Donnerstag, 12. August 2021

Alles kann zur Kunst werden

Die künstlerische Verwertbarkeit der Situationen,
die man als Privatmensch durchlebt,
ist allgegenwärtig.


(Albrecht Schuch, Darsteller des Thomas Brasch, in kinokino, Juli 2021)

Mein Alltag ist absolut banal, völlig unspektakulär, meistens total langweilig. Seit ich meine Mutter nach deren Schlaganfall zuhause betreue, und aufgehört habe Fotofachbücher zu schreiben, besteht meine Lebenskunst darin, mit dem immer gleichen Alltag und den sich ständig wiederholenden Tätigkeiten klarzukommen. Manchmal denke ich: das ist wie in einem Zen-Kloster. Aufstehen, essen, arbeiten, meditieren, schlafen und morgen wieder alles von vorne, auf unbestimmte Zeit, vielleicht jahrelang.

Selbst ein Sträfling weiß, wann er entlassen wird. Oder auch nicht, wenn er zu 135 Jahren Haft verurteilt ist. Immerhin habe ich abends Feierabend und kann mir auch mal wieder am Wochenende frei nehmen. Wenn ich nicht selbst für Abwechslung sorge, spüre ich, wie mich der Boreout runterzieht. Mein Kopf will etwas zu tun haben, er hasst Langeweile und Gleichförmigkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass mein Kopf auch noch beleidigt ist, wenn er mit schlechten Filmen oder Serien konfrontiert wird. Bücher lesen. Blogartikel schreiben, Fotografieren... und dann wieder ab in die Küche oder das Bad putzen. Joggen, Fitnessstudio, damit der Körper fit bleibt. Es fühlt sich trotzdem oft an, wie ein Hamsterrad.

Jeder Mensch ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, dass dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau. (Beuys) 

Love it, change it or leave it 

Menschen, die ihre Fähigkeiten nicht entfalten, und in Jobs oder Lebensumständen feststecken, die ihnen nicht entsprechen, sind keine Künstler. Ändere, was du ändern kannst, heißt es in der Ratgeberliteratur immer so schön, oder mache deinen Frieden mit dem, was du nicht ändern kannst. Mein Koan*. Also was tue ich gegen meinen Boreout? Fotografieren, und Texte schreiben. Nur mit dem Unterschied, dass ich kein Geld mehr dafür bekomme. Aber gut, manchmal hat das Leben andere Pläne als das Ego. Was die "künstlerische Verwertbarkeit" von Alltagssituationen angeht, bin ich auf einem ganz guten Weg.


Das bringt mich zurück zum Film, der mich zu diesem Artikel inspiriert hat. Der hat in der in der Vorschau bei kinokino (ARD Mediathek) mein Interesse geweckt. Vielleicht auch etwas für Sie? Filmstart ist am 4. November 2021 - wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt.

Lieber Thomas
- Die Geschichte eines Rebellen
Thomas Brasch wächst in der DDR auf. Der Schriftsteller und Filmemacher hält nie die Klappe, kommt sogar ins Gefängnis und siedelt 1976 mit Katharina Thalbach in den Westen um. Regisseur Andreas Kleinert gelingt eine wilde und intensive Perspektive auf eine Künstlerexistenz, die Grenzen sprengt.

Dazu sagt der Regisseur Andreas Kleinert:

Uns ging es um eine Persönlichkeit. In dieser Jetzt-Zeit, wo wir so politisch korrekt sind, und wir uns so überlegen, was wir sagen, in der Verkrampftheit, in der wir langsam landen, ist Brasch ein Gegenentwurf.

Filmstart: 4. November 2021 Im Kino / 2 Std. 37 Min. / Biografie, Drama, Historie

Und dann wäre da noch die Alltagskunst, die überall an jeder Straßenecke lauert. Man muss sie nur sehen wollen. 😂

Siehe: M. C. Escher, Lucy in the Sky oder so ähnlich, Krähenkunst, Kunst to Go, Orsofon - Das Ensemble, Tapirus bavaricus montaniensis, Weihnachtsburger, Realsatire

*Falls Sie jetzt noch wissen wollen, was ein Koan ist: Die Erklärung überlasse ich heute der Wikipedia.

Keine Kommentare: