Sonntag, 17. März 2024

Gertrude spinnt

24 mm | 1/280 s | f2,2 | ISO 50 | Smartphone

#Gertrudentag

Gertraud nützt dem Garten fein,
wenn sie sich zeigt im Sonnenschein

Der 17. März ist der heilige Tag einer gewissen Gertrud. Die galt oder gilt in manchen Kreisen immer noch als Schutzheilige, unter anderem weil sie Mäuse und Ratten angeblich alleine durch ihr Gebet vertreiben konnte. Die kleinen Nager hatten die Heilige Gertrud von Nivelles bei der Handarbeit gestört und ihren Spinnfaden durchgebissen. Also schaffte sie das Problem irgendwie aus der Welt, und heute beißt keine Maus mehr den Faden ab. Wie kam es dazu, und warum ausgerechnet am 17. März?

Gertrud wurde auf Bildern sehr häufig mit Mäusen dargestellt. Bei Wikipedia erfährt man, dass sie aber auch mit Katzen assoziiert wurde. Ein Schuft, der eins und eins zusammenrechnet. Im siebten Jahrhundert waren die Samtpfoten noch nicht so unbeliebt. Später, im Zuge der Hexenverfolgungen, war die Katzen-Connection dann nicht mehr so populär.
Beten wirkt definitiv besser gegen nervige Nagetiere, das weiß jeder Kammerjäger. Diese Erzählweise sollte wohl vor allem den Glauben stärken. Es hieß, dass Gertrud auch Seeungeheuer vertreiben konnte, und ich vermute, dass sich die Suche nach dem Ungeheuer von Loch Ness genau deshalb bis heute so schwierig gestaltet. 😅 

Gertrud starb am 17. März im Jahr 659. Dieser Termin war schon in vorchristlichen Zeiten einer der wichtigsten Tage im Frühling, und ursprünglich der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin Freya gewidmet. Die bäuerliche Bevölkerung nahm freudig vom Winter Abschied, vollführte althergebrachte Rituale, und ging wieder hinaus aufs Feld. Zu Gertruds Zeiten war die Weltanschauung mit all den heidnischen Göttern und Göttinnen längst nicht mehr erwünscht. Also hat man sie nach und nach durch zertifizierte Heilige ersetzt. Auch Gertrud hat nach ihrem Tod ein paar von Freyas Aufgaben geerbt. Dabei war eher ihr Sterbedatum ausschlaggebend, denn "Fruchtbarkeitsgöttin" passt nicht direkt zu Gertruds Lebenslauf. Als Verwandte von Karl dem Großen wollte sie partout nicht heiraten, trat im Alter von vierzehn Jahren ins Kloster ein, und hat sich vorrangig für die Armen- und Krankenfürsorge eingesetzt. Sie war sehr gebildet und bemühte sich darum, dass auch Mädchen die Heilige Schrift lesen sollten. Ungeheuer und Mäuse verjagen war aber auch eine gute Story: dafür bekam man mehr Follower. 😏

Viele Jahrhunderte lang bestand die Winterarbeit hauptsächlich im Spinnen, also der Herstellung von Fäden zu deren Weiterverarbeitung in Textilien aller Art. In unserer modernen Lebenswelt sind wir von dieser mühseligen Winterarbeit längst befreit. Dem (handwerklichen) Spinnen gibt man sich nur noch hin, wenn man sich seine Pullover, Mützen oder Socken selber strickt, und sich obendrein die dazu benötigte Ökowolle selbst beschafft, um das Strickgarn selber zu craften. Das ist ein eher seltenes Hobby für Leute, die bewusst entschleunigen wollen; zu Getruds Zeiten gab es nichts anderes. 

