Freitag, 24. Juni 2022

Blinded By The Light

Licht und Schatten liegen oft nah beieinander, sie bedingen einander, im physikalischen wie im übertragenen Sinn.  Bei meiner heutigen Morgenmeditation blinzelte mich die Sonne durch die Zweige an. Es war sehr dunkel im Wald, und ein paar Zentimeter weiter extrem hell.
Mit der Kamera habe ich versucht, diesen Eindruck festzuhalten, nebst allen Irrlichtern und Lichtreflexen, die sich dabei ergeben. Um in das Licht zu sehen,  musste ich mich bewegen, und schon die kleinste Veränderung der Kamera(=Beobachter)position ergab völlig andere Lichtbrechungen, und somit einen ganz anderen Eindruck des "beobachteten Phänomens". Man soll nicht in die Sonne schauen oder fotografieren, heißt es. Ach ja? 😁😎😙 Es gibt eine ganze Reihe von "Dingen, die man nicht tun soll". Wenn man es doch tut, sieht man manche Dinge anders.
 
Vielleicht habe ich dieses Fotomotiv "gefunden", weil ich schon die ganze Woche von einem Ohrwurm verfolgt werde: Distant Sun von Crowded House. Ein anderes, ziemlich altes Lied kam mir heute auch noch in den Sinn: Manfred Mann's Earth Band: Blinded By The Light. Dieser Song ist, halten Sie sich fest, sieben Minuten lang! Unerhört... 😅 Zu lang!? Crowded House bleibt bei drei Minuten fünfundvierzig, aber das ist heutzutage auch schon gewagt.

Ob Sie diese beiden Lieder kennen oder mögen, ist nicht wichtig. Wichtiger ist: Das Streaming von Musik im Internet hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Musiker*innen kaum noch Geld verdienen, und dass sich die Struktur und Länge der Songs massiv verändert hat. Wirklich interessante oder ungewöhnliche Musiker*innen oder Bands sind selten vorne in den Charts. Neues finde ich meistens auf Empfehlung, durch Zufall, oder in Kultursendungen, aber nicht in irgendwelchen Hitlisten.
 
Erfolgsschema F
Peter Maffay geht in der Sendung Plusminus vom 22.6.22 auf die Regeln der Musikindustrie ein: "Ein Song darf eine gewisse Länge nicht überschreiten, der muss nach fünfzehn Sekunden knallen, der darf keine Kollisionen erzeugen, und und und... Ich kenne diese ganzen Regelwerke ehrlich gesagt nicht, weil ich keine Lust habe, mich als Musiker daran auszurichten, aber ich merke, dass dieser Druck auch bei mir existiert. Wenn etwas anderes angeliefert wird, dann gehen die Türen zu."
 
Was meint Peter Maffay mit Kollisionen? Im Song Blinded By The Light gibt es beispielsweise Passagen, in denen die Hauptstimme den Refrain singt, während gleichzeitig eine andere Stimme einen anderen Text dazugibt. Was für ein - wahnsinnig interessantes, und gut durchdachtes - Durcheinander. Nicht glattgeschliffen, keine Zuckerglasur.
Bohemian Rhapsody
von Queen ist in die Musikgeschichte eingegangen, weil es so innovativ und ungewöhnlich war. Frühere Bands konnten von ihren Schallplatten noch leben oder haben sehr gut verdient. Heute sind nicht einmal die hohen Klickzahlen im Mainstream ein Garant dafür, dass die Künstler*innen von ihrer Arbeit leben können. Oder um es mit den Worten eines Mitarbeiters der Arbeitsagentur auszudrücken: "Was sind Sie? Musiker??? Sie  wollen Unterstützung? Gehen Sie arbeiten!!" Und das nach 25 Jahren harter Ausbildung und täglichem Training? Klasse. Der wird jetzt Altenpfleger oder was?
 
