Freitag, 31. März 2023

Iiii, wie hässlich!

 #Frühling

Lange hatte sich Heribert Herbst im kahlen Busch versteckt, und ahnungslosen Passanten aufgelauert. Nun war seine Tarnung aufgeflogen. Das finstere Zackenblattgespenst musste sich eine neue Strategie ausdenken.

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Wie Sie sehen: es regnet immer noch, oder schon wieder. Das Problem mit der schlechten Tarnung betrifft auch andere Wesen, die draußen herum kreuchen und fleuchen. Regenwürmer zum Beispiel. Das sind keine besonders anmutigen Tiere, deshalb erspare ich Ihnen deren Anblick, obwohl ich einen fotografiert habe. Die meisten Leute ekeln sich vor diesen Lebewesen aus der biologischen Ordnung der "Wenigborster", vor allem wenn diese über das Trottoir kriechen. Sie kommen an die Oberfläche, wenn es ordentlich regnet. So eine milde Regenwetterlage hatten wir letzte Woche, heute schon wieder, und alle paar Meter kriecht ein blaurosa Wurm über den Asphalt.
"Dann ist die Welt ja in Ordnung", erklärte meine Mutter, als ich ihr heute früh von der Wurm-Invasion berichtete. 

"Warum?", fragte ich, "weil es so viele gibt?"
"Ja. Regenwürmer sind nützlich!" 
Das hatte sie mir schon beigebracht, als ich noch ein ganz kleines Kind gewesen war. Vielleicht hatte ich die Würmer deshalb eingesammelt und mit nach Hause gebracht? 😱 Das mache ich heute natürlich nicht mehr. Auf dem Weg ins Mutterhome hatte ich einen älteren Mann beobachtet, der alle paar Meter vom Fahrrad abgestiegen war, und sich gebückt hatte. Was macht der da?, dachte ich. Er hat Regenwürmer vom Weg zurück in die Wiese geschnippt - ein Regenwurm-Retter! Das ist mal eine Aktion, die eigentlich der "letzten Generation" gut zu Gesicht stünde. Würmer aufheben statt an der Straße kleben. 😏

Wussten Sie, dass das Wort Regenwurm gar nichts mit Regen zu tun hat? Das denken wir nur, weil der rege Wurm bei Regen an die Oberfläche kriecht. Es ist wohl so, dass diese Viecher vom Geräusch des Regens hervorgelockt werden, aber warum sie auf diese Klopfgeräusche so stark reagieren, konnte anscheinend noch nicht ergründet werden. Es ist schwierig Interviews mit Regenwürmern zu führen, weil sie angeblich taub, blind und stumm sind. Dafür fressen sie jeden Tag die Hälfte ihres eigenen Körpergewichts. Stellen Sie sich mal vor, wir würden das machen. 😅

Vorne zieht sich der Regenwurm Blätter, abgestorbene Pflanzenreste und Mikroorganismen rein, hinten kommt Dünger raus, und zwar der beste der Welt. Den muss man nicht in roten Plastiktüten verpacken und fachgerecht entsorgen. Außerdem schafft dieses zweifellos hässliche Wesen täglich bis zu zwanzig Blätter in seine unterirdische Wohnröhre, und lässt sie dort von Pilzen und Bakterien für sich mundgerecht zubereiten. Nicht nur Menschen, auch Regenwürmer sind in der Lage, andere Wesen für sich arbeiten und ihre Nahrung fermentieren zu lassen! Nun gut, der Regenwurm hat keine Zähne, da muss man sich schon zu helfen wissen, wenn man so viel futtert. Das gefräßige Tier gräbt bei seiner Nahrungssuche und -verwertung so ganz nebenbei den Boden um, belüftet und düngt ihn, und hinterher kann der Boden Regenwasser aufsaugen wie ein Schwamm. Ich finde Hunde sollten das auch lernen.

"Im 16. Jahrhundert hieß der Regenwurm noch „reger Wurm“, weil er ständig arbeitet und frisst", erfährt man bei NABU. Dort habe ich auch gelernt, dass Regenwürmer gar nicht ertrinken, wenn der Boden überschwemmt wird. "Der Wurm wird durch die Vibration der Regentropfen aus der Erde an die Oberfläche gelockt, und dort erwarten ihn zerstörerisches UV-Licht oder eine hungrige Amsel." Sie fressen also nicht nur, sie werden auch gefressen. Sonnencreme vertragen sie wahrscheinlich nicht. Sie haben ja auch keine Hände, mit denen sie sich das Zeugs auftragen könnten.

Angler sammeln den Regenwurm gerne als Fischköder ein, und Kinder wollen wissen, ob es stimmt, dass beide Wurmhälften weiterleben, wenn man den Wurm in der Mitte teilt. (Stimmt nicht.) Für einen Regenwurm ist es also äußerst gefährlich, sich an die Erdoberfläche zu begeben. Deswegen würde ich gerne ein Interview mit ihnen führen, und sie fragen, wieso sie immer noch ans Handy gehen, wenn der Regen anruft. Es sollte sich doch mittlerweile in Wurmkreisen herumgesprochen haben, dass es sich dabei um potenziell lebensbedrohliche Lockanrufe handelt. Da geht man besser nicht ran.
Der Regenwurmretter heute früh war demnach eine echte Lichtgestalt, und die Würmer sind es auch. Nicht alles, was schön oder niedlich ist, ist nützlich. Wenn ich mich zwischen "Tränenden Herzen" oder Regenwürmern für den Garten entscheiden müsste, würde ich eher zum Regenwurm greifen. Okay, der Vergleich hinkt, und außerdem habe ich keinen Garten.

Dass es „den“ Regenwurm gar nicht gibt, ist auch noch erwähnenswert: Allein in Deutschland kommen über 40 Arten vor, weltweit sogar über 3.000. Da haben sich die Biologen mit dem Zählen offenbar mehr Mühe gemacht als bei den Weiden. 😉 Wenn Sie künftig einem Regenwurm ausweichen, wissen Sie wenigstens, dass Sie der Welt damit etwas Gutes tun.

Siehe auch: KätzchenblüteMiesmäuliges Froschgesicht, Tristesse, Schön für's Auge, Regenfrühling, Fortbewegung, Der Weg der Schnecke, Wohin des Wegs?, Zurück zur Natur, Die miese Ratte ist tot, Artenvielfalt, Wertschätzung, Was bist du denn für eine*r?, Außerirdischer im Vorgarten, Avis gespensticus qualleniensis

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