Freitag, 10. Juni 2022

Orsofon - Das Ensemble

Unsere Reihe "Tausend Meisterwerke der Digitalromantik 4.0" widmet sich heute der Arbeit "Orsofon". Es ist ein gleichermaßen abstraktes wie gegenständliches Werk, das den Anspruch erhebt, die Kunstwelt vom Hocker zu reißen - oder auch zu stoßen. Diese wagemutig im öffentlichen Raum errichtete Installation ist an Wucht kaum zu überbieten. Sie ist schon auf den ersten Blick überwältigend, entfaltet aber erst bei genauer Betrachtung ihre tiefgreifend metaphysische Wirkung.

In seiner überbordenden Detailfülle zieht Orsofon selbst hoch kritische Kunstbeflissene in seinen Bann. Nehmen Sie sich Zeit, um das multi-dimensionale und multi-funktionale Werk zu erkunden, und erfahren Sie dabei mehr über das Künstlerkollektiv "1860 Glasscherben-Viertelgrün", das sich dem Motto "Bei uns ist alles erlaubt" verschrieben hat. 

Abstraktiver Farb- und Formensymbolismus
Zunächst scheint der knallrote Schriftzug am rechten Bildrand die komplette Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen. Diese intensive Leuchtkraft ist kein Zufall, sie beruht auf tiefenpsychologisch wirksamen Mechanismen: Rot steht für Leidenschaft, für Gefahr und für die Liebe - Rot ist die Signalfarbe schlechthin. Schau her!, ruft sie dem Betrachter zu, und ja, er/sie/es schaut, mit immer größer werdenden Augen auf dieses Werk. Dabei liften sich selbst die massivsten Schlupflider in einem spontanen Akt des Erstaunens, und so bleibt den Kunstliebhabenden der Gang zum Facelifting erspart. Wir erleben hier eine schamanische Heilmethode in praktischer Anwendung. 1860 Glasscherben-Viertelgrün weiß und beweist, dass Kunst jedes Wehwehchen heilt!

Der strategisch in Rot gehaltene Ruf nach Aufmerksamkeit ist aber nur der erste Geniestreich des Künstler:innenkollektivs. Hier haben sich Menschen gefunden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und so steht die Arbeit Orsofon in ihrer expressiven Buntheit für moderne Vielfalt, Komplexität, und nicht zuletzt für das anarchistisch-liberale Mit- und Nebeneinander ansonsten komplett unvereinbarer Lebens- und Denkentwürfe. Hier überlappen und vereinen sich verschiedene Paralleluniversen. Sehen Sie, wie revolutionär harmonisch alles seinen Platz findet. Selbst für den Künstler:innennachwuchs wurde Raum geschaffen: Beachten Sie die links am Bildrand dezent angedeuteten Ausgabestelle für Süß-Buntes, das Jung und Alt gleichermaßen anspricht. Orsofon ist nicht nur ein Labsal für Geist und Magen, es ist nicht nur generationenübergreifend inklusiv, sondern auch farblich demokratisch.

In dieser unnachahmlichen Arbeit fungiert die Farbe Rot nicht nur als Hingucker, sondern auch als visuelle Klammer: Sie finden sie rechts, links und unten im Motiv, wo sie als Blickfang begrenzend wirkt, wie man es von roten Ampeln kennt. Hier ist Schluss!, doch gleichzeitig will uns das Werk vermitteln: Nach oben ist alles offen! Orsofon weist über sich selbst hinaus, indem es im oberen Bereich nur auf einen zurückhaltenden Tupfer Dunkelmagenta setzt. Da geht noch was! Die Betrachtenden sollen nicht nur Rot sehen, sondern sich in diesem geschützten Raum für das Große Bunte öffnen. Dort finden wir beruhigendes Blau, sowie Akzente von hoffnungsvollem Grün und anmutige Tönen von Vergilbt.
Der futuristisch metallene Korpus des Orsofons, das eigentliche Kernstück der Arbeit, hebt sich hell schimmernd vom zurückhaltenden Anthrazit ab. Magisch anmutende bunte Schriftzeichen auf noblem Grau lassen erahnen, dass hier auch eine Art metaphysischer Zauber wirkt. Der dezente gelbe Warnhinweis unter dem Korpus ist deshalb unverzichtbar: Orsophon-Magie ist nichts für Anfänger:innen.