Ausbeutung
Beim Streaming müssen Sie einen Song mindestens 30 Sekunden lang abspielen, dann wird ein Mikro-Honorar ausgeschüttet. Aber wer bekommt wieviel? Die Bilanz ist ernüchternd.
"Zwei Personen treffen sich in LA und definieren und besprechen, wieviel Geld die Künstlerinnen und Künstler bekommen, aber auch, wie das Geld von Milliarden von Abo-Nutzern verteilt wird", erklärt  Daniel Maurer von der Initiative Fair Share in der Sendung Plusminus. Im März 2022 hatte sich Jan Böhmermann schon mit den Mechanismen der Schlagerbranche beschäftigt, siehe weiterführende Links.
Wir wissen von vielen Ungerechtigkeiten in der Mode- und Nahrungsmittelindustrie, und es ist sehr gut, dass das Thema Musikbranche / Streamingdienste jetzt auch auf der Liste der Dinge steht, die wir nicht so lassen können, wie sie sind. Ja müssen wir uns denn um alles kümmern? Anscheinend schon. Wir hören ja auch die Musik.
 
Licht & Schatten: Das Dilemma
Das Internet bietet eine öffentliche Plattform für jede*n, der etwas kann und zu bieten hat. Das ist super. Doch um damit berühmt zu werden oder Geld zu verdienen, braucht man "Reichweite", man muss gefunden werden, und an irgendeiner Stelle muss auch jemand bereit sein, etwas dafür zu bezahlen. Da wird's eckig. Der Coffee ToGo ist kein Ding, aber 2,80 EUR für ein tolles Lied? Nö.

Sollte jetzt jede Band ihr eigenes Label gründen, und sich selbst vermarkten? Das können die meisten gar nicht. Die sind Musiker, kreativ und weder Bilanzbuchhalter*innen noch Marketingfachleute. Wer nicht "sichtbar" ist, verdient nichts. Was sind wir bereit zu geben, wenn der Musikant nach der Darbietung mit dem Hut herumgeht? Ach, der macht das doch aus Spaß und kriegt ein Abendessen.
 
Es ist bequem, wenn man die Lieblingsmusik überall und jederzeit streamen kann, vielleicht sogar kostenlos bei Youtube, sogar mit Video. Wenn wir jetzt für ein faires Honorar der Künstler*innen eintreten, und das geistige Eigentum respektieren, verschwinden diese Videos möglicherweise aus dem Netz. Autsch, und danach wird das selektive Musikhören teurer für uns Nutzer*innen. Oder Radio mit der grauenvollen Werbung hören? Ich halte das nicht aus.

Und so lautet das Koan: Gib den Musiker*innen mehr Geld. Aber nicht deins, weil sowieso schon alles so teuer ist? In Zukunft alles nur noch über Streaming-Dienste beziehen - wenn sie wirklich fair sind? Und wenn wir dort nicht die Musik bekommen, die wir hören wollen? Ja, schwierig.

Zukunftsmusik?
Das Musikmachen übernimmt die KI. Die verlangt keine Honorare, die muss auch keine Miete zahlen oder frühstücken. Oder liegt Ihnen das Argument auf der Zunge, dass es immer schon so war, und die Kunst eine brotlose ist - siehe Wolfgang Amadeus Mozart... Wozu also die Aufregung?
Die drei Musikstücke, die ich hier erwähnt habe, hatte ich als Schallplatten bzw. CDs gekauft. Im Zuge der Digitalisierung habe ich mein Musikarchiv mittlerweile auf einer externen Festplatte, und greife darauf zu, wenn ich die Lieder hören will. Bei einem Musiker habe ich sämtliche Alben per Download direkt gekauft, und per Paypal bezahlt. Das geht leider nicht überall, aber so weiß ich wenigstens, dass meine Kohle da ankommt, wo sie gut aufgehoben ist.
 

Weiterführende Links
  • Plusminus - Millionen Klicks - kaum Geld?
    ARD Mediathek
    (bis 22.06.2023)  oder direkt über den Mediathek-Viewer hier.
  • Initiative Fair Share - Homepage
  • Jan Böhmermann: Der Star-Macher der heilen Schunkelwelt | ZDF Magazin Royale (Youtube)
  • Crowded House - Distant Sun (Youtube)
  • Manfred Mann's Earth Band - Blinded By The Light (Youtube)
  • Queen - Bohemian Rhapsody (Youtube)
  • Reinhardt Buhr - Beyond Time (Homepage) - Sechs Minuten dreiundzwanzig, Instrumental. 😏
  • Kofelgschroa - Wäsche  (Youtube)

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