Mitte März kam man endlich wieder aus der muffigen Stube, in der sich auch die Mäuse tummelten. Die haben vermutlich vor lauter Hunger an den Fäden geknabbert, und das nervt. Dann kam die Gertrud, und ab dem 17. März konnten die Mäuse keinen Faden mehr abbeissen, weil nicht mehr gesponnen wurde. Diese Geschichte ist ein bisschen dünn, finden Sie nicht auch?
Es gibt noch andere Erklärungsmodelle für die Mäuse-Redewendung, deren Bedeutung sich in späteren Jahrhunderten verändert hat. Ganz genau weiß man wohl nicht, wie das alles zustandekam. Wenigstens ist die Redewendung, dass die Römer spinnen, eindeutig auf den Comic Asterix zurückzuführen. 😉

Warum das Wort "spinnen" so doppeldeutig ist, liegt daran, dass es seit dem 17. Jahrhundert Spinnhäuser gab, die den Charakter von Strafanstalten hatten. In Notzeiten wurden dort häufig Zwangsarbeiten verrichtet, und diese Tätigkeit färbte auf die Insassen ab. Zudem wurden in diesen Häusern alle möglichen "der Vernunft widersprechenden Existenzen eingesperrt", heißt es bei Wikipedia. Spinnhäuser waren eine Mischung aus Gefängnis, Straflager und Klapsmühle, und das ist traurig genug. Später kamen die Textilfabriken der industriellen Revolution, und heute sind es "verlängerte Werkbanken". Da wird nicht unbedingt gesponnen, aber im Akkord von Hand genäht und gefertigt. Muster wiederholen sich über die Jahrhunderte.

Dornröschen hatte mit dem Spinnen ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht, wie wir wissen. Nach der ganzen Recherche kommt mir der Gedanke, dass sie vielleicht vor Frust und Langeweile eingeschlafen ist, und hundert Jahre schlafen wollte, in der Hoffnung auf eine Zeitenwende zum Besseren.
Die Spinnenden haben sich beim Handarbeiten viele Geschichten erzählt, und sich auf diese Weise auch im Kopf einiges zusammengesponnen. Dass es eine Müllerstochter gegeben haben soll, die Stroh zu Gold spinnen konnte, war cleveres Marketing. Hintergrund war eine miese Verkupplungsaktion, die der Müller ersonnen hatte, um seine Tochter gewinnbringend unter die Haube zu bekommen. Mission accomplished, Heirat mit dem König.
Gesponnen haben sie alle irgendwie oder irgendwas, und bei dieser Tätigkeit wurden Märchen und Sagen mündlich weitergegeben. Nicht immer eins zu eins, wohlbemerkt, denn kreativ waren die Leute schon damals.

Wenn wir heute sagen, dass die Maus keinen Faden abbeißt, wollen wir damit ausdrücken oder bekräftigen, dass eine Sache so ist, wie sie ist, und dass daran auch nichts mehr geändert wird. Vielfach ist das eher Wunschdenken. Man weiß ja nicht, ob es nicht doch renitente oder verspielte Mäuse gibt, die den realen oder imaginären Faden wider Erwarten abbeißen. 😉 Meinen gedanklichen Gertrudenmäusefaden könnte ich jetzt bis ins Unendliche weiter spinnen, und ausprobieren, ob es für Blogartikel ein Zeichenlimit gibt. 😂 So viel Zeit haben weder Sie noch ich. Also, wie steht es um den Gertrudentag heutzutage?

"Der Gertrudentag blieb bis ins 20. Jahrhundert ein Tag voller Drang, in den Garten zu gehen und auf diese Weise den Winter zu vergessen. Bis heute gilt er den Gärtnern noch als wichtiger Lostag im Frühlingskalender." (Rodener Geschichtskreis) 

Was ist denn ein Lostag? Davon gibt es insgesamt 84 und sogar der Deutsche Wetterdienst hat einige davon auf seiner Webseite!? Da hab' ich ja noch was vor mir.  😅

Ich gestehe: Diesen Artikel hatte ich bereits im Winter recherchiert und erstellt. Das ist also meine Variante der Winterarbeit. Jeder spinnt auf seine Weise...😊

Siehe auch: Wissenslücken, Spinn i?, Wendekreis, Zuckersüß und intensiv blumig, #Frühling

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