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| 27 mm | 1/120 s | f1,6 | ISO 125 | Smartphone |
#Spiegelungen auf #Glas
#Muttergeschichten #Pflegeheim
"Was fotografierst du da?", wunderte sich der Cafeteria-Chef, als ich mit meinem Smartie vor seinem Servierwagen kniete, und mich dabei schon etwas komisch verrenkte, um den frisch gespülten Gläsern so nahe wie möglich zu kommen. Es sah ein bisschen aus wie beim Limbo. 😅
"Ich zeig' es dir", sagte ich, der Einfachheit halber, nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte. Die sofortige Bildwiedergabe ist eine super Erfindung der fotografischen Moderne. 😉 Ein eher abstraktes Foto wie dieses muss man natürlich auch "verstehen", aber zumindest Murat musste ich nichts erklären: Der kennt sich mit Gläsern aus.
"Wie hast du das gesehen?", fragte er verwundert.
Solche Motive beruhen auf Erfahrungswerten, wer selber fotografiert, kennt das wahrscheinlich auch: Man sieht etwas, und weiß auf Anhieb, dass es sich als Fotomotiv eignet, weil man schon (mehrere) tausend Mal eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Manchmal sieht man auch etwas Interessantes, aber es lässt sich nicht so fotografieren, wie man es gesehen hat. Dann fängt die gestalterische Arbeit an, und man muss gegebenenfalls vor einem Servierwagen in die Knie gehen, auch wenn alle Leute drumherum denken, man hätte nicht mehr alle Tassen (oder Gläser) im Schrank. 😜
Der fahrbare Servierwagen war noch nie mitten in der Cafeteria gestanden, direkt hinter dem Rollstuhl meiner Mutter, und über die Heiligenschein-Wirkung der Deckenbeleuchtung hatte ich schon einmal berichtet. 😇 Auf Gläsern kommt dieses mehrfach gespiegelte Ringlicht richtig gut, und ich musste sofort zur Tat schreiten, weil Murat - auch das ist ein Erfahrungswert - seine Gläser nicht lange unbeaufsichtigt irgendwo stehen lässt.
Meine Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt schon ihr eigenes, gefülltes Weinglas vor, und einen ausgesprochen intensiven Tag hinter sich:
Wenigstens war sie beim verspäteten Frühstück nicht ganz allein in der Küche, wie sie mir berichtete, denn auch die lustige Oma, ebenfalls Rollstuhlfahrerin mit hohem Pflegeaufwand, hatte an diesem Morgen das gleiche Schicksal ereilt. Wenn die Zeit knapp ist, werden diese beiden oft als letzte vom Pflegepersonal betreut, weil sonst die anderen, mobileren MitbewohnerInnen länger warten müssten. Dann kämen noch mehr Leute später zum Frühstück, und der ganze Tagesablauf auf der Station käme komplett durcheinander. Diese Einteilung ist nachvollziehbar, aber frustrierend, wenn man selber zwei Stunden länger im Bett liegen muss als gewohnt. 😓
Warten musste auch ich, und so war ich beim Sehtest live dabei. Die freundliche, junge Augenärztin hatte ein Karten-Set mitgebracht, eine handliche, mobile Version der großen Buchstaben- und Zahlentafeln, die Sie aus der Augenarztpraxis oder aus dem Optikerladen kennen.
"Können Sie das lesen?", lautet die Standardfrage, und ja: meine Mutter konnte. Und wie! Nachdem sie vor rund fünfzehn Jahren an beiden Augen operiert worden war, und künstliche Linsen eingesetzt bekommen hatte, kommt sie mit ihren Lesebrillen hervorragend zurecht. Mit ihrer 3,5 Dioptrien Sehhilfe aus dem Drogeriemarkt konnte sie beim Test eine Zeile nach der anderen mühelos und flüssig (!) vorlesen.
Die Blicke, die die Augenärztin mit mir wechselte, waren eindeutig: Wow... 😎 Da gibt es nichts zu meckern, auch wenn die Mutter meint, sie müsste eigentlich noch viel besser sehen können. Es ist wirklich schade, dass sie so wenig liest, denn ihre Augen wären dazu absolut imstande.
Lediglich beim Blick in die Ferne gebe es leichte Schwächen, erläuterte die Ärztin, und falls meine Mutter dafür eine angepasste Fernsicht-Brille haben wollte, könne man ihr eine verschreiben.
"Auto fahren Sie ja nicht mehr", fügte die Ärztin scherzhaft hinzu, woraufhin meine Mutter auf ihren Rolli 🦽 deutete und meinte: "Doch, das ist mein Auto." 😂
"Zum Fernsehen vielleicht?", hakte die Ärztin nach, aber meine Mutter winkte ab. Im Doppelzimmer schaut sie nicht gerne fern, weil sie das Programm nicht selbst bestimmen kann. Falls auf dem Gerät doch etwas Interessantes läuft - wie der Einzug der Wiesnwirte am Samstag - , kann man mit dem Rolli auch ganz nah an den TV-Monitor fahren. Dann sitzt man nicht mehr in der ersten Reihe, wie bei einschlägig bekannten Sendern, sondern man ist selber mittendrin in der jeweiligen Szene. 😁
Wichtig war meiner Mutter eine andere Frage: Sie sieht immer noch diese halluzinogenen, bunten Lichter. Es ist zwar nicht mehr so intensiv wie im Frühjahr, aber sie wollte dieses Phänomen abklären lassen. Das sei nicht schlimm, meinte die Ärztin, es beruht wahrscheinlich auf Blutdruckschwankungen und/oder Nebenwirkungen von Medikamenten. Genau deshalb hatte meine Mutter auch nach einer Blutuntersuchung gefragt: "Muss ich diese Tabletten wirklich alle nehmen?" und nein, ihr Einverständnis zur anberaumten Impfung erteilt sie nicht. 😤
"Die halten mich für aufmüpfig und rebellisch", erklärte sie mir später in der Cafeteria, "aber ich bin nicht aus Dummsdorf. Ich kann zwar nicht mehr schreiben und nicht mehr laufen, aber denken kann ich noch, und ich habe meine Meinung!"
Ja, und die äußert sie regelmäßig, notfalls auch mit Nachdruck. Wenn das nicht rebellisch und aufmüpfig ist? 😅 So ist sie nun mal. In vielen ihrer Lebenssituationen waren ihre Sturheit und ihr Eigensinn nicht nur nervig, sondern auch ausgesprochen nützlich, um nicht zu sagen überlebensnotwendig. Das sind ihre Erfahrungswerte, so wie ich meine habe, wenn ich halluzinogene Heiligenscheine in Gläsern entdecke. 😉
Trotzdem wäre es super, wenn meine Mutter ihr Gehirn nicht nur im direkten Gespräch weiter trainiert, sondern vielleicht doch noch lernt, wie man technische Geräte halbwegs eigenständig benutzt. Unsere Telefonate mit ihrem neuen Handy verlaufen momentan ziemlich desaströs, und das, obwohl die Mutter genauso gut hören wie sehen kann. Das ist dann wieder eine andere Episode aus dem großen Muttergeschichten-Kanon. 😂
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