Metaphysischer Konkretizismus
Richten Sie Ihren Blick nun auf das konkrete und gleichzeitig hoch symbolische Arrangement im unteren Bildbereich. Die analoge Welt des Gestern, repräsentiert durch gedruckte Bücher, kommt dem Betrachter regelrecht entgegen, und weckt die Neugier. Noch ist nicht zu erkennen, um welche Art von Schriften es sich hierbei handeln könnte. Doch die Signalfarbe Rot entfaltet auch hier ihre Wirkung. Wir stellen fest, dass Orsofon nicht zufällig, sondern mit fundiertem künstlerischem Hintergrundwissen entstanden ist! Nicht irgendein, sondern Der Kunst Brockhaus ist im Orsofon, er ist Grundlage des Schaffens und Inspiration zugleich, und er liegt dem Orsofon zu Füßen. 

"Wie oben, so unten, wie innen so außen“ lautet das Prinzip der Resonanz aus dem Kybalion, der Lehre der sieben hermetischen Gesetze. Und so wird dieses metaphysische Orsofon in einer späteren Ausgabe des Kunst Brockhaus erscheinen, wo man es als eines der herausragendsten Meisterwerke des 21. Jahrhunderts anerkennen und feiern wird. So will es das hermetische Gesetz.
Dass es sich beim Künstler:innenkollektiv keineswegs um unbelesene Gestalten handelt, ist an den elegant drapierten Büchern unschwer zu erkennen. Auch hier wiederholt sich das Prinzip "nach oben offen": Nicht nur unten rechts, sondern auch oben links, auf dem Orsofon, finden wir den analogen Lesestoff, zurückhaltend aufgestapelt. So repräsentiert dieses Bücher-Doppel eine klug ausgewogene Balance zwischen dem Unten und Oben, und das in Zeiten krasser Gegensätze.  1860 Glasscherben-Viertelgrün will Wissen teilen, keine Ressourcen verschwenden, und lädt Unbekannte ein, sich etwas davon mitzunehmen. Auch die Natur hat ihren Platz in diesem vor Witterungseinflüssen geschützten Unterschlupf gefunden. Meisterhaft!

"Wer im Glashaus sitzt, soll nicht darin ersticken", heißt es in der geheimnisvollen Werkbeschreibung, und weiter: Man habe die hemmende Frontscheibe des Orsofons bewusst in einem Ritual der 1860 zerschmettert, um das Werk wirklich allen zugänglich zu machen. Die in den Scheiben gefangenen Geister der Kunst wurden so befreit, auf dass sie den Äther rund um das Orsofon beleben, und mit ihrer schillernden Scherbenschönheit all jene begeistern mögen, die sonst nur nach profanen Diamanten Ausschau halten oder nebenan ein Bier trinken wollten.
Es heißt, wer eine Scherbe des Orsofon-Glaskastens an sich nimmt, werde binnen weniger Wochen einen ungeahnten Aufstieg erleben. Und so pilgern die heiligen 1860 zum Orsofon und opfern ihre Aufkleber an dessen Korpus. Als Vorbild seien hier die heiligen Pilgerstätten des Buddhismus genannt, bei denen Pilger Blattgold auf Heiligenfiguren anbringen. Weiß-blaue Aufkleber am Orsofon signalisieren gleichermaßen Loyalität, Zugehörigkeit zu etwas Größerem, und die Hoffnung auf den Aufstieg in jene höheren Sphären. Die schamanischen Gesänge, die bei Zusammenkünften von Teilen der Künstler:innengemeinde intoniert, und dabei von dumpfen Trommelrhythmen begleitet werden, führen selbst bei zufällig Vorbeikommenden zu einer Trance-Induktion: Sechzüüüüüg! Sechzügg! Sechzück!!! Ole, Olö, Oleee!  

Dieses lautmalerische Element bringt uns geradewegs zum Kernelement des Orsofons: Die zentrale Schnittstelle. Ihre Bedeutung ist so elementar, dass es einer eigenen Abhandlung bedarf, um dem Meisterwerk in seiner Komplexität gerecht zu werden. In der nächsten Ausgabe der 1000 Meisterwerke erfahren Sie mehr über die Bedeutung und die atemberaubenden Wirkmechanismen des Schaltschlitzpults.

 
Um die Wartezeit bis zur nächsten Ausgabe der 1000 Meisterwerke zu überbrücken,
besuchen Sie Schwerkraft ade!, Kunst to Go, Dumme Ideen oder Dadaffiti.
Alles kann zur Kunst werden!, Oh Valentine..., Magenta ist nicht Pink,
Realsatire, Popkulturelle Klebekunst

Keine Kommentare: