorge mir auf jeden Fall wieder einen 15-Jahre-Kalender, auch wenn sich Kunden schon darüber beschwert haben, dass der ziemlich teuer ist. 😕 Rechnet man den Preis für fünfzehn Einjahreskalender hoch, nebst Inflationsrate unter Berücksichtigung der Papierpreisentwicklung, ist dieses solide und werbefreie Produkt durchaus eine kaufmännisch sinnvolle Anschaffung. Das gilt nur dann nicht, wenn ein Papst oder sonstwer vor 2040 beschließt, die Kalenderzeitrechnung zu ändern. Falls ich das Ende meines irdischen Kalenders wider Erwarten doch nicht erlebe, erkundige ich mich auf Wolke 7 nach einem neuen mit dem dort gültigen Kalendarium. 😇 Ein Leben ohne Kalender ist... 

Vervollständigen Sie diesen Satz bitte selbst, bevor ich mit einem veganen Wurstvergleich daherkomme, oder schauen Sie sich den wirklich schönen Capriccio-Beitrag an. 😂 

Siehe auch:  13.11.2025 16:55:07.654, WintersonnwendzeitZeitumstellungskater, Ein Hurz! aufs Wetter,  KomfortzoneExcel-KopfDie LöffellisteArtefakt 2022-001, Terminerinnerung: Weltlachtag, Grünalarm, Sakura, Keine Zeit?#ZeitWinterkunst/WerkeImprovisationsadvent

Heute vor einem Jahr: Hundefutter

Weiterführende Links

*"Stroke Unit" ist die Abteilung für Schlaganfall-Patienten, in die meine Mutter am 1. Oktober 2020 eingeliefert wurde.  Mutterhome-Wahnsinn > Vorsicht Glatteis!

Keine Kommentare: