Mittwoch, 23. Februar 2022

Vorfrühling


 #Frühblüher  #Winterling  #Krokus  #Vorfrühling

Ja ist denn noch Winter oder schon Frühling? "Alle Zeichen deuten auf den Vorfrühling hin", erklärte mir meine Mutter neulich, nachdem sie einem Wetterfrosch im Fernsehen gelauscht hatte. Aha?! Als staatlich anerkannte Wortklauberin und selbsternanntes Gscheidhaferl wollte ich es wieder ganz genau wissen, und habe das Internetz gefragt. Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen. Was ich dabei gefunden habe, reicht für zwei Blogartikel. 😏

Prinzipiell reicht es, einfach nur die Plümschen anzuschauen, und sich an ihnen zu erfreuen. Gehen Sie raus in die Natur und atmen Sie tief durch. Das ist "Vorfrühling mit allen Sinnen erleben", gut für die Seele und sehr gesund.

😈 Wenn Sie frisch im Kopf, wissensdurstig und bereit für ein geistiges Abenteuer sind, dann klicken Sie auf Weiterlesen.

Als Vorfrühling bezeichnet man in der Meteorologie (=Wetterfroschwissenschaft) die Frühphase des Frühlings. Das hatte ich mir gedacht, das liegt schon in der Natur der Wortkombination. Aber wann genau ist das? 
 
Für Meteorologen ist es die Zeit von Mitte Februar bis Ende März, es gebe aber auch andere Konzepte (?), und da findet der Vorfrühling erst Mitte März statt. 
 
Es kommt also darauf an, nach welchen Kriterien man diese Einordnung vornimmt. Hilft uns das weiter? Ja sicher, man kann sich mit dieser Information begnügen, oder man geht den Dingen tiefer auf den Grund. Auf jeden Fall lernen wir, dass es für die meisten Dinge, auch in der Wissenschaft, unterschiedliche Konzepte und Vorannahmen gibt. Ansichtssache, könnte der Laie vorschnell schlussfolgern. 😏

Welches Konzept hätten Sie denn gerne?
Meteorologisch, kalendarisch, astronomisch, phänomenologisch...?

Zunächst ist anzumerken, dass sich die kalendarische Information nur auf die Nordhalbkugel des Planeten bezieht, denn auf der Südhalbkugel ist in den Monaten Februar/März sowieso Herbst, oder Vorherbst, oder was auch immer. Die deutsche Wikipedia und der Deutsche Wetterdienst denken im Sinne ihrer Zielgruppe, die sich im deutschsprachigen Raum, also auf der Nordhalbkugel befindet. Man muss die Informationen nicht unnötig komplizieren.

Ein genaues Datum wäre eine tolle Antwort, so wie: am 21. März ist Frühlingsanfang. Das kann man sich gut merken, und kalendarisch ist das eingeschliffene Praxis. Doch selbst da öffnet sich eine Welt der Wunder, wenn man genauer hinschaut. Astronomen wissen: "der Frühlingsanfang verschiebt sich durchschnittlich alle vier Jahre um etwa eine Dreiviertelstunde zurück. Wenn man das nicht ausgleichen würde, würde nach vielen Jahrhunderten das Frühjahr an Weihnachten beginnen." [...] 1)

Zwischenfrage, auch wenn sie ketzerisch erscheinen mag: Haben wir nicht seit längerem den Eindruck, dass das längst der Fall ist? Wird es heuer weiße Weihnachten geben? Nein! Unser Planet richtet sich nicht mehr nach dem gregorianischen Kalender aus dem 16. Jahrhundert? In zweihundert Jahren gilt die Behauptung, dass es dereinst eine Zeit mit 'weißen Weihnachten' gab, vielleicht sogar als Verschwörungstheorie. 😅 Man weiß ja nicht, wie sich die Konzepte bis dahin verändert haben. Die prähistorische Kultur der Maya hatte vor 5000 Jahren ein sehr komplexes Kalendersystem, das bis heute weitgehend unverstanden ist, und die Leute, die es erfunden haben, haben sich leider aus dem Staub gemacht. Wird unserer heutigen Kultur ein ähnliches Schicksal widerfahren?

Rumgeprokelt und ständig nachkorrigiert
"In den Jahren 1700, 1800 und 1900 wurde der Schalttag im Februar ausgelassen [damit an Weihnachten nicht Frühling ist]. Ebenso wird es wieder 2100 sein. Doch die Verschiebung [des kalendarischen Frühlingsanfangs] kann dadurch nicht komplett abgefangen werden: Deshalb wird bis 2100 der [kalendarische, gregorianische] Frühling ganz langsam immer weiter in Richtung 19. März 'wandern'." 1)

Die Menschheit muss also schon seit fünfhundert Jahren am Kalender herumschrauben, damit er mit den altbewährten Jahreszeiten in Einklang bleibt. Und dann auch noch dieser Klimawandel, der alles durcheinander bringt. Vorher war alles so ordentlich... soweit wir wissen. Aber was wissen wir schon? Wir wissen mehr über den Mond als über die Tiefsee, weil wir dort (noch) nicht hinfahren können. Und unsere Erdkruste haben wir auch noch nicht komplett durchbohrt, um nachzuschauen, ob die Theorien darüber korrekt sind.

