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| 26 mm | 1/100 s | f2,2 | ISO 100 | Smartphone |
#Muttergeschichten #Pflegeheim
"Was braucht man denn, um so ein Insta-Grahm zu haben?", wollte meine Mutter bei unserer Redaktionssitzung wissen. Au weia, dachte ich, das wird jetzt einigermaßen kompliziert. 😨 Wie erkläre ich einer 87jährigen Seniorin, die sich gerade mal vier bis sechs Tasten auf der TV-Fernbedienung merken konnte, wie die moderne Smartphonewelt funktioniert?
"Du brauchst auf jeden Fall so ein Ding", sagte ich, und deutete auf mein Smartie. Damit hatte ich ihr die Insta-App zeigen wollen, und diese zu Demonstrationszwecken erstmalig auf meinem Handy installiert. Spoiler: Ich war zutiefst schockiert über das, was mir dabei widerfuhr - die sogenannten Reels. Ihnen muss ich nicht erklären, was das ist, aber meine Mutter kannte das noch nicht.
Jetzt mal im Ernst: Schauen Sie sich sowas an? 😟
Meine Mutter fing an zu lachen 😂, was immerhin ein Zeichen dafür war, dass sie sich köstlich amüsierte. Wenn Menschen vor einer Kamera Sport machen, lacht die Mutter immer, egal ob es der fitte Philip aus dem österreichischen Frühstücksfernsehen ist, seriöse Gymnastikgruppen Ü60 aus dem BR, oder eben eine annähernd magersüchtige Influencerin U30. Instagram wollte mit dem kruden Sammelsurium einfach herausfinden, was uns gefällt, aber wir verteilten gemeinerweise keine Herzchen.
Derweil hatte sich mein eigener Gemütszustand von Verwirrung über Fassungslosigkeit bis hin zu Ärger weiter entwickelt, und war im Begriff, in den Modus Weißglut zu schalten. 😠😡😡 Das kommt wahrlich selten vor. Mich bewegte nur ein Gedanke: Wie zur Hölle schaltet man das ab?
Ich suchte in den Profileinstellungen am Handy nach einem "Button" oder Menüpunkt, der uns vor diesem wild durcheinandergewürfelten ADHS Szenario bewahren würde. Auf die Schnelle fand ich keine Lösung, und damit war die Insta-Grahm Präsentation fürs erste beendet. Schlussdibus-Omnibus, Handy aus!
Meine Mutter will nur die Fotos von einem ihrer Pfleger bei Insta-Grahm anschauen, kennt aber noch nicht dessen Insta-Adresse. Wenn sie die besorgt und sich aufschreiben lässt, werde ich ihr weiterhelfen, aber definitiv nicht mehr mit dem Smartphone, denn: Die Reels lassen sich in der App nicht ohne weiteres deaktivieren! Ja bin ich denn bescheuert? 😠
In Bus und Bahn hatte ich schon oft gesehen, wie - überwiegend junge - Menschen diese Reels durchzappen, hier ein Herzchen, dort ein Herzchen verteilen, und immer so weiter. Sorry Leute, ich habe wirklich was Besseres zu tun, als meine wertvolle Zeit mit so einem Schmarrn zu verdaddeln. 😡
Mittlerweile weiß ich: Diese Reels kann man am Handy gar nicht abschalten, und wenn, dann nur so halbseiden auf geheimen Umwegen. Nur in der Web-Applikation am Computer hat man die Wahl, ob man diesen Hyperaktivitäts-Wahnsinn sehen will. Nein, will ich nicht. 😤 Für zwanzig Millionen neu hochgeladene Fotos täglich habe ich gerade auch keine Kapazitäten.
Früher war's nicht besser, nur anders
In der neuesten aspekte-Kultursendung hatte ich gehört, dass Nostalgie gerade absolut im Trend liegt. Viele junge Menschen würden lieber in der Vergangenheit leben als in der Gegenwart. Das wundert mich gar nicht, wenn ich mir diese Reels anschaue. Ich empfehle das analoge Wählscheibentelefon und 20 Cent Gebühr für jedes geführte Telefonat. 😁 Oder auch 7 Cent pro SMS oder Whatsapp-Nachricht, da überlegt man sich, ob das Geschnatter im Sekundentakt wirklich notwendig ist.
Inzwischen brauche ich gefühlt zwanzig Apps, um mit Leuten in Verbindung
zu bleiben, die eigentlich auch eine E-Mail und eine Handynummer haben,
auf der man sogar anrufen könnte. Stattdessen lautet die Frage: Hast du
Whatsapp, Signal, Telegram, Insta... Und ein paar ganz Unermüdliche
erreiche ich immer noch über Facebook. Als ich Signal installierte, um mit meiner altmodischen Fotogruppe in Verbindung zu bleiben, hatte ich über Nacht 47 neue Nachrichten, allein auf diesem Kanal. What???!!!
