Dienstag, 14. März 2023

Kleider kleiden Leute

Ripped Jeans im Destroyed Look - Modell 1990er Jahre
Kim Kardashian würde sich freuen?

Nein, so funktional wie in der Überschrift kann man Kleidung wirklich nicht betrachten. Die Redewendung "Kleider machen Leute" kommt nicht von Ungefähr: Sie taucht bereits in Erzählungen aus dem 16. Jahrhundert auf. Damals gab es für bestimmte Berufsstände und Gesellschaftsschichten vorgeschriebene Kleiderordnungen, an die man sich zu halten hatte. Der Ursprung des Spruchs reicht aber noch viel weiter zurück: Bereits der römische Rhetorik-Lehrer Quintilian verwies auf diesen Zusammenhang, sprach dabei aber eher von der Verhaltensregel, dass ein Mensch Macht und Wohlstand nicht durch unpassende Kleidung vortäuschen solle. Und wie ist das jetzt, zweitausend Jahre später? 😏

Kleider verschaffen Ansehen
Vielleicht haben Sie in den Medien von der Hochstaplerin Anna Sorokin gehört, die vor einigen Jahren die New Yorker High Society aufs Kreuz gelegt hat. Die wichtigste Zutat der Betrügereien waren Sorokins ausgeprägtes Modebewusstsein, und ihr Wissen, wie man sich in bestimmten Kreisen am besten kleidet und darstellt. Das funktioniert nicht nur in New York, sondern auch im Beruf, und überall dort, wo Menschen auf einen bestimmten Stil Wert legen. Kleidung ist nicht nur branchenabhängig, sie ist auch gruppenspezifisch. Auch im Fußballstadion sollte man nicht mit dem falschen Schal auftauchen. 😅

Eine ganz besondere Form des Modebewusstseins gibt es im Kongo, wo die sogenannten Sapeurs in den Armenvierteln exklusive und besonders teure Mode tragen. Die schrillen Outfits machen ihre Träger:innen zu angesehenen Paradiesvögeln, die nicht nur im Kontrast zur tristen Umgebung besonders auffallen. Sie würden auch anderswo alle Blicke auf sich ziehen.

Der erste Eindruck zählt
Ob beim Bewerbungsgespräch oder beim ersten Date: Innerhalb von zweihundert Millisekunden haben wir unser Gegenüber intuitiv eingeschätzt. Dieser erste Eindruck lässt sich später nur korrigieren, wenn man Menschen mehrmals trifft, oder über einen längeren Zeitraum kennt. Die Chance dazu bekommt man am ehesten, wenn man schon beim ersten Mal einen guten Eindruck hinterlässt.
Bei besonderen Anlässen muss man sich entsprechend (ver)kleiden. Mitunter passen die innere Haltung und das äußere Erscheinungsbild nicht zusammen, und geübte Beobachter merken das sofort. Man muss den Fummel schon mögen, wenn man ihn trägt, und sollte die modische Botschaft, die man nach außen verkörpert, möglichst auch verinnerlicht haben.
Als ich neulich bei einer Geburtstagsfeier die oben abgebildete Jeans aus den 1990er Jahren trug, kamen sofort Rückfragen. Die Leute sind es nicht gewohnt, mich in "sowas" zu sehen. Meine Mutter meinte "Schrecklich!", dabei hatte ausgerechnet sie mir diese Jeans vor knapp dreißig Jahren aufgeschwatzt. Sie arbeitete damals bei einer Modeagentur, und dieser Rückläufer wurde der Vernichtung entrissen. Er war mir damals zwei Nummern zu groß. Alle meinten, ich sei sowieso viel zu dünn, und es wäre an der Zeit, in dieses Kleidungsstück hineinzuwachsen. 😆

