Dieses Programm ist nicht geeignet für Kinder, Jugendliche oder empfindsame Zuschauer, steht auf der Seite der arte-Mediathek. Okay, die Sendung ist FSK 16. In der Dokumentation "Pussy, Pleasure, Power!" geht es um "Die weibliche Lust in der Popkultur", und da wird es schon recht explizit in Bild und Wort. Hetero-Männer mögen das nicht, sagt jemand. Häh? Mein Mann hat die Sendung aufgezeichnet! Ach so, er ist Feminist. 😅
Ich lasse das Gezeigte auf mich wirken und verstehe nur Bahnhof. So viele Abkürzungen, die mir nicht vertraut sind. Außerdem konsumieren wir schon seit Jahren keine aktuelle Popmusik. Wir erfahren von einer heftigen Debatte um das WAP, und mein Mann stellt fest: Da ist einiges an uns vorbei gegangen. Madonna und Nina Hagen sind uns noch geläufig, aber mit diesen Zippi-Zappi-Leuten, ob Männlein oder Weiblein oder divers kennen wir uns überhaupt nicht aus. Was es da alles gibt! Faszinierend, würde Mister Spock sagen.
Während wir beim Morgentee unsere Bildungslücke in zeitgenössischer Popkultur schließen, lerne ich, dass WAP wohl für Wet Ass Pussy steht. Wo bin ich gelandet? Ich muss an die Lehrstunde in Sachen Musik denken, die mir meine 84jährige Mutter neulich erteilt hat. Was gerade über unseren Bildschirm flimmert, fällt in die Rubrik Kultur, und bei arte denkt man ja auch nicht unmittelbar an ... ne, es ist kein Porno. Die Texte der vorgetragenen Musikstücke werden in der Doku übersetzt, da steht der Satz "Ich sage WAP WAP WAP" in der Fußzeile, während spärlich bekleidete Frauen im seichten Wasser turnen. Ich denke: Ui, da ist aber einiges passiert seit "Wir singen Tralala und tanzen Hopsassa" von Tony Marshall.
"Ist das noch normal?", fragt mich meine Mutter oft, wenn sie queerbeet durch sämtliche TV-Kanäle zappt. Ich sage dann gerne: "Ja. Das ist die neue Normalität." Das ist ein feiner Satz, wenn ich mich in keine längeren Diskussionen verwickeln lassen will. Hin und wieder habe ich im Mutterhome auf MTV ein paar Ausschnitte aus solchen Zippi-Zappi-Videos gesehen, und mich auch schon mal gefragt, ob das freizügige Gehopse und Gehoppel potenziell jugendgefährdend sein könnte. Und dann erst diese ganze Räpper-Szene... Jede Generation hat ihre Eigenheiten, und ich bin froh, dass ich keine Kinder habe, denen ich das alles erklären müsste. Mir hat keiner was erklärt, ich bin Autodidaktin.
In meiner Jugend ist abends zwischen den Mainzelmännchen eine Oben-Ohne-Frau ins Meer getaucht, um dort die wilde Frische von Limonen zu genießen. Es gab auch mal einen Werbespot, in dem ein unbekleidetes Paar eine lokal ansässige Modefiliale betrat, und sagte: "Was sind das bloß für Leute, die nicht zum modischen Arent gehen!?", und dann hat Tilly wieder die Finger ins Prilwasser getaucht. Ja, damals hat man im Fernsehen auch noch geraucht und gesoffen, Johnny Walker kam, wenn der Tag ging, und Cowboys schauten lässig rauchend in den Sonnenuntergang. Auch meine Generation ist durch und durch verdorben, nur anders als die anderen. Soll ich mich deshalb aufregen? Viel zu anstrengend.
Der Zeitgeist kommt und geht. Mal ist die Welt freizügig, dann wird sie wieder prüde und sittenstreng. Mal sind wir Pazifisten, dann kaufen wir schweres Geschütz für unsere Nachbarn. Wir heißen Flüchtlinge willkommen und schieben sie wieder ab. Die Atomkraftwerke schalten wir an, wieder aus, dann wieder an... und übermorgen wieder aus? Keine Ahnung. Heute ist etwas erlaubt, morgen wird es verboten, hier handhabt man die Dinge anders als dort, und nächstes Jahr ist es wieder andersherum. Moderne Zeiten sind sehr schnell, da muss man sich nicht wundern, wenn die Leute zwischendurch nicht mehr wissen, ob sie Mannderl oder Weiberl sind. In meinem aktuellen Stand des Unwissens würde ich sagen: Älterwerden ist schon fein, weil man irgendwann merkt, dass es dauernd neue Skandale und Aufreger gibt, und doch alles in ähnlicher Form schon mal da war. Es kommt immer wieder ein neues Level, wie beim Tetris-Spielen. Es wird gezockt, bis eine*r den Strom abdreht. Aktuell ist "bunt, laut und schrill" eine der vielen Herausforderungen. Die früheren Blumenkinder freuen oder ärgern sich über das Remake des Blockbusters von "Wir wollen frei sein". Es treten an: Die provokativ Barbusigen gegen die Uns-hat-Disziplin-nicht-geschadet-Enkel*innen. Fack ju Göhte! Jeder ist mal dran mit Anderssein, das ist Teil des Generationenvertrags. Die Empörung und die Streitereien auch. Ruhe bewahren und immer wieder tief durchatmen.
In der aktuellen Folge von kinokino wurde unter anderem die deutsche Komödie "Liebesdings" mit dem Fack ju Schauspieler Elyas M’Barek vorgestellt. "Eine Regenbogenwelt mit tanzenden Tampons", heißt es im begleitenden Kommentar, und es fallen schon im Trailer :Triggerwarnung! Wörter wie Klitoris und Schwanz. Die Regisseurin Anika Decker meint: "Die Tür ist jetzt auf, und der Mainstream kann das absolut vertragen." Ja, wenn das auf der als eher konservativ bekannten BR-Mediathek gezeigt wird, und wenn das eine kassenschlagerverdächtige Blockbuster-Komödie ist, dann wird das schon so sein.
Was sagt sie denn noch, die Frau Decker? "Eine Journalistin hat gesagt, das fand ich ganz lustig, die Komödie ist ein trojanisches Pferd. Es kommt als Romantic Comedy daher, und innendrin sind die ernsten Themen, die ich da rauslasse. Auch jetzt durfte unser Trailer im Fernsehen nicht gezeigt werden, weil für zwei Sekunden als Tampon verkleidete Menschen zu sehen sind, und das Kinder traumatisieren könnte."
Ja da brat mir einer einen Storch, bevor er auf dem Balkon landet und Nachwuchs mitbringt. Und legt gleich einen Tampon mit auf den Grill! Im BR kann man diese potenziell traumatisierende Szene tatsächlich sehen! Aber das ist noch gar nichts. Die Frauen in der arte-Doku bestellen sich einen Eimer und einen Wischmopp, weil untenrum alles nass ist! Das hat mich traumatisiert. Jetzt kann ich nicht mehr im Mutterhome putzen, weil ich jedes Mal diese Szene vor Augen habe. Meine Mutter wollte, dass ich die Fenster putze, aber ich habe diese Aufgabe an meinen Bruder delegiert. Die Durchführung steht noch aus. "Männer können nicht fensterputzen", erklärte die Mutter daraufhin. Ach so. Der junge, attraktive Hausmeister, der das Fensterputzen früher für sie erledigt hat, ist also in Wirklichkeit eine gut getarnte Frau? Und die Pflegekräfte müssen Männer sein, weil die das besser können. Muss ich das verstehen? Ich glaube ich bin doppelt traumatisiert. Was kommt als nächstes? Therapie für alle wäre der logische nächste Schritt, aber was ist schon logisch? Mister Spock ist auch nur ein halber Vulkanier. Buchen Sie bei ersten Anzeichen von Unwohlsein eine Sitzung bei meinem Alter Ego Dr. Heil, die Stunde dauert 45 Minuten und kostet je nach Schweregrad der Tamponisierung ab 500 EUR aufwärts. Sie wissen ja: Was nix kost, is nix wert.
Siehe auch: Pornopapst, Zippi-Zappi, Isarvenus, Ungenießbar, Mom and Dad: Schaff dir bloß keine Kinder an, Wellenreiten, Fideralla-lalla-la!
Weiterführende Links
- Dokumentation Pussy, Pleasure, Power! (arte Mediathek, verfügbar bis 5.9.22)
- kinokino - Liebesdings (BR Mediathek)
- Tony Marshall - Schöne Maid 1972 (Youtube)
- Cardi B - WAP feat. Megan Thee Stallion [Official Music Video] (Youtube)
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