Donnerstag, 9. Februar 2023

Ein Satz wie ein Gemälde

"Es war später Januar. Die Freunde saßen auf den Stufen des Schlafhauses, jeder mit einer Zigarette in der Hand. Ein Mond, so dünn und gelb wie ein Stück Zitronenschale, bog sich über ihnen, und in seinem Licht glitzerten Streifen von Bodenfrost wie silberne Schneckenspuren."*

Diese Sätze sind leider nicht von mir, gleich erfahren Sie, wo ich sie gefunden habe. Lassen Sie sich das aber erst noch einmal auf der Zunge zergehen: Ein Mond, so dünn und gelb wie ein Stück Zitronenschale...

Wo findet man so etwas? Im offenen Bücherschrank. 😆 Dort hatte ich unlängst ein handliches Minibuch von *Truman Capote gefunden, und als Wartezimmerlektüre mitgenommen. "Die Stimme aus der Wolke - Stories und Porträts" heißt diese Mini-Ausgabe, nicht viel größer als ein Reclam Heft. Diese ebenfalls zitronengelben Dinger kennen Sie sicher auch noch aus der Schule. Schrecklich... Aber viele Autoren und Autorinnen schreiben wunderbare Sätze, bewegende und spannende Geschichten, für die man keinen Film braucht. Na klar, auch im Internetz und bei Youtube gibt es interessante Sachen, aber da blinkt und blökt es überall. Ein Buch hat mich noch nie angeblunken. 😁 Es hat mich eher dazu gebracht, mir meine eigenen Filme im Kopfkino anzuschauen, und daraus neue Ideen zu entwickeln.

Ich weiß nicht, was Sie beim gelben Zitronenmond vor Ihrem inneren Auge sehen, aber ich bin voll drin in dieser Szene. Wenn ich fotorealistisch malen könnte, wäre das einfach zu visualisieren. Dummerweise kann ich nicht gegenständlich malen oder zeichnen, und um es zu lernen, bräuchte ich eine Menge Zeit. Gibt's da nicht was im Internetz? Aber sicher!

KI auf dem Vormarsch
Momentan herrscht gerade eine Riesen-Aufruhr um kreative Künstliche Intelligenzen, die anhand einiger Stichwörter umfangreiche Texte erstellen, oder Bilder generieren. Von überall schallt es her, zuerst aus den sozialen Medien, Fotografenkreisen, Redaktionen und sogar im Mutterhome haben mich Berichte über die neue Technologie aus dem TV-Gerät angesprungen. Die Satiriker haben das Thema auch schon aufgegriffen.
In manchen Kreisen spricht man von einem Paradigmenwechsel, die Büchse der Pandora sei geöffnet und es gebe kein Zurück, so wie nach der Erfindung des iPhone. Das kann gut sein. Wenn man sogar bei Google nervös wird, muss diese neue KI einigermaßen wichtig sein. Ich brauche noch etwas Zeit für mehr Recherche, und will das natürlich selbst ausprobieren. Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, dass mich eine Technologie dazu bringen wird, selbst nichts mehr zu schreiben. Ich werde auch weiterhin in der mich analog umgebenden Welt nach Fotomotiven Ausschau halten. Als kreative Ergänzung interessieren mich diese Programme sehr wohl.

Einen ersten kurzen Test habe ich schon gemacht, mit zwei kostenlosen Bilderstellungs-KIs. Denen habe ich den Zitronenschalenmond-Text gegeben, aber der war offensichtlich noch zu lang und zu kompliziert. Das wird sicher besser, vor allem, wenn man Geld für leistungsfähigere Programme ausgibt, oder lange genug warten kann, bis die kostenlosen Tools aufholen. 

Wer braucht sowas?
Leute, die sich mit dem Schreiben von Texten schwer tun, werden die Texterstellungsprogramme lieben. Ich bin ja auch sehr froh, dass es Prozentrechner im Internetz gibt. Trotzdem hoffe ich, dass es auch in Zukunft Menschen geben wird, die so etwas - und noch Komplizierteres - weiterhin im Kopf ausrechnen können, oder wenigstens wissen, wie man einen Rechenschieber benutzt.
Stellen Sie sich mal vor, das Internetz ginge kaputt, und keiner kann mehr rechnen oder schreiben! Dann fängt die Menschheit wieder an, ungelenke Höhlenmalereien in Stein zu klöppeln. Hören Sie also bitte nicht auf selber zu denken. Lernen Sie weiter Fremdsprachen oder rechnen Sie im Kopf etwas aus. Benutzen Sie gelegentlich Stift und Papier, und sei es nur, um einen Einkaufszettel zu schreiben. 😅 Die Übersetzungsmaschine DeepL, die ich sehr schätze, macht Fehler, Google Translate ebenfalls. Das merkt man nur, wenn man die Zielsprache selber gut kennt. Lässt man die KI unkorrigiert weiterwursteln, kommen wir nach Absurdistan.

