Sonntag, 19. März 2023

Malblock:ade

  

Was nützen mir die Farben, wenn ich nicht weiß, was ich malen soll?

Dieses Zitat stammt von Michel de Montaigne, der gar kein Maler oder Künstler war, sondern Jurist, Skeptiker und Philosoph, Humanist und Begründer der Essayistik. Heutzutage hätte er vermutlich einen persönlichen Meinungsblog, oder wäre ein genauso erfolgreicher Autor wie damals. 😎
Mein heutiges Bildmotiv hätte sich eher angeboten, einen Artikel über kreative Blockaden zu schreiben, aber dieser Typ, der vor knapp 500 Jahren (!) geboren wurde, erscheint mir viel interessanter. Er würde gut in unsere heutige Zeit passen. So läuft das also in der Praxis mit der Kreativität: Sie wirft Unerwartetes auf den Bildschirm.

Wer war Michel de Montaigne?
Als erster Sproß einer Adelsfamilie wurde Michel nach seiner Geburt im Jahr 1533 "zu einer in einfachen Verhältnissen lebenden Amme gegeben", und kehrte erst im Alter von drei Jahren zurück zu den Eltern. Das war damals wahrscheinlich nicht ungewöhnlich, und vielleicht ein großes Glück für den kleinen Jungen. Es gibt einen Text, in dem er das Verhalten einer überforderten Mutter beschreibt, die nicht weiß, was sie mit ihrem neugeborenen Kind machen soll. Die ersten drei Lebensjahre sind, wie man heute weiß, besonders prägend, vor allem auf emotionaler Ebene. Dazu finden Sie mehr bei den weiterführenden Links.
Seine Erziehung betrachtete Montaigne selbst als ein Experiment seines Vaters, der nach dem Beispiel des Erasmus von Rotterdam eine humanistisch geprägte Erziehung bei ihm verfolgte. Michel wurde „mit der lateinischen Sprache, künstlerischen Fertigkeiten und ohne Zwang erzogen", sollte aber "der Familie zu Ansehen und Anerkennung verhelfen.“ Dieser väterliche Auftrag mag den Ausschlag gegeben haben, dass Michel Rechtswissenschaften studierte, und als Politiker später Zugang zu den einflussreichen Persönlichkeiten der französischen Monarchie hatte. Sein Leben fällt in die Zeit der französischen Religionskriege, in denen er eine vermittelnde Rolle einnahm. In Bordeaux wütete zwischendurch die Pest, und für kurze Zeit landete Montaigne auch einmal im Kerker.

Genug für die anderen gelebt...
Im Alter von 38 Jahren erbte Montaigne das gesamte Vermögen seines Vaters. So konnte er sich noch knapp zwanzig Jahre lang den Dingen widmen, die ihm besonders wichtig waren: Essais schreiben, in denen er über sich selbst, die Menschen und die Welt nachdachte. Das ist Luxus, werden Sie vielleicht sagen, aber in einem englischsprachigen Artikel stellt der US-Bestsellerautor Ryan Holiday eine interessante Frage: "Was könnten wir persönlich erreichen, wenn wir wie Montaigne diese 20 Stunden (die wir normalerweise mit Nachrichtenseiten, Spielen oder Lost-Folgen verbringen) damit verbringen würden, uns selbst zu erforschen und zu lernen, wie wir ticken?" 

"Der reflektierende Zeitgenosse sollte sich immer bewusst machen, dass er sterblich und sein Leben begrenzt ist. Daher sei es wichtig, diese kurze Lebenszeit nicht mit nebensächlichem Handeln zu vertun", meint Montaigne. Sein Verhältnis zum Tod ist Teil seiner Reflexionen zur Lebenskunst. 

Skeptizismus
Einen Boreout hatte Montaigne auch: Als er sich nach der Erbschaft von seinem frustrierenden Job verabschiedete, wollte er die Politik und die Irrungen und Wirrungen der wahnsinnigen Welt, die ihn umgab, hinter sich lassen. Als er dann auf seinem Schloss herumhockte, stellte er fest, dass das Nichtstun seinen Geist vergiftete. Was hätte er wohl heute zum Internetz gesagt? "Der Mensch ... muss notwendigerweise zum Skeptiker werden, indem er erkennt, dass er sich nicht auskennt", schrieb Egon Friedell über Montaignes Werk. Das klingt irgendwie vertraut. 

"Skeptisch gegenüber jedem absoluten Wahrheitsanspruch – sei es von Religion, sei es von Wissen – findet Michel de Montaigne in seinen 'Essais' zu einer Toleranz gegenüber der unerschöpflichen Vielfalt menschlicher Lebensformen", heißt es in einem ausführlichen Artikel bei der Deutschen Welle. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Essais von Montaigne fast zweihundert Jahre lang (1676 - 1874) auf dem päpstlichen Index standen. Die Einstellung "Was weiß ich schon?" passt nicht so recht zum katholischen Dogma, das Allwissenheit predigt, und keine Widerrede duldet. Als seine Schriften verboten wurden, war Montaigne schon fast hundert Jahre tot. Sicher war er sehr privilegiert, zu sagen hat er uns heutzutage immer noch eine Menge.

Wenn Sie mehr erfahren wollen, folgen Sie den weiterführenden Links. Wer nicht so viel Zeit und Lust zum Lesen hat: Es gibt auch einen 53-minütigen Audio-Beitrag von WDR 5, Das philosophische Radio: Die Freundschaft und der Tod sind zwei Fixpunkte der berühmten "Essais" von Michel de Montaigne. In den stilprägenden Texten geht es letztlich fast immer um Gelassenheit, Menschlichkeit und die Frage: Wie geht eigentlich ein gutes Leben?

Siehe auch: Jetzt oder nie!, Boreoutbewältigung: Musikmedizin, Ist das ein Nasobehm?, Ein Satz wie ein Gemälde, Legosteine?, Phantasie, Ausgemustert, Nichts ist unmöglich, Lasst uns mal kreativ sein, Fragmentarisch

Weiterführende Links

 Warum sind die ersten drei Lebensjahre so entscheidend?

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