Bei so viel kommunikativen Getöse wird der sprichwörtliche Hund in der Pfanne
verrückt 😜 und Menschen erst recht. Warum fahren Autos an einer grünen Ampel nicht los? Weil der Fahrer oder die Fahrerin gerade eine Nachricht auf dem Handy liest oder beantwortet. 😡
Instagram gibt es seit 2010 und es war, bevor es 2012 für eine Milliarde Dollar von Facebook aufgekauft wurde, eine auf Fotografen und andere Kreative zugeschnittene Plattform. Dort konnte man sich (wirklich gute) Fotos und Videos anschauen und veröffentlichen. Was innerhalb von fünfzehn Jahren aus dieser ursprünglich tollen Idee geworden ist, spottet jeder Beschreibung. Zugegeben: das gilt für große Teile des Internetz, und wie das mit der KI ausgeht, wissen wir heute auch noch nicht. 😓
#Nachgedacht
Damit ich nicht wie ein Vegetarier über Steaks referiere, hatte ich mir über die Jahre bei so ziemlich allen gängigen Plattformen Accounts zugelegt, und zuletzt auf dieses Signal eingelassen. In erster Linie wollte ich meine Kontakte nicht verlieren, die wie eine grasende Herde Büffel von einer grünen Wiese zur nächsten weiter wanderten. Myspace, Twitter, Facebook, Insta, zwischendurch auch G+, falls Sie noch wissen, was das war, um nur die bekanntesten zu nennen. Ich habe aufgehört zu zählen, wo ich mich überall theoretisch einloggen könnte, sofern meine dortigen Konten nicht wegen Inaktivität gelöscht, oder die Plattformen komplett geschlossen wurden.
Was ist in all den Jahren - und wir sprechen von gut zwei Jahrzehnten - gleich geblieben? Es ist die E-Mail Adresse. Das ist schon fast eine Dinosaurier-Technologie, aber ausgerechnet die braucht man bis heute, nicht nur, um Zugang zu all diesen Plattformen zu bekommen. Wer kein Handy hat, ist sowieso außen vor.
#ModernesLeben
Um also die Frage meiner Mutter (Was braucht man...) zu beantworten, hätte ich ihr erklären müssen, was ich bereits ausprobiert hatte. Ich hatte ihr tatsächlich eine eigene E-Mail-Adresse angelegt. Dass man damit (am Computer) noch einen Insta-Account anlegen kann, ist schon fast ein Wunder. Für die Handy-App braucht man eine Google/Apple-Mail plus eine Handynummer, also die des Mutterfons. Bin ich des Wahnsinns knusprige Beute? 😏 Mit der Wegwerf-Mailadresse konnte ich also den Test-Account anlegen. Damit bin ich ihren fünf Lieblingsmusikern "gefolgt", damit sie nur deren Inhalte angezeigt bekäme, wenn wir gemeinsam reinschauen.
Kreisch! 😨
Was dann geschah, hat mich von der Sinnlosigkeit meines Tuns endgültig überzeugt: Innerhalb weniger Stunden tauchten im Mutter E-Mail-Account zwei Benachrichtigungen auf, dass ihr zwei Leute "folgen". Es ist der Klassiker: Knusprige junge Männer aus fernen Ländern, die irgendwann finanzielle Unterstützung benötigen werden - ein Zeichen dafür, wie schnell und mit welch durchtriebenen Suchalgorithmen Betrüger durchs Netz streifen. Nun hätte ich noch die Möglichkeit gehabt, Sicherheitsmechanismen für schützenswerte Personen einzurichten: Kinder. Senioren sind (noch) nicht als Zielgruppe vorgesehen... Aber nein, das ist kein Verbesserungsvorschlag. Durch diesen "Test" ahne im Ansatz, was Eltern mit ihren Kindern durchmachen. 😓
Die Frage, ob ich meine Mutter auf Insta oder das Internetz loslassen könnte, hat sich innerhalb kürzester Zeit erledigt: Ihr Account wird wieder gelöscht, und es wird bestenfalls bei Heimbesuchen betreutes Surfen geben. Ob wir dafür dann überhaupt Zeit haben, ist fraglich, denn im echten Leben gibt es genug "Live Reels": authentisch und voll auf die Zielgruppe abgestimmt. 😊 Wenn sie Herzerl verteilt, dann welche aus Schokolade und von Angesicht zu Angesicht. 👵💗👵
Siehe auch: Und jetzt?, Soziales Medium, Verschachtelt, Segnung der digitalen Moderne, Zeitverschwendung, Appsala, Ein unerwarteter Fehler, Briefankündigung, Glitch beim Check-In, Aussitzen, Bild- und Lebenswelten, Flimmerkasten, Digitale Revolution: Erlebnisse aus dem Alltag, Randnotizen der Digitalisierung, Ein Plädoyer für intelligente Mediennutzung, #Internetz, #ModernesLeben, Sehtest
Weiterführende Links
- Reel - Wikipedia 😁
- Reels - heise.de
- Die Geschichte von Instagram - Wikipedia, bildungsinstitut-wirtschaft.de
- Reels bei Instagram ausschalten - Chip Praxistipp, recorder-easeus.com
- Instagram für PC - Chip, Softonic
- Instagram Kritik - Wikipedia

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