Herzlich Willkommen zu unserer heutigen Führung im Forschungszentrum für Modernes Menschsein.
Am 20. Juli 1969 um 20:17:58 Uhr UTC vermeldete der Astronaut Neil Armstrong:
“Houston, Tranquility Base here. The Eagle has landed!”
„Houston, hier ist Tranquility Base. Der Adler ist gelandet!“
Dieses weltbewegende Ereignis liegt heute genau 53 Jahre zurück und war eine wirklich große Sache. Für meine außerirdischen Besucher muss ich erklären: Es war kein echter Adler, der 1969 auf dem Erdtrabanten gelandet ist. Es war eine sogenannte Mondlandefähre, die man als Adler bezeichnete. Menschen lieben Symbole, und sie mögen den Adler besonders gerne, weil er ein so stolzer Raubvogel ist, und so gut fliegen kann. Besuchen Sie eine Greifvogel-Flugshow, um sich einen Eindruck zu verschaffen, und vergleichen Sie den biologischen Adler mit dem von Menschen gebauten Fluggerät.
Der Mensch ist nicht nur eine seltsame und interessante Erfindung, er macht auch ebensolche. Hier sehen Sie zum Beispiel einen praktischen Wegwerf-Getränkedeckelbecher mit einem Loch in der Mitte. Dieses Loch ist für Strohhalme konzipiert, die nicht - wie es der Name vermuten lassen würde - aus Stroh, sondern ab Mitte des 20. Jahrhunderts ebenfalls aus Plastik gefertigt wurden. Solche Plastikhalme wurden Anfang des 21. Jahrhunderts in manchen Ländern verboten. Ein Pappstrohhalm im Plastikdeckel sorgte nun für mehr Umweltschutz. Unverzichtbar blieb das runde Element, das an eine abgestürzte fliegende Untertasse erinnert. Dieses Plastikelement blieb weiterhin erlaubt. Denken Sie nicht logisch, Sie befinden sich auf dem Planeten Erde. 😁 In der Kürze der Zeit Ihres Aufenthalts ist es leider nicht möglich, Sie mit der vollen Komplexität des Menschseins vertraut zu machen, darum empfehlen wir Ihnen weitere Urlaubs- und Studienaufenthalte.
In der hiesigen Fachrichtung Biologie hieß es bis in die Neuzeit, dass sich der Mensch von sogenannten Tieren unter anderem darin unterscheide, weil er (der, heute die und das Mensch) in der Lage sei, Werkzeuge zu benutzen. Es hat lange gedauert, bis Menschen mit hinreichend vorhandener Geduld bemerkten, dass auch Affen und manche Vögel Werkzeuge verwenden. Bis sich eine neue Erkenntnis durchsetzt, benötigen Forschende viel Zeit, vor allem aber sehr viele Forschungsgelder.
Bei der Menschenbeobachtung fällt seit etwa einem Jahrhundert auf, dass es in mancherlei Hinsicht Rückschritte gibt. Trotz bahnbrechend schneller technischer Entwicklungen und einem massiven Anstieg der Bevölkerungszahlen sinkt der Intelligenzquotient. Auch Kulturtechniken, die sich über Jahrtausende bewährt hatten, gehen rapide verloren. Bis zur Erfindung des fliegenden Untertassendeckels mit Loch waren die meisten humanoiden Zweibeiner in der Lage, aus einem oben offenen Behältnis zu trinken, ohne sich dabei die heiße oder klebrige Flüssigkeit über den Latz zu kippen. Die Fähigkeit des Trinkens aus einem Gefäß hat durch gedeckelte Becher innerhalb kürzester Zeit eine massive Wandlung erfahren.
Kinder, also die ganz kleinen Menschen, die ihre Feinmotorik erst noch trainieren müssen, erhalten während ihrer Aufzucht- und Lernphase ebenfalls verschlossene Gefäße. Diese Behältnisse können herunterfallen oder umhergeworfen werden, ohne dass ein Tropfen verschüttet wird, oder das Gefäß gar zu Bruch geht. Es wird trotzdem weggeworfen. Im Allgemeinen wird dieses Verhalten mit den Begriffen "Lebenserleichterung" und "Zeitersparnis" begründet. Die motorischen und geistigen Ressourcen werden geschont, damit diese für andere, weitaus wichtigere Tätigkeiten zur Verfügung stehen.