Bilderflut hoch zwei
Wir leben bereits in einer Welt, die von Bildern völlig überflutet ist. Trotzdem ist die computergestützte Bild-Erstellung fein, weil man sich dann in ein paar Sekunden jedes beliebige Motiv fotorealistisch oder im Stil großer Künstler:innen herbeipixeln lassen kann. Auch Bilder von Dingen, die es gar nicht gibt! Man wird sich nicht jede Woche einen selbst programmierten van Gogh oder Michelangelo ausdrucken und an die Wand hängen, aber Menschen brauchen Illustrationen für den Nachrichtenkanal, für Social Media und redaktionelle Inhalte. Wenn sich das mit einem kostenpflichtigen Abo vom KI-Anbieter, wie wir es von anderen Softwareherstellern kennen, schneller und vor allem kostengünstiger erstellen lässt, als durch von Menschen erstellte Fotos oder Grafiken, hat die KI die nicht vorhandene Nase vorn.
Menschen, die sich bisher beruflich mit Text und Bild über Wasser gehalten haben, dürften das Nachsehen haben. Ihr Honorar ist nicht weg, es fließt nur woandershin. Die Berufsalternative Pflegekraft bleibt 😉, und wenn wir eines Tages Pflegeroboter mit KI bekommen, kann man immer noch Programmierer:in werden, oder die Roboter reparieren. Die gehen ja auch mal kaputt.

Nicht lustig?
Es gibt sehr viele offene und ausgesprochen wichtige Fragen, wie bei jeder neuen und möglicherweise welt- und bewusstseinsverändernden Technologie. Die wichtigste Botschaft könnte lauten: Trauen Sie Ihren Augen nicht mehr, das Bild oder Video, das Sie sehen ist frei erfunden. Überraschung... Das sehen wir schon seit Jahren in der Fotografie und in Hollywood-Blockbustern. Es wird nur noch besser, noch realistischer, und für jeden verfügbar, der ein Handy oder einen Computer hat. Es besteht durchaus das Risiko, dass wir den Bezug zur Realität aus den Augen verlieren - oder uns mit völlig neuen Realitätseebenen auseinandersetzen müssen.

Werden die KI-generierten Inhalte auch kreativer, überraschend innovativ, zuweilen poetisch und inspirierend? Oder erstickt auch dort alles langfristig in einer ermüdend gleichförmigen Langeweile und politischer Über-Korrektheit? Instagram war früher eine Plattform für besonders kreative Fotobegeisterte, mit Bildern jenseits des Massengeschmacks. Die gibt es immer noch, sie sind in der Masse des Immer-Gleichen nur schwerer zu finden.
Beobachten wir, wie sich der aktuelle Hype weiter entwickelt. Vielleicht entpuppt er sich als großer Marketing-Coup. Zuletzt hat sich Watson, der hochgelobte Supercomputer von IBM, als totale Fehlentwicklung herausgestellt. Technologien nutzen ist das Eine, sich von ihnen abhängig machen das Andere. Wenn es so etwas wie eine menschliche Schwarm-Intelligenz gibt, könnte sie als Korrektiv funktionieren.

Zurück zum Ursprung
Zur Zeit lese ich wieder mehr, gedruckte Bücher und E-Books, und fühle mich mit der geistigen Nahrung unglaublich wohl. 😋
In den analogen Verschenk-Regalen liegen viele Klassiker der Weltliteratur herum, bekannte Bestseller aus allerlei Genres, und auffällig viele Kochbücher. Die meisten werden ungelesen entsorgt. Da helfen auch die schönen Food-Fotos nicht, aber die haben natürlich dazu beigetragen, das Produkt zu verkaufen. Bei  meinem Test habe ein von einer KI generiertes Bild eines superleckeren Käsekuchens gesehen. Er sah täuschend echt aus. Bis sich so ein Kuchen aus einem 3D-Drucker in der smarten Küche materialisieren lässt, wird der Pizzabote weiterhin - ganz analog - mit dem Rucksack durch den Stau radeln. Und während die beiden Freunde auf den Stufen des Schlafhauses mit einem perfekt gekühlten Sprizz auf ihre Lieferung warten, steht die untergehende Sonne so rund und saftig über dem Horizont wie eine vollreife Orange. 😁

Siehe auch: Magritte wEISSbLAU, Digitale Revolution - Erlebnisse aus dem Alltag (2018), Spinn i?, Federnkunde, Philosophische Poesie, Buchgestöber, #Buchtipps, Gute Genesung..., Schnee, der auf Ceran fällt, Vom Aufblühen

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2 Kommentare:

Claudia hat gesagt…

Das wird noch interessant mit der KI. Ein bisschen spannend, ein bisschen beängstigend.
Es kommt halt darauf an was die Menschen daraus machen. Genau das ist auch die größere Gefahr.
Nicht die KI, nicht die Entwicklung, sondern das was den Menschen wieder einfallen wird, um damit an Macht und Geld zu kommen.
LG
Claudia

betrachtenswert hat gesagt…

Liebe Claudia,
ja, so sehe ich das auch...
Und bei meinen ersten Gehversuchen mit der KI habe ich festgestellt: Auch dafür muss man sich Zeit nehmen, sich erst mal "reinfummeln", und wie in einem Bericht aus einem Kulturmagazin hervorging: Man muss die KI auch "trainieren", bis sie das ausgibt, was den menschlichen Erwartungen entspricht.
Wir sind also nicht nur Nutzer, sondern auch Trainer. Dass man dafür dann "Credits" benötigt, die man nach Verbrauch der ersten kostenlos mitgelieferten "Kekse" kaufen muss, ist amüsant genug. ;-) Schon da lässt sich mit den neugierigen Probanden Geld verdienen.
LG, Jacqueline