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36 mm | 1/950 s | f1,6 | ISO 50 | Smartphone |
#Sekt #Glas #Stillleben #arrangiert
#detailverliebt #minimalistisch
#Muttergeschichten #Pflegeheim
Gestern war das Wetter noch einigermaßen schön, und warm genug, um mit der Mutter auf der Cafeteria-Terrasse unseren mittlerweile legendären "Piccolo mit zwei Gläsern" zu verkonsumieren. Grund zum Feiern gab es nicht, aber egal: es ist eine neu etablierte Tradition.
Tradition ist nicht zu verwechseln mit einer schnöden Gewohnheit, denn ich frage meine Mutter jedes Mal, was ich für sie an der Theke bestellen soll. Manchmal gibt es Kuchen oder Eis, für mich einen Cappuccino, oder ein Mittagsmenü, das wir uns teilen, weil sie es alleine nicht schafft. Neu im Programm ist der frühsommerliche Eiskaffee. Den testen wir, wenn es richtig warm wird. ⛅
In meiner Rolle als Betreuerin hatte ich die unangenehme Aufgabe, meine Mutter über den eingetroffenen Behördenbrief zu informieren. Verstanden hat sie nicht, was drin steht, weil "Behördendeutsch" generell eine schwierige Angelegenheit ist. Um sicher zu sein, dass wir beide verstehen, worum es im Detail geht, habe ich nächste Woche selbst noch einmal einen kurzfristig anberaumten Beratungstermin. Die Stimmung war also gedrückt, darum habe ich das Sektglas erst zum Stillleben arrangiert, nachdem wir ausgetrunken hatten. 😓
Symbolisch steht das "(halb)leere Glas" in der Motivationspsychologie für das Thema Optimismus vs. Pessimismus, und dass es immer auf unsere innere Einstellung ankommt, ob wir ein zu 50% gefülltes Glas als halb voll oder halb leer bezeichnen.
Nach dem unschönen und ernsten Teil des Gesprächs brauchten wir beide eine Stimmungsaufhellung, und ich war dankbar, dass meine Mutter wieder eine lustige Geschichte auf Lager hatte. Die würde ich Ihnen gerne 1:1 erzählen, muss die Episode aber aus Gründen der Privatsphäre für mich behalten.
"Man denkt ja immer, im Altenheim wäre es langweilig", sagte meine Mutter, "aber du glaubst gar nicht, was hier jeden Tag passiert!" 😂
"Am liebsten würde ich eine Zeitungsredaktion gründen", fuhr sie amüsiert und beseelt fort, "und einen Kameramann beauftragen, damit der das alles abfilmt: Live, aus dem echten Leben!"
Ich glaube, sie denkt in Richtung Enthüllungsjournalismus oder doch eine Art Big Brother, Pflegeheim Edition? 😱
Das geht leider nicht, schon aus juristischen Gründen. Darum landet auch die eine oder andere sehr private Geschichte aus dem Pflegeheim in meiner Autorinnenschublade: Diskretion, die darauf wartet, dass genügend Zeit verstreichen möge, um die eine oder andere Story vielleicht später noch irgendwo unterzubringen. Sie wissen sicher, dass auch die US-Geheimdienste manche Akten frühestens nach fünfzig Jahren freigeben. 😁 Ich könnte natürlich fiktive Altenheimgeschichten schreiben, aber wenn die Realität schon so aufregend und aufwühlend ist, kann man sie mit phantasievoll übertriebener Fiktion kaum noch toppen. 😲 Jedes Genre wäre möglich, ich denke am ehesten in Richtung Tragikomödie, weil man das besser aushalten kann als ein (Psycho)Drama. 😅
"Es wird nicht mehr besser", fasste meine Mutter ihren körperlichen Zustand realistisch zusammen, und wirkte frustriert über den Umstand, dass manche Mitbewohnerinnen anscheinend neidisch auf ihre 'Sonderbehandlung' durch das Pflegepersonal sind. Es geht um die aufwändige Hilfe beim An- und Ausziehen, und bei allem, was im Bad stattfindet. Das war im Mutterhome schon schwierig, jetzt dauert alles noch viel länger.
"Dein medizinischer Befund ist die Ursache für die 'Sonderbehandlung'", bestätigte ich ihr, und versuchte sie zu trösten: "Wer darauf neidisch ist, hat keine Ahnung."
"Ja", seufzte sie, "weil ich kein Alzheimer bin, denken die, dass ich alles kann. Und dann hockst du eine halbe Stunde auf dem Klo, drückst die Glocke (mehrmals) und es kommt keiner (um dir beim Aufstehen zu helfen)." Der Rest dieser sich wiederholenden Episoden fällt in die Rubrik Diskretion. Ich erwähne es trotzdem, um zu signalisieren, dass für (schwer) pflegebedürftige Personen der größte Teil von Privatsphäre nicht mehr existiert. Es ist ein großer Unterschied, ob ein enger Familienangehöriger unerwartet ins unverschlossene Bad latscht, ein WG-Mitbewohner, oder jemand vom Putzpersonal. 😖 Und wer liest Ihre Kontoauszüge?
"Mir passiert das nicht, ich sterbe sowieso vorher", ist der geflügelte Satz, den meine Mutter noch vor fünf Jahren von sich gegeben hatte. Die Realität hat uns eines Besseren belehrt. Darum machen wir jetzt das Beste daraus: Die Mutter erzählt, ich notiere die Geschichte(n), die das Leben schreibt, und Heimbesuche sind Redaktionssitzungen... 🖊
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Andere Motive: Starkbierzeit, Tradition und Moderne, #minimalistisch, #Piccolo, Stimmungsaufheller
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