Modemuffel
Die Mädchen im Kindergarten mit ihren glänzenden Lackschühchen waren für mich keine passenden Spielgefährtinnen. Ich hatte einmal solche Schuhe an, weil ich sie ausprobieren wollte, fand sie aber einfach nur unbequem. Bis heute muss ich fast jedes neue Paar Schuhe mit Schmerzen bezahlen: Wasserblasen. Wer schön sein will, muss leiden? Nein danke.
Meine Großmutter und Mutter haben es sehr früh aufgegeben, mich in hübsche Kleidchen stecken zu wollen. Ich war viel draußen, im Garten und im Wald. Wenn ich nach Hause kam, rieselte der Sand aus den Hosenbeinen, die Knie waren ständig durchgescheuert, und in den Hosentaschen steckten aufgesammelte Steine und Schneckenhäuser. "Du bist wia a Bua!", schimpfte die Oma regelmäßig, und so bekam ich oft die Kleidung, die meinem älteren Cousin nicht mehr passte. Für draußen reicht's. 😅

Mir war es egal, was sie mir anzogen, Hauptsache kein Kleid. Erst im Teenageralter wurde ich etwas wählerischer. Wirklich stilsicher war ich nie, Mode hat mich einfach nicht interessiert. Selbst wenn ich heute Kataloge durchblättere, finde ich nur selten irgendetwas, das mir wirklich gefällt, und gleichzeitig zu meinem Leben passt. Im Mutterhome ist Pragmatismus gefragt, und wenn ich morgens über den schlammigen Waldpfad stapfe und auf die Wiese zum Fotografieren abbiege, dann sicher nicht in High Heels.



Schwarz hat viele Facetten
Fast ein Jahrzehnt lang kannten mich alle Leute fast nur in schwarzer Kleidung. Wie es dazu kam, erzähle ich vielleicht ein anderes Mal, wenn mich wieder irgendein Stoff oder Muster als Fotomotiv anspringt (>Sternstunde des Missgeschicks). 😉 Nachdem ich wegen meiner Schilddrüse erst 25 Kilo zu- und dann wieder 20 Kilo abgenommen hatte, bin ich aus den letzten zwei Kleidergrößen herausgeschrumpft. Darum musste ich mir letztes Jahr notgedrungen ein paar neue Teile zulegen. Wieder mehr Farbe im Kleiderschrank stellt mich jetzt vor neue Herausforderungen. Die zerrissenen Jeans waren jahrelang total in Mode, aber mein Rückläufer-Modell war zuerst viel zu weit, und danach jahrelang zu eng. Ich habe es aufgehoben, weil ich dachte: Das gibt's nicht. Irgendwann passt du da rein! Und siehe da: Der Moment ist genau jetzt gekommen. 
Wenn man lange genug wartet, kommt jede Mode wieder. Ein Fashion Victim wird aus mir garantiert nicht, aber die Entrümpelungsaktion im Kleiderschrank ist angelaufen. Vielleicht ist der Schrankschlüssel deshalb aus Verzweiflung abgebrochen (> Irrationale Schlüsselfragen)? 😂

Als Fashion Victim (deutsch Modeopfer) wird eine Person bezeichnet, die stets nach der aktuellen Mode gekleidet ist und jeden Trend mitmacht. Sie orientiert sich an und bevorzugt angesagte Marken und Labels. Die Modeexpertin und Autorin Michelle Lee definiert Fashion Victim als Mensch, der jedem Trend sklavisch folgt, selbst wenn dieser nicht zum eigenen Typ passt. (Wikipedia)

Ja, was passt zu meinem Typ? Wenn ich nicht mehr in Schwarz erscheine, und die Leute mich auf der Straße und bei Geburtstagsfeiern nicht mehr erkennen, dann weiß ich, dass die x-te Transformation abgeschlossen ist. Aus Erfahrung bin ich geneigt zu sagen: Es war sicher nicht die letzte.

Siehe auch: Des Kaisers neue Kleider, Intelligente Kleidung, Sleepshirt oder Businessjogger?, Hutanfall, Wie es der Zufall will, Shoppen beim Universum, Kopflos, Sternstunde des Missgeschicks, Irrationale Schlüsselfragen, Queen of Mutterhome

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