Ihre Zwischenfrage, um welche wichtigen Tätigkeiten es sich dabei genau handelt, wird noch genauer untersucht. Derzeit liegt die Nutzung elektronischer Geräte weit vorne, so dass wir bei der Feinmotorik im Bereich der Daumen eine erhöhte Flexibilität feststellen, während die allgemeine Motorik bei der Fortbewegung des Gesamtkörpers im Raum merklich nachlässt. Ausgenommen hiervon sind sogenannte Selbstoptimierer, die ihre elektronischen Geräte nutzen, um in ihren Sport- und Fitnessprogrammen Höchstleistungen zu erreichen. Um mehr Daten für unsere Forschung zu erhalten, entwickeln wir derzeit neue Applikationen, mit denen wir auch Menschen erreichen, die sich (noch) nicht optimieren wollen. Sobald diese altmodische und widerspenstige Generation ausgestorben ist, gibt es kein Zurück. Deshalb fungiert unsere Forschungsstation gleichzeitig als Archiv für zeitgenössische Artefakte und schwindende Kulturtechniken. Man weiß ja nicht, ob man sie nicht noch einmal braucht.
Im Hinblick auf die ökologische Wiederverwertbarkeit von Behältnissen jeder Art gibt es eine Innovation: Es heißt, man werde voll kompostierbare Verpackungen auf den Markt bringen, die im Hinblick auf den Umweltschutz keine Verhaltensänderung mehr von den Menschen erfordern. Die Konsumierenden können in naher Zukunft, völlig ohne schlechtes Gewissen, ihre Abfälle überall wo sie gehen und stehen einfach fallenlassen. Ein Wissenschaftler erklärte dieses Verhalten mit der Aussage, dass es Teil des menschlichen Revierverhaltens sei, die Umgebung mit lustvoll weggeworfenen Abfällen zu markieren. Wir haben diese Aussagen notiert, um deren Realitätsnähe zu überprüfen. Verhaltensänderungen, die dem Lustprinzip folgen, scheinen bei Menschen besonders vielversprechend zu sein.
Wir würden Ihnen gerne noch viel mehr zeigen, aber unsere Zeit ist für heute um. Vielen Dank für Ihr Interesse! Die Ausgänge zu Ihren Flugsteigen sind auf dem Boden mit Infrarot- und UV-Strahlern markiert. In unserem Museums-Shop können Sie einen vollständigen, gedeckelten Getränkebecher mit Halm ausprobieren, ein eigenes Exemplar erwerben, und als Souvenir mitnehmen, sofern dies nicht gegen die Einfuhrbeschränkungen Ihres Heimatplaneten verstößt.
Sollten Sie auf Ihrer Tour durch verschiedene Galaxien mehrere Zwischenstopps einlegen, empfehlen wir Ihnen, Ihre irdischen Souvenirs an der Warenausgabe hermetisch versiegeln zu lassen. In einigen Galaxien stehen Artefakte mit der Herkunftsangabe "Blauer Planet" auf der Liste der bedrohten Arten und dürfen deshalb weder eingeführt, noch auf der Durchreise mitgenommen werden. In diesem Fall können Sie im Souvenir-Shop eine Direktverschiffung an eine sichere Zieldestination oder in einen Freeport beauftragen. Die Formalitäten übernehmen wir für Sie, gegen eine kleine Gebühr.
Bitte beachten Sie, dass der direkte Kontakt zu gewöhnlichen menschlichen Bewohner*innen auf Ihrer Reise strengstens untersagt ist. Bei Zuwiderhandlung verlieren Sie und Ihr Clan für 1000 Erdenjahre die Zutrittsberechtigung und verwirken Ihren Urlaubsanspruch in den vierhundertzweiundzwanzig angeschlossenen Galaxien. Nutzen Sie deshalb die Tarnvorrichtungen, die Ihnen von Interstellar Travels bei Reiseantritt ausgehändigt wurden. Wir wünschen Ihnen noch viel Freude und einen erlebnisreichen Urlaub hier auf Erden. Besuchen Sie uns wieder. Hier gibt es immer was zu sehen.
Siehe auch: Phantasie, Wir sind nicht allein, Kalle Kino, Befremdlich, Gut geparkt ist halb gewonnen, Unendlich ahnungslos?, Nichts ist unmöglich, Biomüll 2019, Klimmzug, Jahr des Drachen
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