"Hast du was vergessen?", fragte mich der junge Kassierer an der Supermarktkasse.
Ich dachte er wundert sich darüber, dass ich heute nur zwei Waren aufs Band gelegt hatte, und sagte: "Nein, heute brauche ich nicht mehr."
Er schüttelte den Kopf und beharrte: "Du warst doch vor zehn Minuten schon mal hier."
Ich stutzte. "Nicht dass ich wüsste", meinte ich. Ich hatte mich sowieso gewundert, warum mich der Kassierer duzte - bestimmt eine Verwechslung. Allerdings: so im direkten Kontakt, auf Armeslänge an einer Kasse, mit
Plexiglasscheibe dazwischen, muss die Ähnlichkeit schon ziemlich groß
sein.
"Vielleicht habe ich eine Doppelgängerin", mutmaßte ich amüsiert, und fügte hinzu, "das passiert mir nicht zum ersten Mal."
Vor gut dreißig Jahren hat es schon einmal eine Phase gegeben, in der mir ständig irgendwelche Leute erklärten, sie hätten mich hier oder dort gesehen. Ich war aber nie an den Orten gewesen, an denen sie glaubten mich gesehen zu haben. Dazu hätte ich ein Auto haben müssen, und ich hatte keins.
Vielleicht geht meine aktuelle Doppelgängerin nur zum gleichen Frisör. Meine Mutter hat mir erst vorgestern erklärt, dass Kurzhaarschnitte jetzt groß im Kommen seien. Bei mir ist nur eine Kopfseite kurz rasiert, diesen Schnitt sieht man nicht so oft, aber vielleicht kommt er jetzt gerade wieder in Mode.
Die andere logische Erklärung wäre, dass der Kassierer einfach nur ein Déjà-Vu hatte. Das kenne ich auch - ein Stresssymptom. Es ist ja momentan nicht so einfach. Gerade gestern kam die Pressemeldung, dass der Zuckerstückchenhersteller Mars seine Leckereien nicht mehr liefern will, und wieder eine Menge Supermarktregale leer bleiben. Das ist purer Stress für die Mitarbeiter und Kunden, die unbedingt Schokoriegel brauchen, um über den Tag zu kommen. Und unterzuckerte Gehirne können durchaus surreale Visionen erzeugen.
Als zusätzlicher Stressverstärker stand hinter mir ein riesengroßer alter Mann, ein vermutlich schwerhöriger und zudem leicht dementer Italiener. Er war mindestens zwei Meter groß, also ein echter Riese, noch dazu mit einer extrem lauten Stimme. Dieser Kerl hatte mich mit seinem Rollator schon die ganze Zeit durch den kleinen Supermarkt verfolgt, und alle paar Sekunden laut gerufen, wonach er suchte: Parmigggiiaaaanooo! -- Buttterrr! --- NUUUUDELN! 😲
Zwischen den Warenbestellungen räusperte er sich laut, oder gab andere undefinierbare Töne von sich. Vielleicht ein pensionierter Opernsänger - oder Marktschreier? Das hilfsbereite Personal, das gerade die Regale einräumte, war jedes Mal losgespurtet, um ihm die gesuchten Waren flugs in die Fünfziger-Jahre Lufthansa Sporttasche zu legen, die er vorne auf seinem Rollator vor sich herschob. Kaum hatte er Butter und Parmesan eingesackt, fing er wieder an, seine Einkaufsliste lautstark vorzutragen. Sogar der Filialleiter hatte von seiner Arbeit abgelassen, und mit sichtlich verstörtem Blick um die Regal-Ecke gelugt. Was für eine Aufruhr am frühen Morgen! 🙀
"Belllloo!", rief der Italiener jetzt, und räusperte sich zum fünften Mal, natürlich wieder ultra-laut. Der Kassierer und ich hatten also keine Zeit, die Frage nach meiner Doppelgängerin weiter zu erörtern - nächstes Mal. In der Zwischenzeit halte ich selbst die Augen offen. Sollte ich mir selbst irgendwo auf der Straße oder im Supermarkt begegnen, lässt sich wohl am besten klären, ob es sich nur um eine täuschende Ähnlichkeit handelt, oder ob es irgendwo in Giesing ein Wurmloch zu einem Paralleluniversum gibt. Ich würde es dann auch benutzen, um auf anderen Seite ein bisschen Verwirrung zu stiften . 😎😂
Siehe auch: Es steht ein Schild im Nirgendwo, West World, Murmeltiertag, Unter'm Tresen, Mehr weg als da, Out of order, Sonniges Gemüt, Dahoam is dahoam, Déjà-Vu, Aus der Matrix gefallen, Wo ist das Wurmloch?, Heute schon gezaubert?, Déjà--Vu
Weiterführende Links
- Déjà-Vu - bei Karrierebibel oder Wikipedia
- Mars stellt Lieferungen ... ein - Focus
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