Die Welt der Erscheinungen: beobachten, notieren, berechnen

Beim Deutschen Wetterdienst gibt es die Abteilung Phänologie, was wörtlich übersetzt "Lehre von den Erscheinungen" bedeutet. So etwas gibt es auch im Buddhismus, in der Philosophie, und manche Leute haben religiöse Erscheinungen, aber das wären die Konzepte der Geistes- und Religionswissenschaften. Wir bleiben heute in der Abteilung  Naturwissenschaft, solide und bodenständig.

Die Phänologie um die es hier geht, befasst sich "mit den im Jahresablauf periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen in der Natur", also zum Beispiel: Was blüht wann? Die Phänometrie widmet sich der Erfassung dieser Erscheinungen. Hier finden sich die Datensammler und Aufschreiber. Was sie sammeln und notieren, hilft wiederum den Mathematikern (Meteorologen), denn die brauchen elend viele Daten und gute Rechenmodelle. Schon die kleinste Abweichung, und zack: Wirbelsturm übersehen. Nicht lustig. Diese Daten sind mittlerweile so wichtig, dass man damit Geld verdienen kann, zum Beispiel für die GPS-gesteuerte und automatisierte Landwirtschaft. Das wiederum ist wichtig für die Rohstoffmärkte an den Börsen, aber dieses Fass lassen wir heute zu.

Wie ist das jetzt mit dem Vorfühling?

Einfach ausgedrückt verhält es sich so: Wenn es draußen anfängt zu grünen und blühen, dann ist Vorfrühling. (Phänologie oder: Das weiß doch jedes Kind!)

Das hätte ich auch gleich schreiben können, das wäre viel schneller gegangen und viel einfacher gewesen. Außerdem haben Sie und ich es sowieso schon geahnt. Wozu also diese Gedankensprünge, vom Hütchen zum Stöckchen? "Je mehr von dem, was wir lesen, beobachten und erleben für uns abrufbar ist, desto mehr Material steht unserem Gehirn zu Verfügung, wenn es nach neuen, ungewöhnlichen Lösungen sucht."2)  Sie nehmen gerade an einem Kreativitätstraining teil. 😏

Jetzt noch was zum Lachen: Wenn Sie im Januar einen Frühblüher im Vorgarten entdecken, verkaufen Sie sofort Ihre Aktien. Auch so etwas könnte man mit einer gut ausgearbeiteten Argumentationskette schlüssig vermitteln. 😎

Und die Moral von der Geschicht?
Wenn man etwas ganz genau wissen will, öffnen sich neue Türen, auch solche, mit denen man nicht gerechnet hat. Man merkt sehr schnell, dass sich hinter scheinbar einfachen Begriffen komplexe Themen verbergen, die schwer zu erfassen sind. Jede gestellte Frage wirft unter Umständen neue Fragen auf,
inklusive Widersprüchlichkeiten. Es zeigt uns auch unsere Grenzen auf: von der Wissenslücke bis hin zur Frustration, dass man das alles ja gar nicht verstehen kann, geschweige denn muss. Darum ist Vereinfachung oft sinnvoll, manchmal notwendig, und mitunter irreführend.

Mir macht es Spaß mich mit komplexen Themen zu beschäftigen, auch wenn sie eigentlich viel zu groß für mich sind. Es ist wie ein riesengroßer Schokoladenelefant, von dem ich mir jedes Mal ein kleines Bröselchen gönne. Das hält mein Gehirn auf Trab, und dann gönne ich ihm wieder eine meditative Pause. Zumindest was die Fremdwörter angeht gilt:  #wiederwasgelernt 

Siehe auch: Frühlingspoesie, #Frühblüher, Wintersonnwendzeit, Mondfest, Excel-Kopf, Sonne, sechzehn Grad!

Weiterführende Links

  • Vorfrühling - Die Wikipedia-Seite dazu wollen Sie nicht lesen. Oder doch? Dann hier.
  • Gregorianischer Kalender (Wikipedia)
  • 1)  Am Kalender schrauben - weather.com
  • Geowissenschaft:Ist Island in Wirklichkeit ein Kontinent? (Stuttgarter Nachrichten
  • Geowissenschaft: Rotes Meer ist älter als gedacht (Deutscher Hochschulverband)
  • Phänologie / Phänometrie - Wikipedia, Deutscher Wetterdienst
  • Lehre von den Erscheinungen - Buddhistische Philosophie (Wikipedia)
  • Lehre von den Erscheinungen - Philosophielexikon (Philolex)
  • Erscheinungen - Religiöse Bedeutung (Wikipedia)
  • 2) Zitat aus: Warum „Thinking outside the box“ Unsinn ist – und wie Sie wirklich auf neue Ideen kommen von Jens Möller (Focus)

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