Donnerstag, 17. August 2023

Miesmäuliges Froschgesicht

27 mm | 1/100 s | f1,6 | ISO 160 | Smartphone

#Schlangenkopf  #Miesmäulchen  #Schildblume  #Turtlehead  #Chelone

Heute gibt's mal wieder halb satirische Blümchenphilosopie. Ich weiß nicht, ob diese Sorte ein Neuzugang am Bach ist, oder ob ich die Schiefe Schildblume (Chelone obliqua) in den letzten Jahren einfach nicht beachtet hatte. Man kann ja nicht alles sehen und fotografieren. 😆

Sieht aus wie ein Froschgesicht, dachte ich mir noch, als ich das Smartie zückte. Bei der Recherche erfuhr ich dann, dass die Pflanze tatsächlich Schlangenkopf heißt, und manchmal auch als Miesmäulchen bezeichnet wird. Ja, das kommt hin. 😆

Im Englischen heißt die Pflanze Turtlehead, also "Schildkrötenkopf". Der Gattungsname Chelone geht - wieder einmal - auf die griechische Mythologie zurück: Der Legende nach hatte eine Nymphe namens Chelone keine Lust, der Hochzeit von Zeus und Hera beizuwohnen. Was für ein Affront, schließlich waren das damals die höchsten Götter! Zur Strafe wurde Chelone mit ihrem Haus in einen Fluss geworfen, wo sie sich in eine Schildkröte (Englisch turtle) verwandelte. Eine Nymphe ist in der Mythologie ein weiblicher Naturgeist, und weil diese Blumen aussehen wie ein Schildkrötengesicht, sind sie seither sozusagen blumige Verkörperungen jener widerspenstigen Chelone.
Da kann ich nur sagen: Passen Sie auf, wer Sie zur Hochzeit einlädt, und machen Sie am besten schon vorher einen Bogen um rachsüchtige GötterInnen. Wer gar nicht erst eingeladen wird, kann hinterher auch nicht fürs Nichterscheinen oder flapsiges Benehmen bestraft werden. 😅

Wie bei allen Pflänzchen kommt heutzutage die Frage auf, ob sie nicht nur hübsch, sondern auch nützlich oder ökologisch wertvoll sind. Hübsch ist bei einer Pflanze mit Froschgesicht natürlich eine Frage des Geschmacks. Man muss ja nicht so genau hingucken. Alle Blumen sind schön, weil sie Blumen sind, fertig. Pink ist sie außerdem, also gerade voll im Barbie-Trend.
Der Standort meines Fotomotivs befindet sich gleich hinter dem Zaun einer Kleingartenanlage. Von dort aus machen sich immer wieder allerlei Zierpflanzen mehr oder weniger heimlich davon, und schlagen ihre Zelte... nein, ihre Wurzeln in der Umgebung auf und aus. Dabei besteht immer die Gefahr, dass einheimische Arten verdrängt werden, dann hat das hiesige Getier nichts mehr zu futtern, und verschwindet = Artensterben. Das gilt es zu vermeiden.

Der Schlangenkopf stammt ursprünglich aus Nordamerika, ist hier also nicht heimisch. Kaufen kann man ihn quasi überall. Er kann sich mächtig ausbreiten, weil es ihm hier anscheinend genauso gut gefällt wie im östlichen Nordamerika. Auf deutschsprachigen Webseiten findet man wenig bis keine Angaben zur Insektenfreundlichkeit, und im Gegensatz zu Gärtnereien weiß die deutsche Wikipedia bisher noch nicht allzu viel über den seltsam dreinblickenden Einwanderer.
Auf einer amerikanischen Webseite wiederum wird ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig Turtlehead für eine (ganz bestimmte) Schmetterlingsart ist. Kolibris mögen den Schlangenkopf auch, die haben wir hierzulande leider auch (noch?) nicht.
Angeblich freuen sich über dem großen Teich auch Bienen über diese Blüten. In einigen Bundesstaaten der USA stehen die Wildbestände des Schlangenkopfs unter Naturschutz. Es ist zumindest eine "Nektar- oder Pollenpflanze", winterhart, und die abgestorbenen Pflanzenteile dienen Insekten im Winter als Zufluchtsort. Solche Informationen darf man nicht einfach unter den Teppich kehren: Der Schlangenkopf ersetzt zumindest eigens anzuschaffende Insektenhotels.

Eine grundsätzliche Frage, die mich beschäftigt, lautet: Sind oder wären einheimische Insekten in der Lage, das zuhauf importierte Futter auch irgendwann mal anzunehmen? Die Tierwelt und die Natur sind eigentlich nicht blöd und sehr anpassungsfähig, aber dazu müssen sie sich natürlich auch verändern. Am Anfang schmeckt's vielleicht nicht, man bekommt Bauchschmerzen, oder man braucht einen längeren Rüssel, aber das bügelt sich in den nächsten Generationen genetisch aus. Das nennt man Evolution. Ob die in eine "gute" oder "schlechte" Richtung läuft, ist eine sehr menschliche Art, Dinge wahrzunehmen. Moderne Menschen essen beispielsweise mit Begeisterung Kartoffeln und Mais, obwohl keine dieser Pflanzen bei uns ursprünglich heimisch war. Anfangs hielt man Kartoffeln für hübsche Zierpflanzen, und die Bauern weigerten sich, die Neuerung anzupflanzen. Jetzt gibt es Pommes an jeder Straßenecke, Chips auf dem Sofa, und Popcorn im Kino. Die Evolution macht vor nichts und niemandem Halt. 😅

Soll ich jetzt noch den Bogen zu den innovativen Insekten-Snacks schlagen, die künftig die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellen sollen? Nein, lieber nicht. 😳 Bevor Sie ein Gesicht machen wie ein Miesmäulchen: Die schiefe froschgesichtige Pflanze blüht von Juli bis September. Schauen Sie mal nach, ob es irgendwo in Ihrer Umgebung auch so eine verwandelte Nymphe gibt, und ob sich irgendwelche Edelfalter daran aufhalten. Das sind die besonders bunten, und die sind ausgesprochen hübsch. 😀

Nicht zu verwechseln mit dem Blutweiderich.

Siehe auch: Dornröschen, Nochmal nachgeMESSEn, Himmelsschlüssel?, Intelligenztest für Bienen, Gelbmurks, Iiii, wie hässlich!, Hummelbrummel, Niesmitlust, Kätzchenblüte, Richtig oder falsch?, Die Größe ist entscheidend, Die Natur macht ihr Ding, Ausdauernd, Hundrose im Hundswetter, Das Internetz hilft auch nicht immer, Klingelingeling, (Un)genießbar?

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