Freitag, 19. Juli 2024

Wolkenkuckucksheim

30 mm | 1/60 s | f5,6 | ISO 800 | Canon EOS 10D

#Astronauten #Raumanzug
gesehen März 2004 auf Teneriffa
#Muttergeschichten

"Wie heißt das Outfit?" fragte meine Mutter gestern völlig ansatzlos beim Mittagessen, und vollführte dabei mit einer Hand eine Geste vor ihrem Gesicht. Es sah aus, als wollte sie einen großen Kreis in die Luft malen. Ich schaute sie fragend an.
"Outfit? Was meinst du denn damit?"
"Für den Kopf!"
Ich hatte immer noch ein großes Fragezeichen im Gesicht. Der Pflegedienst hatte ihr morgens die Haare gewaschen, mit warmem Wasser aus dem Wasserkocher, weil wir ja immer noch auf die Reparatur der undichten Gasleitung warten. Also dachte ich, dass meine Mutter mit ihrem "Outfit für den Kopf" vielleicht einen Turban aus einem Handtuch beschreiben wollte, den sie nach dem Haarewaschen getragen hatte. Da sieht man immer lustig aus, und vielleicht war das die Geschichte?
"Nein!", rief sie ungeduldig, und: "Wie nennt man denn dieses Ding um den Kopf herum?!"
Ich bin gerade mächtig gestresst mit den ganzen Handwerkergeschichten und Urlaubsvorbereitungen, also hatte ich wahrlich keine geistigen Kapazitäten für merkwürdige Outfit-Diskussionen.
"Ich weiß nicht, was du meinst", seufzte ich, aber sie ließ nicht locker.
"Diese Wolke um den Kopf herum!", sagte sie. "Wie nennt man das?"

Schleier? Turban? Kopftuch? ... Nein. Nein. Nein....
"Das ist alles dinglich", erklärte sie mir, und: "ich meine diese nicht dingliche Wolke, die um den Kopf herum ist." Sie hob die Hände, und beschrieb damit erneut einen ziemlich großen Bereich um ihren Kopf, ungefähr in der Größe eines (ziemlich großen) Astronautenhelms.
"Die kann man nicht sehen, aber sie ist da!", beharrte sie.
Wollte sie so etwas wie eine Aura beschreiben? Ich versuchte es mit: "Meinst du ein Energiefeld?"
Diese Antwort schien ihr etwas besser zu gefallen, aber es war nicht genau das Wort, nach dem sie suchte.
"Das ist dinglich und nicht-dinglich", fuhr sie fort, und "da bin ich drin!"
"In dieser Wolke?", hakte ich nach, nun doch leicht alarmiert.
"Du glaubst mir nicht", sagte meine Mutter mit einer Mischung aus Frustration und Verärgerung.
"Doch", bekräftigte ich, "sowas gibt's."
Gleichzeitig fragte ich mich, was sie wahrgenommen hatte.
Ich selbst habe manchmal Augenmigräne, dann schiebt sich ein Halbkreis aus hellen, pulsierenden Lichtzacken in mein Sichtfeld, der auch nicht verschwindet, wenn ich die Augen schließe. Es tut nicht weh, ist aber ziemlich krass, weil es das Sichtfeld massiv beeinträchtigt, und gesundheitlich kein gutes Zeichen ist. Diese Zacken verändern sich und verschwinden nach ein paar Minuten wieder, aber bei ihrem erstem Erscheinen war ich ziemlich schockiert über dieses neurologische Phänomen.

Die Kompressionsstrümpfe, die meine Mutter seit kurzem trägt, verändern in ihrem Körper eine ganze Menge, die nicht enden wollende Gasleitungsgeschichte stresst uns beide, und die "Wolke um ihren Kopf" ist wahrscheinlich eine bisher noch nicht erlebte Nebenwirkung aus beidem.
"Ich muss jetzt Aliens bestellen, damit die mich untersuchen!", war der nächste Satz, den meine Mutter von sich gab. Von Aliens hatte sie bisher noch nicht gesprochen, auch das ist neu. 👽
"Das gibt es wirklich", bekräftigte sie, sinnierte ein paar Sekunden lang mit abwesendem Blick vor sich hin, und erklärte abschließend: "Die werden dann bestätigen, dass ich recht habe!"
Womit sie recht hat, hat sie nicht weiter ausgeführt. Sie liebt solche Cliffhanger...
Ich bezweifle nicht, dass meine Mutter eine Wolke sieht, die ich nicht sehen kann. Wirklich beruhigend ist das nicht, und um das abzuklären wäre ein Termin beim Neurologen fällig. Ab in die Röhre, also Krankenhaus und Krankentransport, also die Wohnung verlassen. Was sie dazu sagt, ist auch klar: Nein!!!
Für sie ist diese Wolke keine Krankheit, sondern wohl eine Art Erleuchtungserlebnis. Heute war noch keine Wolke um ihren Kopf, und es gibt, horrido!, einen neuen Termin für die Reparatur der Gasleitung: übernächste Woche...
Das ist auch wieder Stress, aber wenigstens ist es ein Termin, verbunden mit der Hoffnung, dass die Sache wieder in Ordnung kommt. Gut, dass wir für die Zeit dazwischen den großen Wasserkocher haben. 😓

Keine Kommentare: