Freitag, 22. März 2024

Schau-Fenster (14)

30 mm | 1/640 s | f2 | ISO 80 | Nikon Coolpix P7700

#Schau-Fenster 
#Muttergeschichten  #Stimmungstief

Die Osterferien stehen vor der Tür, angekündigt ist Aprilwetter, und meine Mutter erklärte mir heute früh, dass sie gerne beim Geheimdienst arbeiten würde. Der sucht gerade ganz offiziell neue Mitarbeiter (innen wie außen, aber in Bayern darf ja nicht mehr getschendert werden 😅).
Das Musikfernsehen hat anscheinend seinen Reiz verloren, denn meine Mutter schaut wieder häufiger in andere Programme. Was dort läuft, gefällt ihr auch nicht. Ob die denn nicht mal was Attraktives zeigen können, meinte sie, und teilte mir anschließend ihre Beobachtungen mit, die sie aus dem Fenster schauend gemacht hatte.
"Gutes Training für deine künftige Geheimdienst-Tätigkeit?", mutmaßte ich.
"Nein, das reicht nicht", sagte sie. Die Garagentore und Fenster der Häuser gegenüber geben definitiv nicht genug her.
All dem entnehme ich, dass meiner Mutter gerade ziemlich langweilig ist. Dass sie keine Reportagen aus Altenheimen oder von irgendeiner Kriegsfront sehen will, versteht sich von selbst, und "der Lanz ist auch nicht mehr das, was er früher mal war. Der ist richtig zahm geworden".
Dann hätten wir das auch geklärt... Heute ist so ein Tag, an dem ich wirklich keine Lust habe, auf ihre Themen einzusteigen. Missmut breitet sich aus, und man kann nicht immer gute Laune haben. Ich bin froh, dass ich nachher wieder rausgehen, und mich im Freien bewegen kann, denn sonst zieht mich die schlechte Stimmung mit runter. Ich brauche Abstand.

Das Setting im Mutterhome ließ mich an die 1960er  und 1970er Jahre denken, als alte Leute mit einem Kissen unter den Ellenbogen am Fenster saßen. Es gab Zeitungen und Radio, aber tagsüber nicht mal Fernsehen, und so schauten diese Leute gefühlt den ganzen Tag aus dem Fenster, um hinterher den Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft weiter zu verbreiten. So wie die wollte meine Mutter nie werden, und jetzt bleibt ihr nicht mehr viel anderes übrig. Das mit anzusehen ist belastend, und bei vielen Leuten springt in solchen Momenten der Retter-Instinkt an. Dann gibt man sich unglaublich viel Mühe, um den Frustrierten das Leben angenehmer zu machen; am Ende bleibt man selber mit einem Burnout auf der Strecke.

Bücher oder Zeitschriften hat meine Mutter noch nie gelesen, das ist viel zu anstrengend, da wird sie sofort müde. Ich würde ihr auch eine Wii kaufen, das ist eine Konsole für bewegungsgesteuerte Spiele, aber die würde ich wahrscheinlich mehr benutzen als sie. Zu technisch, und dann auch noch bewegen? Also bitte...
Das gut gemeinte Geschenk meines Bruders, eine Massagerolle für die Fußsohlen, steht nach einem Jahr der Nichtbenutzung inzwischen unter meinem Schreibtisch. Wenn er ihr ein iPad geschenkt hätte, wäre das jetzt auch meins. 
In einer Senioreneinrichtung gäbe es Unterhaltungsangebote und mehr Leute, mit denen man vielleicht mal reden könnte, aber dort sind eben nur lauter alte Leute, alle mit Alzheimer, und das ist unter ihrem Niveau. Einfach nur schrecklich, also nein, nein, NEIN.
Als pflegender Angehöriger hat man auch den Job als Alleinunterhalter, der umso leichter zu bewältigen ist, wenn es ein paar Gemeinsamkeiten und ähnliche Interessen gibt. Schwierig für uns beide. Die Pflegekräfte und die Physiotherapeuten sorgen wenigstens für ein bisschen Abwechslung zwischendurch. Wenn einer oder eine das Team verlässt, entsteht immer wieder eine große Lücke. Freunde, Familie? Fehlanzeige. Muss ich das alles auffangen? Nein, wirklich nicht.

"Wir haben heute früh gar nicht gelacht", jammerte meine Mutter, obwohl einer ihrer Lieblingspfleger Dienst hatte. Vergleichbare Äußerungen habe ich diese Woche schon mehrmals in verschiedenen Varianten gehört. Die Stimmung kippt, so wie der WC-Sitz wackelt. Auf den Sechs-Zeichen-Code aus der Arztpraxis warte ich immer noch, dafür hatte ich über Nacht eine spontane Eingebung, wie ich die ersatzweise montierte Schraubenmutter noch besser fixieren könnte. Not macht erfinderisch. Dass ich momentan fast keine neuen Fotos mache, gibt mir zu denken. Soll ich mich unters Klo legen, und ein Selfie mit der Schraubenmutter machen? Da hätten wir sicher was zu lachen. 😜 Vielleicht stabilisiert sich die Stimmung, wenn der Aquatec wieder stabil ist. Ich sorge jetzt erst mal für mich und gehe zum Qigong.

Siehe auch: #Schau-Fenster, Negative Gefühle, Arbeit ohne Sinn, Jetzt denken Sie doch endlich positiv!, Pass auf, was du denkst!, Daniel-Day-Lewis-Momente, So wird es nicht bleiben, Langeweile-Loop, Auf und ab, Sommerblues, Im Durchgang, Licht und Bewegung

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